Spruch:
Der Umstand, daß die Frau selbst verdienen kann, berührt während des aufrechten Bestandes der Ehe die primäre Unterhaltspflicht des Mannes nicht.
Es kann mit Revision nicht die Herabsetzung der vom Berufungsgericht bemessenen Unterhaltsleistung auf Null begehrt werden; wohl aber ist die Revision möglich, wenn die zweite Instanz erkannt hat, daß die Vermögensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen eine Unterhaltsgewährung überhaupt nicht gestatten.
Entscheidung vom 22. Juni 1949, 1 Ob 288/49.
I. Instanz: Bezirksgericht Dornbirn; II. Instanz: Landesgericht Feldkirch.
Text
Die Streitteile stehen in Scheidung. Klägerin begehrt vom Beklagten eine monatliche Alimentation von 200 S. Das Erstgericht hat die Klage zur Gänze abgewiesen, das Berufungsgericht hat der Klägerin einen monatlichen Unterhalt in der Höhe von 30 S zuerkannt. Diese Abänderung wird von der Revision des Beklagten angefochten, die Wiederherstellung des erstrichterlichen Urteiles begehrt.
Die Revision blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die nicht geschiedene Ehegattin kann vom Mann den anständigen Unterhalt verlangen, und zwar ohne Rücksicht auf ihr eigenes Vermögen und ihren eigenen Erwerb (§ 91 ABGB.). Die Beistandspflicht der Gattin hat mit der Alimentationspflicht des Mannes nichts zu tun; der Mann kann von seiner Gattin Beistand und unentgeltliche Mithilfe bei seiner Erwerbung verlangen, nicht aber daß sie einer anderen "Erwerbung" nachgeht. Die Regelung der Unterhaltspflicht in §§ 66 ff. des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung vom 6. Juli 1938, DRGBl. I S. 807, gestattet nicht den Schluß, daß die Rechtslage durch das neue Ehescheidungsrecht in dem Sinne geändert sei, daß nunmehr auch während des Bestandes der Ehe der Mann nicht mehr zur ausschließlichen Alimentation der Gattin verpflichtet sei. Das Ehescheidungsgesetz entstammt einem der österreichischen Denkweise fremden Rechts- und Kulturkreis. Es beruht auf dem Grundsatz, daß Ehescheidungen durch pekuniäre Erwägungen möglichst wenig behindert werden sollen, damit die aus bevölkerungspolitischen Erwägungen erwünschte Wiederverehelichung nicht beeinträchtigt werde. Eine analoge Anwendung dieser Grundsätze auf die Zeit der aufrecht bestehenden Ehe ist daher ausgeschlossen.
Die Rechtsausführungen der Revision, daß die Klägerin selbst verdienen kann und verdiene und daß sie von ihrem Sohn H., der mit ihr zusammenlebt, mitunterstützt wird, sind daher unbeachtlich, da den Beklagten eine primäre Unterhaltspflicht trifft.
Die Revision wendet sich endlich gegen die Bemessung des Unterhaltes mit 30 S monatlich, indem sie bestreitet, daß dem Beklagten überhaupt eine Unterhaltsleistung zumutbar sei. Nach § 502 Abs. 2 ZPO. ist eine Revision gegen die Bemessung des Unterhaltes nicht zugelassen. Unter Bemessung ist die ziffernmäßige Festsetzung des Unterhaltes zu verstehen (ZBl. 1930, Nr. 163). Wurde daher die Unterhaltspflicht überhaupt verneint, und sei es auch nur deshalb, weil die Vermögensverhältnisse des Beklagten eine Unterhaltsgewährung nicht gestatten, so kann die Entscheidung mit Revision angefochten werden (ZBl. 1930, Nr. 162); dies folgt aus der Erwägung, daß die Revisibilität einer Entscheidung nicht von der Begründung abhängen kann, die von den Parteien nicht angefochten werden kann. Anders ist aber die Rechtslage dann, wenn, wie diesmal, das Berufungsgericht einen ziffernmäßigen Betrag zugesprochen hat und dessen Herabsetzung auf Null begehrt wird. Hier wird die Ausmessung des Unterhaltes bekämpft, die Revision ist daher ausgeschlossen (RZ. 1933, 167, und ZBl. 1935, Nr. 450).
Dem Obersten Gerichtshof ist infolgedessen die Überprüfung der Frage verwehrt, ob dem Beklagten eine Unterhaltsleistung von 30 S zugemutet werden kann, ob sie herabgesetzt werden soll oder ob mit Rücksicht auf die Vermögenslage des Beklagten überhaupt von der Auferlegung einer Alimentationsleistung abzusehen ist.
Es mußte daher der Revision der Erfolg versagt bleiben.
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