Normen
AktG §70
AktG §75
AktG §78
AktG §95
ABGB §1151
AngG §1
AngG §8
AngG §26
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4
AktG §70
AktG §75
AktG §78
AktG §95
ABGB §1151
AngG §1
AngG §8
AngG §26
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4
Spruch:
Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, die vertraglich verpflichtet sind, ihre ganze Arbeitskraft ausschließlich der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, und die mit der ausschließlichen kaufmännischen Leitung des Unternehmens betraut sind, auf unbestimmte Zeit mit fixen Bezügen angestellt und einjährig auf den Vierteljahresschluß kundbar sind, unterliegen dem Angestelltengesetz.
Entscheidung vom 14. Dezember 1949, 1 Ob 57/49.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Teilurteil des Prozeßgerichtes, womit dem Kläger Kündigungsentschädigung und Abfertigung zuerkannt worden ist, wurde von den oberen Instanzen bestätigt.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:
Kläger steht seit mehr als 30 Jahren im Dienste der Beklagten. Anläßlich der Einführung des deutschen Aktiengesetzes wurde er zum Mitglied des Vorstandes bestellt. Am 28. Juli 1939 hat er mit der Beklagten einen Vertrag abgeschlossen, auf den Kläger die in diesem Prozeß geltend gemachten Ansprüche stützt. Laut Punkt I dieses Vertrages bekleidet Kläger die Stellung eines Vorstandsmitgliedes und ist mit der kaufmännischen Leitung des Unternehmens betraut. Gemäß Punkt II ist der Kläger verpflichtet, seine ganze Arbeitskraft ausschließlich der Beklagten zu widmen. Nach Punkt III ist er bei der Geschäftsführung an die gesetzlichen Bestimmungen, den Gesellschaftsvertrag der Beklagten und an die Anweisungen des Aufsichtsrates gebunden. Punkt IV regelt die Bezüge. Neben einem festen Gehalt von jährlich 10.000 RM erhält er eine garantierte Tantieme von 10.000 RM. Überdies steht ihm nach Punkt V noch ein jährliches Wohnungsgeld von 4500 RM zu. Punkt VI bestimmt endlich, daß dieser Vertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wird; er kann von beiden Teilen nur mit einjähriger Frist auf Vierteljahresschluß gekundigt werden.
Es ist unbestritten, daß dieser Vertrag im Zeitpunkte des deutschen Zusammenbruches noch in Kraft stand.
Als die Russen in Wien einmarschierten, befand sich Kläger im sogenannten Altreich; er behauptete, er sei auf einer Geschäftsreise von den Ereignissen überrascht worden; feststeht jedenfalls, daß er erst im September 1945 nach Wien zurückkehrte, in einem Zeitpunkt, in dem bereits ein öffentlicher Verwalter für die Beklagte bestellt war. Es erübrigt sich, auf die Frage näher einzugehen, ob die Angaben des Klägers über die Ursachen seiner Abreise von Wien und seiner verspäteten Rückkehr richtig sind, weil die Beklagte im Herbst 1945 keine Folgerungen aus seiner verspäteten Rückkehr gezogen hat und im Zeitpunkte der Auflösung des Dienstverhältnisses (Jahreswende 1946/47) die Beklagte keinesfalls mehr darauf hätte zurückkommen können.
Da die Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und dem öffentlichen Verwalter der Beklagten zu Schwierigkeiten führte, so kam es am 22. Februar 1946 zu einem "Kompromiß", in dem vereinbart wurde, daß sich der Kläger jeder Einflußnahme auf die Geschäftsführung bis zur Erlassung des neuen Verwaltergesetzes enthalten werde. Im Juni 1946 kam es dann zu einer provisorischen Vereinbarung, wonach Kläger sich vorläufig mit einer Auszahlung von 1.000 S monatlich unter Vorbehalt seiner Ansprüche einverstanden erklärte. Da die Beklagte diese Zahlung Ende November 1946 einstellte, erklärte Kläger nach vorheriger Einmahnung seinen Austritt und begehrte von der Beklagten u. a. Kündigungsentschädigung und Abfertigung, die ihm von der ersten Instanz mit Teilurteil zuerkannt wurden; die zweite Instanz hat diese Entscheidung bestätigt.
Die dagegen erhobene Revision macht die Revisionsgrunde des § 503 Z. 1, 2 und 4 ZPO. geltend. Sie ist nicht begrundet.
Die Revision bekämpft zunächst die Unterstellung des Rechtsverhältnisses der Beklagten mit dem Kläger unter das Angestelltengesetz. Sie meint, daß ein Vorstandsmitglied nur dann als Dienstnehmer anzusehen ist, wenn es neben den Agenden des Vorstandes auch noch andere Agenden übernimmt, die nicht Sache eines Vorstandes sind, und daß insbesondere ein Vorstandsmitglied nur dann dem Angestelltengesetz unterstehe, wenn die Anwendung dieses Gesetzes vertragsmäßig ausdrücklich vereinbart worden ist. Diese Auffassung ist rechtsirrig.
Das Aktiengesetz unterscheidet zwischen der Bestellung zum Vorstand, d. h. der Rechtshandlung, die dem Vorstandsmitglied nach außen seine Stellung verleiht, und der Anstellung, die das Dienstverhältnis nach innen regelt (§ 75 Abs. 1 AktienG.). Die Anstellung kann entgeltlich oder unentgeltlich sein; sie kann auf einem Werkvertrag, einem "freien" Dienstvertrag oder einem Dienstvertrag im Sinne des § 1151 ABGB. beruhen. § 78 Abs. 1 AktienG. sieht nicht nur die Gewährung eines "Gehaltes" vor, also eines Lohnbezuges, sondern spricht auch von Ruhegehältern und Hinterbliebenenbezügen, also Leistungen, wie sie üblicherweise nur ausgedienten Angestellten gewährt werden, und bezeichnet im § 78 Abs. 3 AktienG. das Angestelltenverhältnis geradezu als "Dienstverhältnis".
Ob nun im einzelnen der Anstellungsvertrag als Werkvertrag, freier Dienstvertrag oder Dienstvertrag im technischen Sinne anzusehen ist, kann nur der Analyse des betreffenden Vertrages entnommen werden.
Im vorliegenden Fall hat Kläger nicht etwa einen Anstellungsvertrag auf die Dauer seiner Vorstandsmitgliedschaft abgeschlossen, sondern einen Vertrag auf unbestimmte Zeit, einjährig kundbar. Schon diese Umstände weisen darauf hin, daß Anstellungsverhältnis und Vorstandsverhältnis - nach dem Willen der Vertragspartner als nicht zusammenfallend angesehen wurden.
Nach dem Aktiengesetz ist der Wirkungskreis des Vorstandes fest umschrieben (§§ 70 ff. AktienG.), der Aufsichtsrat ist nicht befugt, dem Vorstand in dessen Eigenschaft Weisungen für die Führung der Geschäfte zu erteilen, er ist auf das Kontrollrecht und auf die Zustimmungserteilung zu bestimmten Arten von Geschäften im Sinne des § 95 Abs. 5 AktienG. beschränkt. Wenn daher Kläger im Punkt I des Vertrages mit der kaufmännischen Leitung des Unternehmens betraut wird, so kann diese Bestimmung nur dahin verstanden werden, daß ihm über die ihm als Vorstandsmitglied der Gesellschaft obliegende allgemeine Leitung des Unternehmens hinaus durch Dienstvertrag auch die ausschließliche kaufmännische Leitung insbesondere übertragen wird. Die Bestimmung im Punkt III, daß er die Geschäfte nach den an ihn ergehenden Weisungen des Aufsichtsrates zu führen hat, scheint allenfalls in diesem Sinne gemeint zu sein, sie muß aber als unwirksam außer Betracht bleiben, weil nach dem Aktiengesetz der Aufsichtsrat nicht berechtigt ist, Angestellten Aufträge zu erteilen, da er damit in die gesetzlichen Prärogativen des Vorstandes eingreifen würde.
Aus Punkt II des Vertrages folgt ferner, daß der Kläger das Unternehmen nicht etwa selbständig in Angliederung an eine freie wirtschaftliche Betätigung zu führen hatte, wie das z. B. bei einem Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer der Fall ist, der nebenberuflich die Vorstandsstelle einer Aktiengesellschaft übernimmt, sondern daß er sich ausschließlich der Beklagten zu widmen hatte und ohne Genehmigung des Aufsichtsrates keine Nebenbeschäftigung, auch keine unbesoldete, übernehmen durfte. Wer sich aber in dieser Weise einem Unternehmen verschreibt, von dem kann man weder sagen, daß er die Vorstandstätigkeit auf Grund eines Werkvertrages noch daß er sie auf Grund eines freien Dienstvertrages übernommen hat. Ein solches auf unbestimmte Dauer berechnetes, mit fixen, vom Betriebsergebnis unabhängigen Bezügen dotiertes Verhältnis muß vielmehr im Sinne des § 1151 ABGB. als eine Verpflichtung zur Dienstleistung, also als Dienstvertrag qualifiziert werden.
Die Abgrenzung, ob Dienstvertrag im Sinne des § 1151 ABGB. oder Angestelltenverhältnis im Sinne des Angestelltengesetzes, ist allein davon abhängig, ob die Anwendungsbedingungen des § 1 AngG. gegeben sind. Das ist aber zu bejahen, da dem Kläger die kaufmännische Seite des Unternehmens der Beklagten oblag und das Dienstverhältnis nach P. II des Vertrages nicht nur hauptberuflich, sondern sogar ausschließlich die Erwerbstätigkeit des Klägers in Anspruch nahm.
Das Berufungsgericht hat daher das Vertragsverhältnis des Klägers mit Recht dem Angestelltengesetz unterstellt.
Damit ist aber der Prozeß im wesentlichen zugunsten des Klägers entschieden, denn nach den Feststellungen der Untergerichte hatte Kläger zwar vorläufig mit Rücksicht auf die Einsetzung eines öffentlichen Verwalters keinen Dienst zu leisten, sollte aber nichtsdestoweniger 1000 S monatlich bis auf weitere Regelung erhalten. In dieser Vereinbarung liegt ein Vertrag, den die Beklagte zu halten verpflichtet war. Mit Rücksicht auf diese Vereinbarung war daher die Beklagte nicht berechtigt, dem Kläger seine Bezüge vollständig einzustellen, weil er keinen Dienst machte. Durch den Abschluß dieser Vereinbarung hatte sie jedenfalls dieses Recht, falls es ihr zugestanden ist, verwirkt.
Da die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes die Bezüge um die Jahreswende 1946/47 eingestellt hat, so war Kläger berechtigt, gemäß § 26 Z. 2 AngG. seinen vorzeitigen Austritt zu erklären. Ob der Beklagten an der Nichtzahlung der Bezüge ein Verschulden zur Last zu legen ist oder nicht, ist rechtlich bedeutungslos, da das Nichtzahlen der Bezüge an sich genügt, weil bei Geldzahlungen - und Lohnzahlungen sind Geldzahlungen - die Unmöglichkeit, zahlen zu können, immer zu Lasten des Zahlungspflichtigen geht.
Wenn ein Dienstgeber dem Dienstnehmer seinen Lohn oder seinen Gehalt nicht zahlt, nicht zahlen kann oder auch nicht zahlen darf, so kann er nicht verlangen, daß der Lohnempfänger, der von seinen Bezügen seinen Unterhalt decken muß, an dem Dienstverhältnis festhält, das ihm jede andere Beschäftigung und damit auch jeden anderen Erwerb verbietet. Das Nichtzahlenkönnen oder - dürfen der Bezüge ist ein Zufall, der sich im Vermögen des Dienstgebers ereignet hat und der nicht dem Dienstnehmer aufgebürdet werden kann.
Der Kläger hat daher mit Recht das Angestelltenverhältnis gelöst. Das Berufungsgericht hat deshalb auch in diesem Punkte die Rechtslage rechtlich richtig beurteilt.
Auch der Höhe nach bestehen gegen die zuerkannten Beträge keine rechtlichen Bedenken. Da der Kläger niemals auf seine vollen Bezüge verzichtet hat und sich nur vorläufig mit der verkürzten Auszahlung von 1000 S einverstanden erklärt hat - unter Vorbehalt aller seiner Ansprüche -, so hat das Berufungsgericht mit Recht der Berechnung des Anspruches die im Vertrage angegebenen Bezüge zugrunde gelegt.
Eine Kürzung der Bezüge ist im Aktiengesetz nur im § 78 Abs. 2 vorgesehen. Daß die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle gegeben sind, hat die Revisionswerberin gar nicht behauptet. Beklagte ist daher zur Vollzahlung verpflichtet. Eine Kürzung der Bezüge nach § 8 AngG. kam nicht in Betracht, weil § 8 nur dann anwendbar ist, wenn die Dienstverhinderung in der Person des Dienstnehmers eingetreten ist, nicht aber, wenn der Dienstgeber aus was für immer für Gründen verhindert ist, ihn zu beschäftigen.
Die Einsetzung eines öffentlichen Verwalters für die Beklagte hat sich aber nicht in der Rechtssphäre des Klägers ereignet. Auch die Abfertigung wurde dem Kläger mit Rücksicht auf seine jahrzehntelange Angestelltenschaft bei der Beklagten mit Recht zugesprochen.
Eine unrichtige rechtliche Beurteilung liegt demnach nicht vor.
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