OGH 1Ob467/50

OGH1Ob467/5029.11.1950

SZ 23/348

Normen

ABGB §863
Fristengesetz §1
Fristengesetz §2
VersVG §38
Versicherungsvertragsgesetz §40 ZPO §503 Z4
ABGB §863
Fristengesetz §1
Fristengesetz §2
VersVG §38
Versicherungsvertragsgesetz §40 ZPO §503 Z4

 

Spruch:

§ 38 Abs. 1 Satz 2 VersVG. behandelt einen besonders geregelten stillschweigenden Rücktritt vom Vertrag, bei dem schon der Unterlassung der fristgemäßen gerichtlichen Geltendmachung durch das Gesetz die Bedeutung einer stillschweigenden Rücktrittserklärung im Sinne des § 863 ABGB. beigemessen wird.

Auf diese Frist ist daher das Fristengesetz nicht anwendbar.

Entscheidung vom 29. November 1950, 1 Ob 467/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Liezen; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.

Text

Die klagende Partei begehrte zunächst in ihrer Mahnklage die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung fälliger Versicherungsprämien in der Höhe von 30 S und stellte dann im Laufe des Verfahrens den Zwischenantrag auf Feststellung, daß ein rechtsgültiger Versicherungsvertrag zur Polizze Nr. 662.083 zwischen den Streitteilen abgeschlossen worden sei und sich derzeit noch in Geltung befinde.

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Zwischenurteil vom 15. April 1950 mit der Begründung ab, daß zwar dieser Versicherungsvertrag zustande gekommen sei, daß er aber als aufgelöst anzusehen sei, da die klagende Partei die erste Prämie nicht binnen drei Monaten, das ist bis 12. August 1947, gerichtlich geltend gemacht habe, was gemäß § 38 Abs. 1 VersVG. als Rücktritt vom Vertrag gelte, und die Bestimmungen des Fristengesetzes BGBl. Nr. 193/47 auf die in § 38 Abs. 1 VersVG. 2. Satz festgesetzte Frist nicht anzuwenden seien, weil es sich weder um eine Verjährungsfrist noch um eine sonstige für die Beschreitung des Rechtsweges oder die anderweitige Geltendmachung von Rechten im gerichtlichen Verfahren vorgeschriebene Frist handle.

Das Berufungsgericht gab dagegen in Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles dem Zwischenantrag auf Feststellung statt, weil § 38 VersVG. wörtlich von der gerichtlichen Geltendmachung handle und sich aus dem Wortlaut des § 1 des Fristengesetzes ergebe, daß ihm auch für die Frist des § 38 Abs. 1 Geltung zukomme, und daß daher die gerichtliche Geltendmachung der ersten fälligen Versicherungsprämie auch nach Ablauf der in § 38 VersVG. hiefür vorgesehenen Frist möglich sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und stellte in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In der Revision wird bloß die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes bekämpft, wonach dem Fristengesetz auch für die in § 38 Abs. 1 Satz 2 VersVG. festgesetzte Frist Geltung zukommt. Entscheidend ist daher im vorliegenden Falle lediglich diese Frage, da unangefochten feststeht, daß die klagende Partei die erste fällige Prämie erst nach Ablauf der in § 38 Abs. 1 Satz 2 VersVG. festgesetzten Frist eingeklagt hat. Wird die erste oder einmalige Prämie nicht rechtzeitig bezahlt, so ist nach § 38 Abs. 1 VersVG. der Versicherer berechtigt, solange die Zahlung nicht bewirkt ist, vom Vertrage zurückzutreten. Nach dieser Vorschrift gilt es weiters als Rücktritt, wenn der Anspruch auf die Prämie nicht innerhalb von drei Monaten vom Fälligkeitstag an gerichtlich geltend gemacht wird. Nach § 1 des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, in der Fassung des Bundesgesetzes vom 24. Mai 1950, BGBl. Nr. 123, kann ein Recht trotz Ablaufes der Verjährungsfrist oder der sonstigen für die Beschreitung des Rechtsweges oder die anderweitige Geltendmachung von Rechten im gerichtlichen Verfahren vorgeschriebenen Frist noch bis 30. Juni 1951 gerichtlich geltend gemacht werden, wenn diese Frist erst nach dem 31. Dezember 1945 abgelaufen ist. Wenn § 38 Abs. 1 Satz 2 VersVG. etwa lauten würde, daß der Versicherer den Anspruch auf die erste oder einmalige Prämie innerhalb von drei Monaten vom Fälligkeitstage an gerichtlich geltend machen muß, widrigenfalls das Versicherungsverhältnis erlischt, so könnte wohl nicht daran gezweifelt werden, daß es sich um eine Frist im Sinne des § 1 des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1947 handelt.

§ 38 Abs. 1 Satz 2 VersVG. stellt jedoch für den Fall der nicht rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung dieses Prämienanspruches die Fiktion des Rücktrittes vom Vertrage auf. Prölß (Versicherungsvertragsgesetz, 5. Aufl., S. 123) führt hiezu aus, daß diese Vermutung des § 38 Abs. 1 widerlegbar sei, jedoch eine solche Widerlegung praktisch nur in seltenen Fällen möglich sei, namentlich dann, wenn ohne Änderung der Fälligkeit, also ohne Stundung, der Versicherungsnehmer seine Verpflichtung anerkannt und gebeten hat, mit der Erhebung der Klage noch zuzuwarten oder wenn Stundung ausdrücklich vereinbart wurde. In diesen Fällen geht es also darum, daß entweder der Fälligkeitstag hinausgeschoben wurde oder der Unterlassung der rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung des Prämienanspruches, der das Gesetz sonst die Bedeutung eines stillschweigenden Rücktrittes beimißt, eben die Schlüssigkeit (§ 863 ABGB.) fehlt. Es handelt sich somit bei der Frist des § 38 Abs. 1 Satz 2 VersVG. eben nicht einfach um eine solche für die gerichtliche Geltendmachung des Prämienanspruches mit der Sanktion des Anspruchsverlustes, sondern um einen besonders geregelten stillschweigenden Rücktritt vom Vertrage, bei dem schon der Unterlassung der fristgemäßen gerichtlichen Geltendmachung durch das Gesetz die Bedeutung einer stillschweigenden Rücktrittserklärung im Sinne des § 863 ABGB. beigemessen wird. Ist dies aber der Fall, so können darauf die Vorschriften des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1947, BGBl. Nr. 193, nicht Anwendung finden. Da die klagende Partei diese Frist, wie unangefochten feststeht, nicht eingehalten hat, ist demnach das Versicherungsverhältnis durch den stillschweigenden Rücktritt bereits aufgelöst worden und muß daher jedenfalls das Feststellungsbegehren insoweit, als es auf die derzeitige Geltung des Versicherungsvertrages gerichtet ist, abgewiesen werden. Das Erlöschen des Vertrages durch den stillschweigenden Rücktritt setzt allerdings den seinerzeitigen Abschluß des Vertrages voraus und müßte daher das spätere Erlöschen allein noch keineswegs auch zur Abweisung des Begehrens auf die Feststellung des seinerzeitigen Zustandekommens des Vertrages führen. Mit dem stillschweigenden Rücktritt im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 2 VersVG. ist jedoch auch der Verlust des Prämienanspruches verbunden (vgl. § 40 Abs. 2 VersVG.). Im Hinblick auf diese Wirkung des festgestellten Rücktrittes ist daher die Frage, ob der Vertrag seinerzeit zustande gekommen ist, für die Entscheidung über das Klagebegehren, das auf Prämienzahlung gerichtet ist, bedeutungslos. Mangels Präjudizialität muß daher auch das Begehren auf Feststellung des Zustandekommens des Vertrages abgewiesen werden.

Somit ist die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichtes unzutreffend und daher der Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. gegeben. Daher war der Revision Folge zu geben und das angefochtene Urteil wie im Spruche abzuändern.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte