OGH 1Ob286/50

OGH1Ob286/507.6.1950

SZ 23/191

Normen

ABGB §7
ABGB §326
ABGB §335
ABGB §338
ABGB §368
ABGB §372
ABGB §1295
ABGB §1297
ABGB §1306a
ABGB §7
ABGB §326
ABGB §335
ABGB §338
ABGB §368
ABGB §372
ABGB §1295
ABGB §1297
ABGB §1306a

 

Spruch:

Der Umstand, daß die Praxis der Gerichte die §§ 372 ff. ABGB. auf das Verhältnis zwischen mehreren konkurrierenden Bestandnehmern analog anwendet, ist kein Grund für die Annahme, daß das Bestandrecht ein quasidingliches Recht sei und daß §§ 335 ff. ABGB. bei Verletzung eines Bestandrechtes anwendbar seien.

Bei Verletzung des Rechtes des Bestandnehmers kann dieser nur Schadenersatz nach dem 30. Hauptstück des ABGB. verlangen, nicht aber schon deshalb, weil sein Recht verletzt wurde.

Entscheidung vom 7. Juni 1950, 1 Ob 286/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Fünfhaus; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Kläger sind Mieter der Wohnung in Wien, XII., T.gasse 6/14. Sie waren im Jahre 1945 von Wien abwesend. Anfangs Dezember 1945 wurde der Zweitbeklagten eine vorläufige Benützungsbewilligung rücksichtlich der klägerischen Wohnung erteilt; seither wohnten die Beklagten in der genannten Wohnung. Am 23. März 1948 wurde die vorläufige Benützungsbewilligung aufgehoben; nichtsdestoweniger haben die Beklagten trotz Aufforderung der Kläger die Wohnung nicht geräumt, sondern sich auf Räumung klagen lassen. Sie wurden am 18. Februar 1949 rechtskräftig zur Räumung verurteilt. Die zwangsweise Räumung wurde mehrmals aufgeschoben. Schließlich räumten die Beklagten die Wohnung am 6. August 1949, ohne daß Zwangsmittel angewendet werden mußten. Die Kläger begehren Schadenersatz, weil die Beklagten nicht sofort nach Verständigung von der Aufhebung der vorläufigen Einweisung die Wohnung verlassen haben; dadurch seien ihnen Mehrkosten in der Höhe von 3593 S entstanden, die sie aus dem Titel des Schadenersatzes begehren.

Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil zu Recht erkannt, daß der geltend gemachte Schadenersatzanspruch dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe. Das Erstgericht meint, daß den Beklagten kein Verschulden zur Last falle, weil die Beklagten der Ansicht gewesen seien, daß die Kläger nicht mehr Mieter der gegenständlichen Wohnung wären. Angesichts des Verhaltens der Hauseigentümerin sei es für die Beklagten nicht so ohne weiteres erkennbar gewesen, ob sie nicht doch Mieter der gegenständlichen Wohnung wären. Ein Irrtum, der den bösen Vorsatz ausschließe, liege auch darin, daß sie die aktive Klagslegitimation der Kläger nicht als gegeben angesehen haben, weil diese Reichsdeutsche sind. Mit Rücksicht auf die Zeitumstände und das verschiedentliche Verhalten auch von staatlichen Organen in dieser Frage müsse ein Verschulden verneint werden. Auch sei darauf zu verweisen, daß mehrfach Gerichte entschieden hatten, daß das Mietverhältnis des Vormieters erloschen sei, wenn er seine Habe, aus welchem Gründe immer, aus der Wohnung entfernt habe. Wenn die Beklagten daher angenommen haben, das klägerische Mietrecht sei trotz der nur vorläufigen Benützungsbewilligung erloschen und es daher auf einen Rechtsstreit haben ankommen lassen, so könne darin eine zum Schadenersatz verpflichtende Handlung nicht erblickt werden.

Das Berufungsgericht hat in Abänderung des erstinstanzlichen Zwischenurteiles zu Recht erkannt, daß der klägerische Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe. Das Berufungsgericht meint, daß die Beklagten von der Kenntnisnahme der Aufhebung der vorläufigen Benützungsbewilligung an als unredliche Besitzer im Sinne des § 338 ABGB. anzusehen und daher schadenersatzpflichtig seien. Denn selbst wenn die Zweitbeklagte durch schlüssiges Verhalten einen Mietvertrag abgeschlossen haben sollte, so hatten beide Beklagten, schon als sie die Wohnung bezogen, aus dem Umstand, daß sich Möbel darin befanden, erkennen müssen, daß sie nicht ohne weiteres damit rechnen konnten, die Rechte der bisherigen Mieter seien erloschen. Guter Glaube setze aber nicht nur positive Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des eigenen Verhaltens, sondern auch einen entschuldbaren Irrtum voraus. Von einem solchen könne aber bei den Beklagten mindestens von dem Zeitpunkte an, da sie von der Aufhebung der vorläufigen Benützungsbewilligung erfahren hatten, keine Rede sein. Auch die irrige Annahme, Reichsdeutsche seien rechtlos, begrunde keinen entschuldbaren Irrtum. Der Umstand, daß die Kläger einen Teil ihrer Fahrnisse aus der Wohnung entfernt haben, lasse nicht den Schluß zu, daß sie ihre Mietrechte aufgeben wollten. Die Bestimmungen der §§ 335 und 338 ABGB. seien gegenüber den allgemeinen Schadenersatzregeln Sondervorschriften. Angesichts ihres Charakters als Sonderregelung sowie der erhöhten Strenge der Besitzordnung sei es zweifelhaft, ob der angebliche Notstand der Beklagten, nicht sofort ausziehen zu können, ohne obdachlos zu werden, berücksichtigt werden könne; übrigens sei das im gegenständlichen Stadium des Prozesses bedeutungslos, weil auch nach § 1306a ABGB. wenigstens ein gewisser Schadenersatz zuzusprechen sei. Auch der Umstand, daß die Hauseigentümerin den Mietvertrag der Kläger vernichtete, sei für sich allein noch nicht geeignet, die Zweifel gewissenhafter Bezieher der Wohnung über den Fortbestand der früheren Mietrechte zu erheben. Übrigens komme erst der Zeitabschnitt seit der Aufhebung der Benützungsbewilligung in Betracht. Die wiederholte Aufschiebung der Exekution begrunde kein Recht der Beklagten, vielmehr handle es sich hier nur um eine Billigkeitsmaßnahme, die das materielle Recht der Kläger nicht beeinflussen konnte, sondern nur den Zeitpunkt seiner zwangsweisen Durchsetzbarkeit.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wurde von den Beklagten mit Revision angefochten.

Der Oberste Gerichtshof hob auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Auch die Rechtsrüge ist nicht gerechtfertigt, soweit sie die Passivlegitimation der Erstbeklagten bestreitet; das Räumungsbegehren habe sich nur gegen seine Frau gerichtet, der die Wohnung zur vorläufigen Benützung überlassen worden sei, daraus, daß Erstbeklagter einfach in der Wohnung bei der Zweitbeklagten verblieb, könne ihm kein Vorwurf gemacht werden.

Diese Auffassung ist rechtsirrig. Da die Zweitbeklagte nach Aufhebung der Benützungsbewilligung keinen Rechtstitel zur Benützung der Wohnung gehabt hat und auch der Erstbeklagte sich nicht darauf berufen konnte, sich in der Wohnung auf Grund eines einem Familienangehörigen zustehenden Rechtstitels aufzuhalten, so wären die Kläger berechtigt gewesen, die Räumungsklage auch gegen ihn einzubringen. Daß sie das unterlassen und dem Erstbeklagten den Ersatz von Mehrkosten im Räumungsprozeß erspart haben, hat ihm kein Recht auf die Benützung oder Mitbenützung der Wohnung gewährt. Wenn die Zweitbeklagte rechtswidrig in der Wohnung blieb, so auch der Erstbeklagte. Er ist daher ebenso wie seine Gattin schadenersatzpflichtig, wenn er schuldhaft die Wohnung nicht geräumt hat.

Dagegen ist die Revision im Recht, insoweit sie sich gegen die Anwendung der verschärften Schadenersatzbestimmungen der §§ 335 und 338 ABGB. wendet.

Der Umstand, daß die Rechtspraxis die §§ 372 ff. ABGB. auf das Verhältnis zwischen mehreren konkurrierenden Bestandnehmern analog anwendet, darf nicht zu dem Schluß verleiten, daß das Bestandrecht ein quasidingliches Recht sei und daß die Bestimmungen der §§ 335 ff. ABGB. bei Verletzung eines Bestandrechtes anwendbar seien. Auch bei obligatorischen Rechten ist eine Konkurrenz möglich und muß bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen das obligatorische Recht anderen solchen Rechten weichen; so ist zum Beispiel nach dem unlauteren Wettbewerbsrecht die Durchführung eines Vertrages unter Umständen nicht zulässig, wenn dadurch in ältere Vertragsrechte Dritter eingegriffen würde; ähnliche Verhältnisse liegen vor, wenn ein Schauspieler mit zwei Theaterdirektoren widersprechende Dienstverträge abschließt usw. In allen diesen Fällen handelt sich um den Schutz schuldrechtlicher Verhältnisse gegen den Eingriff durch Dritte. Und in diese Gruppe gehört auch der Schutz der Bestandrechte gegen Personen, die sich auf ein konkurrierendes Bestandrecht berufen oder ohne Rechtstitel die Bestandsache in Besitz genommen haben.

Die Frage, inwieweit der Eingreifer dem älteren Bestandrecht zu weichen hat, darf mit der weiteren Frage, ob und inwieweit er schadenersatzpflichtig ist, nicht identifiziert werden. Das erstangeführte Problem wird von der Judikatur nach Analogie des § 372 ABGB. gelöst. Das bedeutet aber nicht, daß deshalb ausnahmslos alle Rechtsregeln über die Konkurrenz dinglicher Rechte oder den Eingriff in dingliche Rechte anzuwenden wären; denn eine Analogie ist nur insofern zulässig, als die ratio der Rechtsnorm eine rechtsähnliche Anwendung eines anderen Gesetzes rechtfertigt (§ 7 ABGB.). Es darf daher aus dem Umstand, daß § 372 ABGB. auf die Konkurrenz mehrerer Bestandrechte angewendet wird, nicht geschlossen werden, daß auch die Vorschriften über den Schadenersatz bei Verletzung dinglicher Rechte auf den Eingriff in ein Bestandrecht maßgebend zu sein haben.

Diese Analogie muß verneint werden, denn der Bestandnehmer hat kein absolutes, sondern nur ein relatives Recht an der Sache gegenüber dem Bestandgeber, wenn er auch gegen Dritte geschützt wird. Bei Verletzung eines obligatorischen Rechtes kann aber nur Schadenersatz nach dem 30. Hauptstück verlangt werden, nicht aber allein schon deshalb, weil das Recht verletzt wurde. Die Bestimmungen des § 326 ABGB. über den unredlichen Besitz finden daher weder hinsichtlich der Schadenersatzfolgen noch rücksichtlich des Aufwandsersatzes ohne weiteres Anwendung. Es genügt daher nicht, daß der zum Schadenersatz Herangezogene im Sinne des § 368 ABGB. gegrundeten Verdacht hätte schöpfen können, ob er nicht in die Rechte eines Bestandnehmers eingreift, es muß ihm vielmehr darüber hinaus zur Last gelegt werden können, daß er infolge des ihm zumutbaren Grades der Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, daß er die Rechte eines Dritten verkürze (§ 1297 ABGB.). Wenn er, wenn auch objektiv zu Unrecht, es auf einen Räumungsprozeß ankommen ließ, weil er nach seinen subjektiven Verhältnissen ohne Verschulden angenommen hat, daß dem Geschädigten kein Bestandrecht zustehe, so fehlt die Grundlage für einen Schadenersatzanspruch; anders nur dann, wenn ihm vorgeworfen werden kann, daß ihm an seiner irrigen Auffassung ein Verschulden zur Last fällt. § 338 ABGB. kann daher abweichend von der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes nicht angewendet werden. Wäre die vom Obersten Gerichtshof abgelehnte Auffassung richtig, so wäre jeder, der es auf einen Räumungsstreit ankommen läßt, unter allen Umständen vom Tag der Zustellung der Klage an verpflichtet, Schadenersatz zu leisten, wenn er im Räumungsprozeß sachfällig wird, auch wenn er im festen Glauben an ein ihm zustehendes besseres Recht sich in den Rechtsstreit eingelassen hat, ja sogar dann, wenn er im Räumungsprozeß zu Unrecht verurteilt worden wäre.

Auf den konkreten Fall angewendet, muß daher insbesondere zu der Frage Stellung genommen werden, ob die Beklagten nicht mit Rücksicht auf ihre Verhältnisse aus der feststehenden Tatsache, daß die Hauseigentümerin den Vertrag mit den Klägern vernichtet hat, den Schluß ziehen konnten, das Mietverhältnis mit den Klägern sei erloschen, und daß sie trotz Aufhebung der Einweisung weiter in der Wohnung bleiben konnten, ob sie nicht, wie das Erstgericht annimmt, aus dem Umstand, daß sogar vereinzelte oberstgerichtliche Entscheidungen der Meinung Ausdruck gaben, die Wegschaffung von Möbeln bedeute die Auflösung des Bestandvertrages, ohne Verschulden schließen konnten, das Vormietverhältnis sei erloschen, ob sie von ihrem eigenen Anwalt über die tatsächliche Rechtslage aufgeklärt wurden oder nicht und ob und welche Umstände überhaupt vorliegen, die den etwa vorhandenen Irrtum der Beklagten als entschuldbar erscheinen lassen. Da das Berufungsgericht dies von der vom Obersten Gerichtshof abgelehnten Auffassung aus, daß jede objektiv widerrechtliche Innehabung des Bestandgegenstandes bereits schadenersatzpflichtig mache, nicht überprüft hat, so mußte das berufungsgerichtliche Urteil wegen ungenügender Feststellung der Entscheidungsgrundlagen aufgehoben werden.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Berufungsgericht ferner zu beachten haben, daß der Oberste Gerichtshof auch die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes nicht zu teilen vermag, daß das Verbleiben in einer Wohnung trotz Räumungsaufschubes bereits zum Schadenersatz verpflichtete. Denn wer mit Bewilligung des Gerichtes die Wohnung vorläufig nicht räumt, handelt nicht rechtswidrig, so wenig wie ein Schuldner, der von einem ihm behördlich eingeräumten Moratorium Gebrauch macht. Wenn überhaupt, so können die Beklagten daher nur für den Zeitraum schadenersatzpflichtig sein, von dem an sie von der Aufhebung der Einweisung Kenntnis erlangten, bis zu dem Zeitpunkt, da ihnen Räumungsaufschub bewilligt worden ist.

Der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes kann nur insoweit zugestimmt werden, daß die bloße Tatsache, daß der Räumungspflichtige sich in den Räumungsprozeß eingelassen hat, weil er sonst Gefahr lief, vom Wohnungsamt keine Ersatzwohnung zugewiesen zu erhalten, ihn nicht voll zu exkulpieren vermag, weil Notstand nach § 1306a ABGB. von der Schadenersatzpflicht grundsätzlich nicht befreit, es sei denn, daß die vom Gesetz vorgesehene Interessenabwägung dazu führt, ihn ganz oder teilweise von der Verpflichtung zum Ersatz der dem anderen Teile zugefügten Schäden loszusprechen.

Der Umstand, daß die Beklagten seinerzeit ihre alte Wohnung aufgegeben haben, als ihnen die strittige Wohnung zugewiesen wurde, kann die Schlußfolgerung nicht rechtfertigen, daß sie ihren Notstand selbst veranlaßt haben, denn auf Grund der Zuweisung waren sie damals berechtigt, diese Wohnung zu beziehen. Daß diese Zuweisung nachträglich aufgehoben wurde, ist nur für die Zukunft von Bedeutung; im Zeitpunkt der Aufhebung der Zuweisung hatten sie aber die alte Wohnung längst aufgegeben. Ob Notstand vorliegt, kann daher nur nach dem Sachstand im Zeitpunkte der Zustellung der Aufhebung des Einweisungsbescheides beurteilt werden.

Es war daher wie oben zu entscheiden.

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