OGH 4Ob50/49

OGH4Ob50/492.2.1950

SZ 23/20

Normen

ABGB §879
Kollektivvertragsgesetz §2
Kollektivvertragsgesetz §6
Kollektivvertragsgesetz §16
ABGB §879
Kollektivvertragsgesetz §2
Kollektivvertragsgesetz §6
Kollektivvertragsgesetz §16

 

Spruch:

Wenn im Kollektivvertrag ein Mindestmaß der einzuschränkenden wöchentlichen Arbeitszeit vorgesehen ist, so ist die Vereinbarung eines Urlaubes gegen Karenz der Gebühren unzulässig, auch wenn dem Arbeiter die Möglichkeit gewährt wird, die Aussetzungszeit nachzuarbeiten.

Entscheidung vom 2. Februar 1950, 4 Ob 50/49.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der vom Erstgericht abgewiesenen Klage auf Lohnnachzahlung für einen vereinbarten Karenzurlaub wurde vom Berufungsgericht Folge gegeben.

Aus den Entscheidungsgründen des Berufungsgerichtes:

Unbestritten ist folgender Sachverhalt: Der beklagte Arbeitgeber hat (mangels eines Betriebsrates) mit seinen sämtlichen Arbeiterinnen, darunter auch der Klägerin, vereinbart, daß wegen Arbeitsmangels in der Zeit vom 24. August bis 7. September 1948 die weiblichen Beschäftigten "unter Karenz der Gebühren auf Urlaub gehen" sollten. Der Klägerin wurde die Möglichkeit gegeben, die "Aussetzungszeit" nachzuarbeiten.

Das Erstgericht war der Rechtsauffassung, daß eine derartige Vereinbarung nicht den Bestimmungen des § 6 des Kollektivvertrages für die holzverarbeitende Industrie widerspreche und wies das Klagebegehren ab. § 6 des Kollektivvertrages beziehe sich lediglich auf Kurzarbeit, schließe jedoch die Vereinbarung eines Urlaubes unter Karenz der Gebühren nicht aus.

Diesen Rechtsstandpunkt bekämpft die Berufung der Klägerin unter Hinweis darauf, daß nach § 6 des Kollektivvertrages eine Vereinbarung auf Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit unter 36 Stunden unzulässig sei. Diese Bestimmung des Kollektivvertrages habe gemäß § 2 des Kollektivvertragsgesetzes nicht zuungunsten der Dienstnehmerin eingeschränkt werden können.

Die Berufung ist berechtigt.

Der zur fraglichen Zeit und auch heute noch unbestrittenermaßen in Geltung stehende Kollektivvertrag für die holzverarbeitende Industrie und das holzverarbeitende Gewerbe Österreichs vom 20. März 1948 enthält über einen Urlaub gegen Karenz der Gebühren keine ausdrückliche Bestimmung. § 6 sieht aber den Fall geringer Beschäftigung vor, der rechtlich gleichbedeutend ist mit dem hier unbestrittenermaßen vorliegenden Fall des Arbeitsmangels. In diesem Falle kann die Arbeitszeit nach Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat - hier den Arbeitnehmerinnen - bis auf 36 Stunden wöchentlich herabgesetzt werden. Mit Rücksicht auf dieses zwingend festgesetzte Mindestmaß der einzuschränkenden wöchentlichen Arbeitszeit ist die Vereinbarung einer weiteren Herabsetzung (unter 36 Stunden) und damit auch der gänzlichen Aussetzung der Arbeitszeit durch zwei Wochen unter Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrages nur zulässig, wenn sie zugunsten der Arbeitnehmer ist. Davon kann im gegebenen Falle nicht die Rede sein, da die Gewährung irgendwelcher anderweitiger Vorteile an die Arbeiterinnen, die den Wegfall des Arbeitsentgeltes während der zweiwöchigen Aussetzung ausgleichen könnten, nicht behauptet wurde und nach der Sachlage auch nicht in Frage kommt. Die Vereinbarung verstößt demnach gegen die Bestimmung des § 2 des Kollektivvertragsgesetzes und ist nichtig (§ 879 ABGB.). Der der Höhe nach unbestritten gebliebene Klagsanspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes während der Aussetzungszeit besteht demnach zu Recht.

Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:

Es ist zwar richtig, daß zwischen Kurzarbeit und Karenz der Bezüge ein gewisser Unterschied besteht. Der in der Revision vertretenen Ansicht, daß bei Karenzurlaub das Dienstverhältnis im vollen nicht reduzierten Inhalt, bei Kurzarbeit hingegen in einem reduzierten Umfang aufrechterhalten wird vermag sich der Oberste Gerichtshof jedoch nicht anzuschließen. Die Revision gerät mit sich selbst in Widerspruch, wenn sie in weiterer Ausführung meint, das Arbeitsverhältnis des gegen Karenz der Gebühren Beurlaubten sei praktisch sistiert, der Dienstnehmer könne ungehindert in der Karenzzeit eine andere Beschäftigung ausüben. Das Ausüben einer anderen Beschäftigung ist ausgeschlossen, solange das Dienstverhältnis im vollen Umfang aufrechterhalten wird.

Der Oberste Gerichtshof vermag der Revision auch in der Auslegung des § 6 des Kollektivvertrages für die holzverarbeitende Industrie und das holzverarbeitende Gewerbe Österreichs nicht zu folgen. Die Fassung dieser Bestimmung des Kollektivvertrages rechtfertigt keineswegs den Schluß, daß sie nur als Beschränkung der Befugnisse des Betriebsrates gedacht ist und daß mit dem einzelnen Arbeitnehmer Kurzarbeit auch unter 36 Stunden in der Woche vereinbart werden könne.

Dem Kollektivvertrag für die holzverarbeitende Industrie und das holzverarbeitende Gewerbe Österreichs ist vielmehr ohne weiteres die Tendenz zu entnehmen, dem Arbeitnehmer eine ununterbrochene Beschäftigung von mindestens 36 Stunden in der Woche und im Falle der Auflösung des Dienstverhältnisses die Einhaltung einer Kündigungsfrist zu sichern. Es käme einer Umgehung der Bestimmungen des Kollektivvertrages gleich, wenn man Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf unbezahlten Urlaub ohne Einschränkung zuließe.

Obwohl der Kollektivvertrag die Vereinbarung eines Urlaubs gegen Karenz der Bezüge nicht ausdrücklich ausschließt, ist eine diesbezügliche Sondervereinbarung, weil sie mit den §§ 6 und 16 des Kollektivvertrages nicht in Einklang gebracht werden kann, nach § 2 Abs. 3 des Kollektivvertragsgesetzes nur gültig, soweit sie für den Dienstnehmer günstiger ist. Diese Voraussetzung ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil der unbezahlte Urlaub wegen Arbeitsmangel, also über Veranlassung des Dienstgebers und in seinem Interesse vereinbart worden ist.

Die Tatsache, daß der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Aussetzungszeit nachzuarbeiten, bewirkt noch nicht, daß die Vereinbarung für sie günstiger war, d. h. sie besser gestellt hat, als sie durch den Inhalt des Kollektivvertrags gestellt war. Die Lösung des Dienstverhältnisses kommt bei diesem Vergleich nicht in Betracht, weil der Arbeitgeber nicht die ihm nach dem Kollektivvertrag zustehende Möglichkeit der Lösung des Dienstverhältnisses gewählt hat, sondern das Dienstverhältnis aufrechterhalten wollte.

Der Entscheidung des Berufungsgerichtes haftet daher ein Rechtsirrtum nicht an, weshalb sie zu bestätigen war.

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