Spruch:
Die sozialen Verhältnisse des Beschädigten sind für die Höhe des Schmerzengeldanspruches ohne Bedeutung.
Entscheidung vom 21. März 1950, 2 Ob 160/50.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Prozeßgericht hat für den vom Beklagten verschuldeten Kraftwagenunfall unter Berücksichtigung gleichteiligen Mitverschuldens des Klägers diesem einen Schadenersatzbetrag in der Höhe von 1440 S zuerkannt, wovon 1000 S auf eigentliches Schmerzengeld, 300 S als Entschädigung für eine durch den Unfall herbeigeführte Sehstörung und 140 S auf Ersatz für verdorbene Kleider entfallen.
Das Berufungsgericht hat den als Schmerzengeld und Entschädigung für die Sehstörung zuerkannten Betrag erhöht, und zwar hat es das Schmerzengeld verdoppelt und die Entschädigung für die Sehstörung von 300 S auf 1000 S hinaufgesetzt.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des Beklagten, der die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles anstrebte, nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach den auf die ärztlichen Sachverständigengutachten gegrundeten Feststellungen der Untergerichte hat der Kläger durch eine Woche sehr starke Schmerzen, durch 14 Tage mittlere Schmerzen und durch weitere vier Wochen hindurch geringere Schmerzen auszustehen gehabt, wobei vom Berufungsgericht insbesondere in Betracht gezogen wurde, daß es sich dabei um mehrfache schmerzempfindliche Stellen gehandelt hat.
Der Beklagte wendet sich vor allem dagegen, daß das Berufungsgericht der Bemessung des Schmerzengeldes eine Art Schlüssel zugrunde gelegt hat, indem es für die Zeit der starken Schmerzen ein Äquivalent von ungefähr 200 S, für die Zeit der mittleren Schmerzen von 100 S und für die Zeit der geringeren Schmerzen von 50 S täglich als angemessen erachtete. Es ist nun allerdings richtig, daß das Schmerzengeld nicht nach einer tageweise abgestuften Skala, sondern nach dem Gesamtbild der Schmerzen zu bemessen ist (vgl. SZ. XX/253), und daß das Schmerzengeld den gesamten Komplex von schmerzhaften Empfindungen umfassen und abgelten soll (E. v. 5. Februar 1907, GlUNF. 3684). Mit der Ausprägung dieser Rechtssätze sollte aber nur verhindert werden, daß sich feste Taxen ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falles einleben, daß das Schmerzengeld sozusagen schematisiert und daß es ratenweise bemessen wird.
Wenn aber das Berufungsgericht, auf das Sachverständigengutachten abstellend, bei der Bemessung des Schmerzengeldes die Dauer der verschieden graduierten Schmerzen als Bemessungsgrundlage heranzog, so könnte hierin eine Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung nur dann erblickt werden, wenn diese Art der Bemessung zu einem unangemessenen Ergebnis führte. Nach Ansicht des Revisionsgerichtes gibt aber die Bemessung des Schmerzengeldes durch das Berufungsgericht zu Bedenken keinen Anlaß. Wie vom Berufungsgericht betont wurde, hat der Kläger mehrfache Frakturen und eine Verletzung der weichen Schädeldecken erlitten. Der Unfall ist als schlechthin schwer zu bezeichnen. In Anbetracht der Schwere des Unfalles, der Dauer und der Intensität der ausgestandenen Schmerzen erachtet das Revisionsgericht den zugesprochenen Betrag als durchaus angemessen.
Was die Entschädigung für die Sehstörung anbelangt, so handelt es sich auch hier um Schmerzengeld im Sinne des § 1325 ABGB., da auch hier eine Entschädigung für die Schmälerung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens verlangt wird, mit der eine Erwerbseinbuße nicht verbunden war. Auch die Entschädigung für die Sehstörung ist daher nach den Regeln des Ersatzes immateriellen Schadens nach § 1325 ABGB. zu behandeln.
Bei der Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung wendet sich die Revision insbesondere auch dagegen, daß das Berufungsgericht nur die Schwere der Verletzung sowie die Dauer und Intensität der ausgestandenen Schmerzen, nicht aber auch die sozialen Verhältnisse des Beschädigten ins Kalkül gezogen habe. Das Revisionsgericht vermag aber hierin keinen Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes zu erkennen. Die Meinung, daß die Vermögensverhältnisse des Beschädigten die Bemessung des Schmerzengeldes maßgebend beeinflussen sollen, kommt zwar im neueren Schrifttum zum Ausdruck (vgl. Wolff in Klangs Kommentar, 2. Aufl., VI, S. 138). Der Oberste Gerichtshof vermag aber dieser Auffassung nicht beizutreten und hält an der im älteren Schrifttum (vgl. Stubenrauch, Kommentar, II, S. 692, und Neumann - Ettenreich, JBl. 1901, S. 591) sowie in der Rechtsprechung (vgl. E. v. 19. Dezember 1922, ZBl. 1923, Nr. 66, v. 5. Jänner 1915, GlUNF. 7231, u. a. m.) überwiegend vertretenen Auffassung fest, daß die sozialen Verhältnisse des Beschädigten nicht die Höhe seines Schmerzengeldanspruches mindern dürfen. Denn das Schmerzgefühl nimmt auf die sozialen Verhältnisse eines Menschen keine Rücksicht und zu den Vorteilen des Reichtums darf nicht noch kommen, daß die Schmerzen eines Reichen mehr gelten sollen als die eines Armen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)