OGH 1Ob110/50

OGH1Ob110/501.3.1950

SZ 23/46

Normen

ABGB §726
ABGB §805
ABGB §808
ABGB §809
ABGB §862
ABGB §1278
AußStrG §16
ABGB §726
ABGB §805
ABGB §808
ABGB §809
ABGB §862
ABGB §1278
AußStrG §16

 

Spruch:

"Erbsentschlagung" oder "Erbverzicht" zugunsten einer bestimmten Person ist keine Ausschlagung im Sinne der §§ 726, 805 und 809 ABGB., sondern ein unentgeltlicher Erbverzicht, der den Vorschriften des § 1278 ABGB. unterliegt. Ein solcher Verzicht ist keine einseitige Erklärung an das Gericht wie die Ausschlagung, sondern ein Vertrag, der nach § 1278 Abs. 2 ABGB. formgebunden ist.

Entscheidung vom 1. März 1950, 1 Ob 110/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Scheibbs; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Der am 9. August 1943 verstorbene Dachdeckermeister Johann E. hinterließ drei eheliche Kinder Johann E., Berta B. und Juliana B. Am 27. April 1946 hat Juliana B. vor dem Notar Dr. F. als Gerichtskommissär in Abwesenheit ihrer Geschwister die Erklärung abgegeben, daß sie zum Nachlaß nach ihrem Vater Johann E. auf jeden Erbrechts- und Pflichtteilsanspruch zugunsten ihrer Schwester Berta B. verzichte und auch auf jede weitere Ladung zu den Abhandlungstagsatzungen Verzicht leiste, so daß die Abhandlung ohne ihr weiteres Zutun fortgesetzt werden könne.

Im Akte erliegt ein weiteres, nicht datiertes Protokoll, aufgenommen vom Notar Dr. F. als Gerichtskommissär, in dem die erblasserischen Kinder Johann E. und Berta B. zur Kenntnis nahmen, daß die erblasserische Tochter Juliana B. laut Niederschrift vom 27. April 1946 auf ihren Erb- und Pflichtteilsanspruch zugunsten der erblasserischen Tochter Berta B. verzichtet habe.

Das Protokoll fährt dann fort: "Da der Erblasser eine letztwillige Anordnung nicht hinterlassen hat, tritt die gesetzliche Erbfolge ein, zu welcher berufen sind: Der erblasserische Sohn Johann E. zu einem Drittel des Nachlasses und die erblasserische Tochter Berta B. mit Rücksicht auf den Verzicht der erblasserischen Juliana B. zu zwei Dritteln des Nachlasses. Nach Belehrung über die Arten der Erbserklärung geben nunmehr die bedingte Erbserklärung ab, u. zw. der erblasserische Sohn Johann E. auf Grund des Gesetzes zu einem Drittel des Nachlasses und die erblasserische Tochter Berta B. zu zwei Dritteln des Nachlasses auf Grund des Gesetzes, bzw. über Verzicht der erblasserischen Tochter Juliana B."

Am 27. September 1949 fand die Inventur und Schätzung durch den Notariatskandidaten Dr. H. statt. Bei dieser Gelegenheit zog die erblasserische Tochter Juliana B. den von ihr am 27. April 1946 abgegebenen bedingungslosen Erbverzicht zugunsten ihrer Schwester Berta B. zurück und gab zur Hälfte des Nachlasses die bedingte Erbserklärung ab. Berta B. beantragte mit Rücksicht auf die widersprechenden Erbserklärungen die Vorlage des Abhandlungsaktes an das Bezirksgericht zwecks Feststellung der Kläger- und Beklagtenrolle in dem nunmehr zu erwartenden Erbrechtsstreit.

Das Abhandlungsgericht hat darauf verfügt, daß erstens die Erbschaftsausschlagung der Juliana B. zugunsten der Berta B. zur Kenntnis diene, zweitens die von Juliana B. abgegebene bedingte Erbserklärung zu einem Drittel zurückgewiesen, dagegen drittens die von Johann E. abgegebene Erbserklärung zu einem Drittel und von Berta B. zu zwei Dritteln des Nachlasses aus dem Titel der Gesetze zu Gericht angenommen werde. Die Begründung geht im wesentlichen dahin, daß die Erbschaftsausschlagung unwiderruflich sei, wobei es bedeutungslos sei, wann das Abhandlungsgericht die Erbschaftsausschlagung zur Kenntnis genommen habe. Das Rekursgericht hat diesen Beschluß im wesentlichen aus den gleichen Gründen bestätigt.

Der Oberste Gerichtshof wies den außerordentlichen Revisionsrekurs als unzulässig zurück.

Rechtliche Beurteilung

Begründung

Eine Ausschlagung der Erbschaft gemäß §§ 726, 805, 808 und 809 ABGB. ist nur dann anzunehmen, wenn der Ausschlagende schlechthin auf den ihm angefallenen Nachlaß verzichtet mit der Wirkung, daß der Anfall als nicht erfolgt gilt, so daß die Erbschaft nicht ihm, sondern denjenigen Personen anfällt, die berufen gewesen wären, wenn er bereits vor dem Anfall weggefallen wäre. Wird aber auf die Erbschaft zugunsten bestimmter Personen verzichtet, denen die Erbschaft (Quote) des Verzichtenden bei seinem Wegfall nicht zur Gänze angefallen wäre, so liegt keine Ausschlagung, sondern ein unentgeltlicher Erbverzicht vor, der den Vorschriften des § 1278 ABGB. unterliegt. Ein solcher Verzicht ist aber keine einseitige Erklärung an das Gericht wie die Ausschlagung, sondern ein Vertrag, der gemäß § 1278 Abs. 2 ABGB. formgebunden ist und zu seiner Gültigkeit der Aufnahme eines Notariatsaktes oder der Beurkundung durch ein gerichtliches Protokoll bedarf (SZ. XIV/2).

Im vorliegenden Fall hat Juliana B. zugunsten ihrer Schwester Berta

B. auf ihre Erbquote verzichtet, der im Falle des Wegfalles der Juliana B. nur die Hälfte der dieser angefallenen Quote zugefallen wäre. Es liegt also keine Ausschlagung, sondern ein Erbverzicht vor. Dieser wäre daher nur dann gültig, wenn die Formvorschriften des § 1278 Abs. 2 eingehalten wären. Das ist aber nicht der Fall. Aufnahme eines Notariatsaktes kommt nach dem Akteninhalt überhaupt nicht in Frage, aber auch die Beurkundung zu gerichtlichem Protokoll liegt nicht vor. Da der Erbverzicht zugunsten eines Dritten als Vertrag zu werten ist, so müssen a) eine Offerte an den Begünstigten vorliegen,

b) diese Offerte und die Annahmeerklärung, die an den Erklärenden gerichtet ist, durch Gerichtsprotokoll beurkundet sein. Dem Gerichtsprotokoll steht die Erklärung zu Protokoll eines Notares als Gerichtskommissär gleich. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Erklärung, zu verzichten, ist nicht an Berta B., die Begünstigte, gerichtet, sondern an das Gericht. Die Anerklärte hat nie zu Protokoll erklärt, dieses Angebot anzunehmen, sondern nur die Erklärung an den Notar abgegeben, den Erbverzicht ihrer Schwester zu ihren Gunsten zur Kenntnis zu nehmen und auf dieser Grundlage eine Erbserklärung zu zwei Dritteln des Nachlasses abgegeben. Es fehlt daher die gerichtliche Protokollierung der beiderseitigen Willenserklärungen, die § 1278 Abs. 2 ABGB. verlangt.

Nach dem Aktenstand haben die beiden erblasserischen Töchter miteinander keinen Vertrag schließen wollen noch abgeschlossen, sondern sind von der offenbar unrichtigen, auch von den Untergerichten geteilten Rechtsanschauung ausgegangen, daß durch die einseitige Verzichtserklärung der Juliana B. an das Gericht und durch die einseitige Erbserklärung der Berta B. diese auch bezüglich der Quote Juliane B. Erbenqualität erworben habe. Dazu kommt noch, daß Anträge nicht zeitlich unbeschränkt verbindlich sind, sondern unverzüglich angenommen werden müssen (§ 862 ABGB.); eine unverzügliche Annahme zu gerichtlichem Protokoll liegt aber aktenmäßig nicht vor.

Aus allen diesen Umständen ist zu folgern, daß ein gültiger Erbverzicht im Sinne des § 1278 ABGB. zugunsten der Berta B. nicht zustande gekommen ist.

Dennoch ist der von Juliana B. fristgerecht eingebrachte Revisionsrekurs unzulässig. Gemäß § 16 AußstrG. kann bei konformen Entscheidungen der ersten und zweiten Instanz Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof unter anderem nur wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit erhoben werden. Von offenbarer Gesetzwidrigkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle kann aber nur dann gesprochen werden, wenn die Rechtsfrage von den Untergerichten im Widerspruch zum klaren Wortlaut des Gesetzes gelöst wurde. Davon kann aber im vorliegenden Falle nicht gesprochen werden. Die ständige Praxis kam zu ihrer gegenteiligen Auffassung nur im Wege der Auslegung; es kann demnach nicht gesagt werden, daß die Entscheidungen der Untergerichte gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes verstoßen. Daher war, obgleich - wie oben ausgeführt - die Rechtsansicht der Untergerichte der des Obersten Gerichtshofes nicht entspricht, der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, da es dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist, in diesem Verfahren die vorliegende unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch die Untergerichte wahrzunehmen.

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