Normen
ABGB §905
ABGB §1413
Schillinggesetz §3
Schillinggesetz §6
ZPO §271
ZPO §273
ABGB §905
ABGB §1413
Schillinggesetz §3
Schillinggesetz §6
ZPO §271
ZPO §273
Spruch:
Zum Begriff "inländisches Vermögen" nach Punkt III der Anlage zum Verstaatlichungsgesetz BGBl. Nr. 168/1946.
Eine in Österreich zahlbare Reichsmarkschuld ist nach § 3 Abs. 2 SchillingG. in Schilling zuzusprechen.
§ 273 Abs. 1 ZPO. ist nur dann anwendbar, wenn der Betrag, nicht aber der Grund der Forderung strittig ist.
Entscheidung vom 12. Juli 1950, 1 Ob 391/50.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin ist auf Grund der Bundesgesetze BGBl. 1946, Nr. 168 und 199, die Rechtsnachfolgerin der Siemens & Halske AG., Zweigniederlassung Wien. Sie behauptet, der Beklagten Waren im Betrage von 90.210.18 RM, bzw. S geliefert zu haben, und begehrt nach Abzug von Gegenforderungen in der Höhe von 40.687.73 S Zahlung von 49.522.45 S. Die Beklagte behauptet, daß sie von der Zentrale in Berlin beliefert wurde, und bestreitet einen Teil der Lieferungen.
Das Erstgericht hat die Beklagte im Sinne des Klagebegehrens, das Berufungsgericht nur zur Zahlung von 32.674.30 S verurteilt. Das Erstgericht hat als erwiesen angenommen, daß alle in der Klage angeführten Lieferungen in der Fakturahöhe von 33.848.15 S effektuiert wurden. Das Berufungsgericht hat ohne Beweiswiederholung den Beweis, daß alle diese Lieferungen durchgeführt wurden, nicht als erbracht angesehen und, da eine weitere Klarstellung nicht möglich sei, auf Grund des § 273 ZPO. nur hinsichtlich eines Teilbetrages von 17.000 S den Nachweis der strittigen Sendungen als erbracht angesehen.
Die Klägerin hat die Abweisung des Teilbetrages von 16.848.15 S in Rechtskraft erwachsen lassen, dagegen hat die Beklagte das Urteil des Berufungsgerichtes, soweit das erstrichterliche Urteil bestätigt wurde, mit Revision angefochten.
Der Oberste Gerichtshof hob rücksichtlich eines Teilbetrages von 17.000 S auf; im übrigen blieb die Revision ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens wird darin erblickt, daß das Berufungsgericht dem in der Berufung der Beklagten gestellten Antrag nicht stattgegeben habe, an das Justizministerium eine Anfrage zu richten, ob die klagsgegenständlichen Forderungen von Siemens & Halske, Berlin, als inländische Aktiven einer reichsdeutschen Firma zu gelten haben.
Da die Beklagte diesen Beweisantrag erst im Berufungsverfahren gestellt hat, so ist sie nach § 482 Abs. 2 ZPO. nicht berechtigt, sich darüber zu beschweren, daß das Berufungsgericht diesen Beweisantrag unberücksichtigt gelassen hat. Übrigens handelt es sich hier um eine Frage der Judikatur, die von dem Gerichte zu lösen ist; auch Fragen des internationalen Rechtes unterliegen der ausschließlichen Entscheidung der Gerichte; nur das in einem anderen Staatsgebiet geltende ausländische Recht kann erforderlichenfalls durch Anfrage beim Justizministerium festgestellt werden (§ 271 ZPO.), wenn es dem Gericht nicht bekannt ist. Diesmal handelt es sich aber nicht um eine Frage des ausländischen, sondern um Fragen des inländischen Rechtes, nämlich um die Auslegung des Verstaatlichungsgesetzes und um internationales Privatrecht.
Die Mängelrüge ist daher nicht begrundet.
Mit dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wendet sich die Beklagte dagegen, daß die Klagsforderung nicht mit Deutschen Mark im Verhältnis 10 : 1 vom Nominale zuerkannt wurde.
Auch diese Rüge ist nicht begrundet.
Da die Beklagte ihren Sitz in Österreich hat, so ist die Schuld in Österreich auch dann zu erfüllen (§ 905 ABGB.), wenn die Zahlung an die Berliner Zentrale vereinbarungsgemäß zu übermachen war, da die Unterinstanzen nicht festgestellt haben, daß in Berlin zu erfüllen ist. Die deutschen Umrechnungsvorschriften, die im Inlande nur insoweit anzuwenden sind, als sie sich auf Reichsmarkforderungen beziehen, die nach österreichischem internationalem Privatrecht dem deutschen Recht unterliegen, kommen daher nicht zur Anwendung. Es erübrigt sich deshalb, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die west- oder ostdeutschen Umrechnungsvorschriften anzuwenden sind.
Da es heute Reichsmark nicht mehr gibt, sondern nur mehr Ost- und Westmark, so kann trotz der Kannvorschrift des § 6 Abs. 2 SchillingG., StGBl. 1945, Nr. 231, bei einer in Österreich zahlbaren Reichsmarkschuld - wofern das Gesetz oder ein Staatsvertrag nichts anderes verfügt - nur mehr eine Verurteilung zur Zahlung in Schilling nach der gesetzlichen Umrechnungsrelation des § 3 Abs. 2 SchillingG. erfolgen, da, wie ausgeführt, Reichsmark nicht mehr existieren und auf eine nicht mehr bestehende Währung nicht verurteilt werden kann.
Nach Punkt III der Anlage des Verstaatlichungsgesetzes BGBl. 1946, Nr. 168, wurden die inländischen Aktiven und Passiven der Siemens & Halske-Aktiengesellschaft Berlin verstaatlicht. Was inländische Aktiven sind, bestimmt das österreichische internationale Privatrecht; nach diesem gehören Forderungen jedenfalls dann zum inländischen Vermögen, wenn sie gegen eine inländische Firma gerichtet sind, ohne Rücksicht darauf, ob der Erfüllungsort im Inland oder im Ausland gelegen ist. Die eingeklagten Forderungen sind daher auf die klägerische Auffanggesellschaft übergegangen, da die Beklagte eine österreichische Firma ist, die ihren Sitz in Wien hat.
Dem Umstand, daß die Forderung vor Übergang auf die österreichische Auffanggesellschaft deutsches Eigentum gewesen ist, kann keine Bedeutung für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites zuerkannt werden, weil nach dem allein für die österreichischen Gerichte maßgebenden österreichischen Recht die Forderung derzeit einem österreichischen Rechtssubjekt zusteht und keine gesetzliche Bestimmung der Einklagung der einer österreichischen Auffanggesellschaft zustehenden Forderung entgegensteht.
Ebenso bedeutungslos ist die Tatsache, daß möglicherweise dieser Rechtsübergang von den deutschen Gerichten nicht anerkannt werden wird, und daß Beklagte daher Gefahr läuft, wenn ein Gerichtsstand im Deutschen Reiche gegeben ist, zweimal zahlen zu müssen. Diese sich aus der Verschiedenheit des Rechtes ergebenden Folgen können die österreichischen Gerichte nicht veranlassen, die Anwendung des österreichischen Rechtes abzulehnen, da sie an das inländische Gesetz gebunden sind. Die Gefahr der Doppelzahlung infolge der Rechtsverschiedenheit geht zu Lasten der Beklagten.
Dagegen ist die Revision begrundet, soweit sie dagegen ankämpft, daß das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung eines Teiles der strittigen Lieferungen verurteilt hat, ohne festzustellen, ob sie ausgeliefert wurden oder nicht. § 273 Abs. 1 ZPO. ist nur dann anwendbar, wenn der Betrag einer Forderung strittig ist, nicht aber dann, wenn überhaupt nicht feststeht, ob die strittige Lieferung erfolgt ist und daher die Forderung dem Gründe nach besteht. Bei der Einklagung mehrerer Fakturen, die dem Gründe nach strittig sind, kommt nicht § 273 Abs. 1, sondern Abs. 2 zur Anwendung; in diesem Fall ist aber vorausgesetzt, daß es sich um eine im Verhältnis zum Gesamtbetrag unbedeutende Forderung handelt. Das ist aber vorliegend nicht der Fall, da zirka 49.000 S eingeklagt sind, von denen ungefähr 34.000 S strittig sind.
Durch die Anwendung des § 273 ZPO. hat daher das Berufungsgericht das Gesetz verletzt.
Da das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, daß sich ein Beweis für die Lieferungen nicht erbringen läßt, so hätte es die Klage hinsichtlich der für diese Lieferungen begehrten Beträge abweisen müssen. Nichtsdestoweniger hat der Oberste Gerichtshof nicht auf Abänderung im Sinne der Abweisung der Teilbeträge von 33.848.15 S erkannt, sondern aus nachstehenden Erwägungen aufgehoben:
Das Berufungsgericht hat ohne Beweiswiederholung, also auf Grund eines mangelhaften Verfahrens die vom Erstrichter aufgenommenen Beweise abweichend gewürdigt. Da die Klägerin die teilweise Abweisung des Klagebegehrens nicht angefochten hat, sondern rechtskräftig werden ließ, so hatte sie keine Möglichkeit und keinen Anlaß, den vorgefallenen Verfahrensverstoß zu rügen. Sie darf aber nicht durch diese Verletzung der Prozeßvorschriften zu Schaden kommen, wenn es sich zeigt, daß die Rechtsauffassung, von der das Berufungsgericht ausgegangen ist, verfehlt ist. Es mußte daher das berufungsgerichtliche Urteil aufgehoben werden, um die Möglichkeit zu schaffen, die Beweise, die der Erstrichter aufgenommen hat, zu wiederholen, bzw. wenn das Berufungsgericht sofort ohne Beweiswiederholung den strittigen Betrag aberkennen sollte, der Klägerin zu ermöglichen, den unterlaufenen Verfahrensverstoß im Revisionsverfahren zu rügen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)