OGH 2Ob220/49

OGH2Ob220/4919.10.1949

SZ 22/159

Normen

ABGB §914
ABGB §915
ABGB §1444
Automobilhaftpflichtgesetz §8
Kraftfahrrechts-Überleitungsgesetz vom 12. Dezember 1946, BGBl. Nr. 47/1947 Art1
Einführungsverordnung zum Kraftfahrzeugverkehrsgesetz ArtIII
Einführungsverordnung zum Kraftfahrzeugverkehrsgesetz ArtIV
Kraftfahrzeugverkehrsgesetz §12
Kraftfahrzeugverkehrsgesetz §16
ABGB §914
ABGB §915
ABGB §1444
Automobilhaftpflichtgesetz §8
Kraftfahrrechts-Überleitungsgesetz vom 12. Dezember 1946, BGBl. Nr. 47/1947 Art1
Einführungsverordnung zum Kraftfahrzeugverkehrsgesetz ArtIII
Einführungsverordnung zum Kraftfahrzeugverkehrsgesetz ArtIV
Kraftfahrzeugverkehrsgesetz §12
Kraftfahrzeugverkehrsgesetz §16

 

Spruch:

Art. IV EinfVzKFG. ist durch Art. 1 des Kraftfahrrechts-ÜG. nicht aufgehoben worden.

Ein vor dem Antritt der Fahrt mit einem Kraftwagen erklärter Verzicht auf Ersatzansprüche aus einem etwaigen Unfall ist nur dahin auszulegen, daß der Verzichtende das Risiko eines bei normalem Verlauf der Fahrt eintretenden Schadens auf sich nehmen wollte.

Entscheidung vom 19. Oktober 1949, 2 Ob 220/49.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Gatte der Erstklägerin und Vater der Zweit- und Drittklägerin R. S. verunglückte tödlich, als er auf der Ladefläche eines mit Mostfässern beladenen Lastkraftwagens des Zweitbeklagten mitfuhr; der Lenker dieses Wagens, der Erstbeklagte, wurde vom Strafgerichte rechtskräftig des Vergehens nach § 335 StG. schuldig erkannt, weil er in alkoholisiertem Zustande mit zu großer Geschwindigkeit in eine Kurve fuhr und dadurch den Tod des R. S. verursachte.

Die Witwe des Getöteten machte im eigenen Namen und namens der beiden mj. Töchter Schadenersatzansprüche gegen den schuldtragenden Lenker des Kraftwagens, aber auch gegen dessen Eigentümer als Fahrzeughalter geltend.

Das Prozeßgericht verurteilte den Lenker zu einem Teil des beanspruchten Schadenersatzes und wies das Klagebegehren gegen den Eigentümer des Wagens zur Gänze ab.

Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es beide Beklagten zum Schadenersatz verpflichtete und auch die vom Prozeßgericht festgesetzten Leistungen erhöhte.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen der Beklagten keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision des Zweitbeklagten bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß Artikel IV der EinfVzKFG. in Geltung stehe und daß er für die Unfallsfolgen mithafte. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist zutreffend. Artikel 1 des Kraftfahrrechts-ÜG., BGBl. Nr. 47/47, hat Artikel IV der EinfVzKFG. nicht aufgehoben, wie wiederholt in Entscheidungen des Revisionsgerichtes ausgesprochen und auch im Schrifttum vertreten wurde. Mit dem genannten Artikel IV wurde das Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909, DRGBl. S. 437, in Österreich eingeführt und eine Vorschrift zur Anpassung dieses Gesetzes an das in Österreich geltende Recht gegeben. Artikel III und IV der Einführungsverordnung enthalten Sonderbestimmungen über die Ersatzansprüche der Geschädigten. Artikel IV insbesondere bestimmt, daß der Halter des Kraftfahrzeuges für das Verschulden von Personen, deren er sich beim Betriebe des Fahrzeuges bedient, insoweit als es sich um deren Dienstleistungen beim Betriebe handelt, auch dort haftet, wo der Ersatzanspruch für den durch den Betrieb des Kraftfahrzeuges verursachten Schaden nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen ist. Mit dieser Bestimmung wurde nicht eine reichsrechtliche Vorschrift in Österreich eingeführt, sondern die bis dahin in Österreich geltende Vorschrift des § 8 des Gesetzes vom 9. August 1908, RGBl. Nr. 162, fast wörtlich übernommen. Mit dem Kraftfahrrechts-ÜG. vom 12. Dezember 1946, BGBl. Nr. 47/47, wurde das Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909, DRGBl. S. 437, mit Ausnahme des zweiten Teiles über die Haftpflicht aufgehoben. Damit blieben die im Kraftfahrrechts-ÜG. ausdrücklich angeführten Bestimmungen der §§ 7 - 20 des Kraftfahrzeugverkehrsgesetzes vom 3. Mai 1909, DRGBl. S. 437, aber auch die Bestimmungen der Einführungsverordnung, welche die Haftpflicht regeln und für Österreich einen Bestandteil des zweiten Teiles des Kraftfahrzeugverkehrsgesetzes bilden, bestehen. Die Einführungsverordnung vom 23. März 1940, DRGBl. I S. 537, ist demgemäß auch nicht unter den aufgehobenen Verordnungen im Artikel 1 Abs. 1 B des Kraftfahrrechts-ÜG. angeführt. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß es widersinnig wäre, die Haftpflichtbestimmungen des Kraftfahrzeugverkehrsgesetzes (§§ 7 - 20) im Abschnitt A des Artikels 1 ausdrücklich aufrechtzuerhalten, die den gleichen Gegenstand aber betreffenden ergänzenden Vorschriften der Einführungsverordnung aufzuheben, was um so weniger begrundet gewesen wäre, als letztere ja den bis dahin in Geltung gestandenen Vorschriften des österreichischen Rechtes angepaßt war.

Der Halter eines Kraftfahrzeuges haftet daher für den Unfallsschaden in dessen Betriebe im Falle eines Verschuldens seines Bediensteten auf Grund des Artikels IV nach den Bestimmungen der §§ 1325 ff. ABGB. (2 Ob 359/48 (Nr. 1), 3 Ob 361/48), demnach ohne die im § 12 Kraftfahrzeugverkehrsgesetz vorgesehenen Beschränkungen im Sinne des § 16 KFG. und gemäß Artikel III Abs. 2 Einführungsverordnung zur ungeteilten Hand mit dem Schuldtragenden.

Die Revision verweist weiter auf die Feststellungen des Erstrichters, daß R. S. es abgelehnt habe, im Führerhause Platz zu nehmen, daß er aufmerksam gemacht wurde, es sei der Platz zwischen den Fässern gefährlich, und er trotzdem erklärt habe, auf eigene Gefahr aufzusitzen. Sie erblickt darin einen Verzicht des R. S. auf Geltendmachung von Ersatzansprüchen aus der gesetzlichen Haftung.

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ist die Erklärung des R. S. kein Verzicht auf Ersatzansprüche aus der Verschuldenshaftung. R. S. wollte damit zum Ausdruck bringen, daß er sich getraue, auch auf der Ladefläche zu fahren, und daß er das Risiko eines Schadens für den Fall auf sich nehmen wollte, als dieser etwa bei normalem Verlaufe der Fahrt eintreten sollte, nicht aber für den Fall, als der Schade durch alleiniges strafrechtliches Verschulden des Lenkers entstehen sollte, woran er fraglos nicht gedacht hat und auch nicht denken konnte.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte