Spruch:
Bindung des Außerstreitrichters an rechtskräftige Unzuständigkeitsentscheidungen des Prozeßgerichtes.
Entscheidung vom 30. August 1950, 1 Ob 452/50.
I. Instanz: Bezirksgericht Bad Aussee; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.
Text
Die Antragstellerin brachte am 4. August 1949 beim Bezirksgerichte Innere Stadt Wien eine Klage gegen den Antragsgegner ein, in der sie ausführte, daß sie am 27. April 1949 ein außereheliches Kind geboren habe, dessen Vater zu sein der Beklagte anerkannt habe. Sie begehrte gemäß § 167 ABGB. vom Beklagten die Kosten der Entbindung und den Ersatz der Kosten ihres Unterhaltes für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung. Der Beklagte wendete bei der ersten Tagsatzung Unzulässigkeit des Rechtsweges ein. Der Prozeßrichter gab der Einwendung Folge und überwies die Sache gemäß § 44 JN. an die Außerstreitabteilung des angerufenen Gerichtes. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses überwies er in teilweiser Abänderung des bei der ersten Tagsatzung gefaßten Beschlusses die Sache an die Außerstreitabteilung des Bezirksgerichtes Bad Aussee.
Das Bezirksgericht Bad Aussee entschied im Verfahren außer Streitsachen meritorisch im Sinne des Antrages.
Anläßlich des Rekurses des Antragsgegners hat das Rekursgericht den angefochtenen Beschluß sowie das gesamte vorausgegangene Verfahren von der ersten Tagsatzung an als nichtig aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, die Rechtssache dem zuständigen Prozeßgerichte zur weiteren geschäftsordnungsmäßigen Behandlung zu überweisen. Das Rekursgericht begrundet diesen Beschluß damit, daß nach der Geburt des Kindes die Ansprüche nach § 167 ABGB. nur im Prozeßweg geltend gemacht werden können. Das Verfahren seit der ersten Tagsatzung, bei der die Sache ins Außerstreitverfahren überwiesen worden ist, sei daher nichtig.
Dieser Beschluß wird von beiden Parteien mit Revisionsrekurs angefochten.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs Folge und trug dem Rekursgericht die sachliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach § 42 Abs. 3 und Abs. 4 JN. sind Unzuständigkeitsentscheidungen des Prozeßgerichtes, die in Rechtskraft erwachsen sind, für den Außerstreitrichter, an den die Sache überwiesen wurde, bindend. Auch die Rechtsmittelinstanzen sind in diesem Falle nicht berechtigt, den etwa unterlaufenen Verstoß im vorangegangenen Prozeßverfahren wahrzunehmen. Der Gesetzgeber erachtet die Einhaltung der Grenzen zwischen Streit- und Außerstreitverfahren nicht für so wichtig, daß er nach rechtskräftiger Entscheidung dieser Frage im Vorverfahren die neuerliche Aufwerfung dieser Frage im Nachverfahren gestatten würde. Auch kann ein etwa unterlaufener Verstoß nicht mehr im Wege des § 42 Abs. 2 JN. behoben werden, da sich das dort geregelte Verfahren nur auf den Fall der Verletzung der Gerichtsbarkeitsgrenzen, nicht aber auf den Fall bezieht, daß Angelegenheiten des Verfahrens außer Streitsachen im Streitverfahren und umgekehrt zu Unrecht anhängig gemacht und entschieden wurden (SZ. V/266).
Das Kreisgericht Leoben war daher nicht berechtigt, die im Vorverfahren abschließend entschiedene Frage, Streit- oder Außerstreitverfahren, neuerlich aufzuwerfen.
Es war demnach den Revisionsrekursen beider Beteiligten Folge zu geben.
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