OGH 1Ob262/49

OGH1Ob262/4922.9.1949

SZ 22/138

Normen

ABGB §326
ABGB §335
ABGB §338
ABGB §1295
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §§63 ff
Bundesverfassungsgesetz 1920 Art103 und 130
ZPO §190
ABGB §326
ABGB §335
ABGB §338
ABGB §1295
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §§63 ff
Bundesverfassungsgesetz 1920 Art103 und 130
ZPO §190

 

Spruch:

Bei Entscheidungen der Verwaltungsbehörde tritt die Rechtswirkung mit der Unanfechtbarkeit der Entscheidung ein.

Der administrative Instanzenzug findet in der Regel mit der Entscheidung des Bundesministeriums sein Ende; so ist im Verfahren über Wohnungs- oder Betriebsraum-Einweisungen der Widerrufs- oder Aufhebungsbescheid mit der Entscheidung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung ein endgültiger. Die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde ist nur ein außerordentliches Rechtsmittel.

Mit der formellen Rechtskraft des Widerrufserkenntnisses wird der Besitzer unredlich.

Entscheidung vom 22. September 1949, 1 Ob 262/49.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin, Inhaberin einer Parfümeriefabrik, begehrt von der Beklagten, einer Kleiderfabrik, den Ersatz des Schadens, den sie dadurch erlitten habe, daß sie in der Zeit vom 1. September 1947 bis 1. Jänner 1948 gezwungen war, ihren Betrieb in unzulänglichen Räumen zu führen statt in den Betriebsräumen, die ihr seit 1942 in ... zur Verfügung standen, in deren Besitz aber sich die Beklagte im Jahre 1946 gesetzt hatte, nachdem der Betrieb der Klägerin in den letzten Kriegsmonaten Materialmangels wegen stillgelegt worden war.

Das Erstgericht hat die auf die §§ 335, 338, 1295 ABGB. gestützte Schadenersatzklage, ohne in die Hauptsache einzugehen, aus rechtlichen Erwägungen abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat das erstrichterliche Urteil aufgehoben und die Sache an das Prozeßgericht zur fortgesetzten Verhandlung und neuerlichen Entscheidung - unter Rechtskraftvorbehalt - zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:

Der Revisionsrekurs, richtig Rekurs der beklagten Partei ist nicht begrundet.

Die klagende Partei leitet ihren Schadenersatzanspruch daraus ab, daß die beklagte Firma die Geschäftsräume, die früher von der Firma der Klägerin benützt wurden, nicht unmittelbar nach der im verwaltungsrechtlichen Instanzenzug erfolgten Aufhebung der Benützungsbewilligung freigegeben, sondern noch eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erhoben habe, die zwar ohne Erfolg geblieben war, wodurch sich aber die Räumung weiter verzögerte. Hiedurch sei die klagende Partei an der Ausgestaltung ihres Betriebes und am Verdienste gehindert worden.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, daß die Klägerin nicht vor dem Herablangen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zur Räumung verpflichtet war und daß im übrigen ein Schadenersatzanspruch unter Bedachtnahme auf § 338 (gemeint sind §§ 335, 338) ABGB. deshalb nicht begrundet sei, weil sich diese Gesetzesstelle nicht auf den Fall einer rechtsgestaltenden, sondern einer rechtsfeststellenden Verfügung beziehe.

Das Berufungsgericht trat dem Standpunkte des Erstgerichtes insofern bei, als es gleichfalls der Ansicht war, "daß die Zuweisung der Betriebsräume an die Beklagte bis zum Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Wirksamkeit blieb und erst in diesem Zeitpunkte durch Widerruf außer Kraft trat". Hingegen schloß sich das Berufungsgericht der Ansicht des Erstrichters nicht an, soweit sich dieser gegen die Anwendung des § 338 ABGB. ausgesprochen hatte, vielmehr meinte das Berufungsgericht, es handle sich im gegenständlichen Falle um einen Rechtsbesitz, "der vom Zeitpunkte seines Widerrufes strittig und daher in analoger Anwendung des § 338 ABGB. spätestens vom Zeitpunkte der Entscheidung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung, d. i. vom 30. August 1947, dem eines unredlichen Besitzers gleichzustellen" sei.

In dieser Begründung sieht die Rekurswerberin mit Recht insofern einen Widerspruch, als der Beschluß des Berufungsgerichtes der Meinung Ausdruck gibt, daß die Beklagte bis zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zur Benützung der Betriebsräume legitimiert war, daß aber schon vom Zeitpunkte des Ergehens der Entscheidung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung an auf Seite der Beklagten Unredlichkeit und daher die Voraussetzung der Schadenersatzpflicht gegeben sei. Hiezu meint die Beklagte, daß die erstere Ansicht richtig sei, gerade deshalb aber die Schadenersatzpflicht ausgeschlossen wäre. Letztere Meinung des Rekurses ist jedoch unrichtig, weil die Rechtsansicht der Untergerichte über den Zeitpunkt des Erlöschens des Titels verfehlt ist. Mit der formellen Rechtskraft des Widerrufserkenntnisses, die mit Erlassung der Entscheidung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung eingetreten ist, hat die Berechtigung zur Benützung der Betriebsräume für die Beklagte aufgehört. Gleich gerichtlichen Urteilen erlangen auch Entscheidungen der Verwaltungsbehörden ihre Rechtswirkung in dem Zeitpunkt, in dem sie unanfechtbar geworden sind. Es liegt kein Grund vor, Entscheidungen von Verwaltungsbehörden hinsichtlich ihrer bindenden Kraft anders als die Entscheidungen der Gerichte zu behandeln (Schell, JBl. 1925, S. 211 ff., 1 Ob 880/47, EvBl. 1948, Nr. 161). Die Ansicht der Untergerichte, daß die Zuweisung der Betriebsräume an die Beklagte bis zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes in Wirksamkeit blieb, ist deshalb verfehlt, weil das Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht mehr als ordentliches, sondern als außerordentliches Rechtsmittel zu bezeichnen ist, woran auch die Tatsache nichts ändert, daß der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt worden ist. Der Widerrufs- oder Aufhebungsbescheid ist mit der Entscheidung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung ein endgültiger geworden. Die aufschiebende Wirkung hat nur zur Folge, daß eine Exekutionsführung, d. h. die Räumung, nicht vorgenommen werden kann. Dies ergibt sich auch aus den Ausführungen von Adamovich, Grundriß des österr. Verwaltungsrechts, 4. Aufl., 1948, S. 128. Die im Instanzenzug erflossene rechtskräftige Entscheidung, die zuungunsten der Beklagten ausfiel, ist imstande, ihr die Redlichkeit zu nehmen. Dort aber, wo die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde von Erfolg begleitet war und in der Zwischenzeit - das ist vom Zeitpunkte der Rechtskraft bis zum Herablangen der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes - Schadenersatz an den im Verwaltungsverfahren Obsiegenden geleistet wurde, steht ein Kondiktionsrecht zu. Der Instanzenzug findet jedenfalls sein Ende mit der Entscheidung des Bundesministeriums (ÖJZ. 1948, S. 326, A k 21).

Müßig jedoch sind im vorliegenden Falle die in den Rechtsmittelschriften der Parteien vorgenommenen Erörterungen darüber, ob es sich um eine rechtsgestaltende oder um eine deklarative oder konstitutive Entscheidung mit Tatbestandswirkung gehandelt habe (1 Ob 153/47; 1 Ob 880/47, EvBl. 1948, Nr. 161; 3 Ob 42/48 = EvBl. 1948, Nr. 309; 2 Ob 130/48 und im Gegensatze hiezu 1 Ob 135/46, 1 Ob 278/46, 1 Ob 766/47). Solange der Widerruf der Benützungsbewilligung im Instanzenzug strittig war, mag diesen Fragen an sich Bedeutung zugekommen sein. Im vorliegenden Fall jedoch sind diese Unterscheidungen deshalb nicht von Belang, weil die Klägerin ihren Schadenersatzanspruch erst vom 1. September 1947, d. i. für die Zeit nach Herablangen der Entscheidung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung (30. August 1947), somit vom Zeitpunkte der formellen Rechtskraft an, begehrt.

Im Endergebnis ist allerdings das Berufungsgericht im Rechte, wenn es mit Rücksicht auf das grundsätzliche Bejahen eines Schadenersatzanspruches das Urteil des Erstgerichtes deshalb, weil es alle beantragten Beweise abgelehnt hat, aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hat.

Es war daher dem Rekurse der beklagten Partei, wenn auch aus anderen Gründen als den geltend gemachten, der Erfolg zu versagen.

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