OGH 1Ob272/48

OGH1Ob272/487.12.1949

SZ 22/190

Normen

ABGB §154
ZPO §236
ZPO §259
ZPO §411
ABGB §154
ZPO §236
ZPO §259
ZPO §411

 

Spruch:

Die Rechtskraft eines Urteiles reicht nur bis zur Höhe des eingeklagten Betrages, auch wenn es sich um einen Unterhaltsanspruch handelt.

Entscheidung vom 7. Dezember 1949, 1 Ob 272/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht hat das auf Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 50 S gerichtete Klagebegehren abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat der dagegen wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der klagenden Partei Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen und ausgesprochen, daß das Verfahren erster Instanz erst nach Rechtskraft des zweitinstanzlichen Beschlusses fortzusetzen sei. In der Begründung seines Beschlusses führte das Berufungsgericht aus, der Unterhaltsvergleich, den der verstorbene Gatte der Beklagten mit der Klägerin am 9. März 1926 geschlossen habe, habe eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung des Sohnes gegenüber der Mutter betroffen. Mit dem am 7. Februar 1946 erfolgten Tode des Sohnes sei wohl diese gesetzliche Unterhaltspflicht zufolge Beschränkung auf die Lebensdauer des Unterhaltspflichtigen und des Unterhaltsberechtigten erloschen. Die Beklagte sei jedoch mit dem Versäumungsurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 10. September 1947, 31 C 1406/47-2, als Erbin des Verstorbenen zur Weiterzahlung der verglichenen 20 S verurteilt worden. Damit sei rechtskräftig ausgesprochen, daß die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des Sohnes die Vergleichsschuldigkeit ihrerseits zu leisten habe.

Es sei sowohl der Inhalt der Verpflichtung derselbe geblieben, als auch der Charakter der Schuld als Unterhaltsverpflichtung aufrechterhalten worden. Daraus folge, daß zwar die im Vergleich als Erhöhungsgrund angeführte erhebliche Verbesserung der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des E. B. mit dessen Tod die Wirksamkeit verloren habe, da dieser Erhöhungsgrund nur auf seine Person abgestellt gewesen sei und die allfällige Verbesserung der erwähnten Verhältnisse auf seiten der Beklagten ohne Bedeutung sei. Da der Verbindlichkeit der Beklagten aber vermöge des aufrecht gebliebenen Charakters einer Unterhaltsverpflichtung die stillschweigend bedungene clausula rebus sic stantibus in der im Vergleich nicht ausdrücklich angeführten Richtung einer Geldentwertung innewohne, müsse die Frage des Ausmaßes der Verminderung des inneren Wertes der 20 S im Verhältnis zwischen der Zeit des Vergleichsabschlusses und der jetzigen Zeit und die Frage der Nachlaßdeckung geprüft werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgerichte die neuerliche Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

In dem nach § 519 Z. 3 ZPO. zulässigen Rekurs bekämpft die beklagte Partei die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, wonach auf sie die Unterhaltsverbindlichkeit ihres verstorbenen Gatten mit der ihr innewohnenden clausula rebus sic stantibus übergegangen sei.

Der Rekurs ist gerechtfertigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei dem verstorbenen Gatten der Beklagten um die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin als deren Sohn, die jedoch mit seinem Tode erloschen ist. Auf die Beklagte ist diese gesetzliche Unterhaltspflicht nach dem geltenden Recht nicht übergegangen. Wenn sie gleichwohl als Erbin zur Leistung des von ihrem verstorbenen Gatten an die Klägerin nach dem Vergleich zu zahlenden Betrages von 20 S monatlich rechtskräftig verurteilt wurde, so ist diese Verbindlichkeit für die Beklagte erst mit der Rechtskraft dieses Urteiles entstanden. Die Vorschrift des § 154 ABGB. galt nur für den Verstorbenen, ist daher auf die Verbindlichkeit der Beklagten nicht anwendbar, da diese ja nicht als Kind der Klägerin geklagt und verurteilt wurde. Daher fehlt der Verpflichtung der Beklagten die jeder gesetzlichen Unterhaltspflicht zukommende Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten und damit die Eigenschaft der Anpassung des Ausmaßes der Verpflichtung an die in diesen beiden Richtungen eintretenden Änderungen. Die im Vergleich enthaltene clausula rebus sic stantibus wiederholt nur unter Vornahme gewisser Einschränkungen die der Verpflichtung des Verstorbenen schon kraft Gesetzes zukommenden Änderungsmöglichkeiten und kommt daher für die Beklagte nicht in Betracht. Da sie nicht die gesetzliche Unterhaltspflicht des Verstorbenen trifft, sind ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse ohne Bedeutung. Für die Beklagte ist auch hinsichtlich des Ausmaßes ihrer Verpflichtung nur das Urteil maßgebend, das ihre Verbindlichkeit ausspricht.

Die Rechtskraft einer Entscheidung erfaßt nur den Rechtsschutzanspruch, nicht aber den dessen Voraussetzung bildenden privatrechtlichen Anspruch oder das Privatrechtsverhältnis, aber auch nicht den Tatbestand und die Folgerungen des Anspruches. Daher bedeutet die Bejahung oder Verneinung eines Rechtsschutzanspruches keine Entscheidung über den ihn bedingenden privatrechtlichen Anspruch oder ein solches Rechtsverhältnis. Soll in dieser Hinsicht ebenfalls Rechtskraft geschaffen werden, bedarf es daher eines Zwischenantrages im Sinne der §§ 236, 259 ZPO. Demzufolge reicht die Rechtskraft einer Entscheidung nur bis zur Höhe des eingeklagten Teiles eines Anspruches (des Betrages) und erstreckt sich nicht auf den nicht geltend gemachten Rest. Eine nachträgliche Veränderung der Individualisierungsmomente des Anspruches läßt einen neuen Rechtsschutzanspruch entstehen, der durch die Rechtskraft der Entscheidung über den ersteren nicht berührt wird. Dies muß auch für Unterhaltsansprüche z. B. im Falle einer Geldentwertung gelten (vgl. Pollak, ZPR., 2. Aufl., S. 535 ff., insbesondere S. 539; Michlmayr, ZBl. 1930, S. 514 ff.). Da die Beklagte gegenüber der Klägerin weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Unterhaltspflicht trifft, beruht ihre Schuld gegenüber der Klägerin lediglich auf dem rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 10. September 1947 und besteht daher lediglich in der Verpflichtung zur Zahlung eines Betrages von 20 S monatlich ohne Rücksicht auf eine inzwischen etwa eingetretene Verminderung der Kaufkraft dieser 20 S. Der geltend gemachte Erhöhungsanspruch der Klägerin ist somit nicht begrundet.

Die vom Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkte für notwendig erachtete Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens erscheint daher nicht notwendig.

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