OGH 2Ob114/48

OGH2Ob114/484.8.1948

SZ 21/119

Normen

Mietengesetz §19 Abs2
ZPO §575
Mietengesetz §19 Abs2
ZPO §575

 

Spruch:

Die Charakter einer Bittleihe wird dadurch nicht geändert, daß für die überlassene Sache ein "Anerkennungszins" geleistet wird, der gegenüber dem Nutzungswert praktisch nicht ins Gewicht fällt.

Die Frage, ob die kürzere Rechtsmittelfrist gegen Urteile über Räumungsklagen zur Anwendung zu kommen hat, ist auf Grund der Angaben des Klägers zu beurteilen. Liegt nach diesen dem Klagebegehren ein Bestandvertrag zugrunde, gilt die kürzere Frist. Bei der Beurteilung der Angaben des Klägers ist das Gericht an die darin ausgesprochene Rechtsansicht nicht gebunden.

Entscheidung vom 4. August 1948, 2 Ob 114/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien.

Text

Das Prozeßgericht hat dem Räumungsbegehren stattgegeben.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei Folge gegeben und das Räumungsbegehren abgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof hat die Revision der klagenden Partei zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Begründung

Zunächst hatte das Revisionsgericht zu prüfen, ob die am 13. Tag nach der Zustellung des berufungsgerichtlichen Urteiles zur Post gegebene Revision als rechtzeitig anzusehen ist. Das Berufungsgericht hat zwar angenommen, daß die Beklagte die Wohnung, deren Räumung begehrt wird, auf Grund eines Bestandvertrages benütze; die klagende Partei hat aber von Anfang an den Standpunkt vertreten, daß der Beklagten die Benützung der Wohnung nur prekaristisch eingeräumt worden sei, und bekämpft in der Revision auch die gegenteilige Rechtansicht des Berufungsgerichtes. Da es jedoch bei der Frage, ob die kürzeren Fristen des § 575, Abs. 1 ZPO. anzuwenden sind, auf die Angaben der klagenden Partei über die Natur ihres Anspruches ankommt und da das Klagsvorbringen hierüber unbestritten ist, hat das Revisionsgericht schon anläßlich der Prüfung der Rechtzeitigkeit der Revision darauf einzugehen, ob die Beklagte unter Zugrundelegung des unbestrittenen Parteivorbringens Mieterin ist oder nicht. Der Sachverhalt ist folgender:

Die Hausbesorgerin des von der Finanzlandesdirektion treuhändig verwalteten Hauses in W. ist vor der Befreiung Österreichs geflüchtet und nicht mehr zurückgekehrt. Sie ist deshalb im Dezember 1945 zur Räumung der aus Zimmer und Kabinett bestehenden Dienstwohnung verurteilt worden. Inzwischen hat sich ein im zweiten Stock wohnhafter Mieter zur Verrichtung der Hausbesorgerarbeiten nicht beansprucht hat, einen Nachlaß seines Mietzinses um den Mietwert der Hausbesorgerwohnung in der Höhe von S 30.- monatlich erhalten. Im Herbst 1945 wurde der Beklagte die zweitweilige Benützung der freistehenden Hausbesorgerwohnung unter der Bedingung gestattet, daß sie sich verpflichtete, jederzeit, wenn sie hiezu aufgefordert werde, spätestens aber, wenn die Wohnung für einen Hausbesorger benötigt werde, wieder auszuziehen. Der Abschluß eines Mietvertrages mit der Beklagten wurde ausdrücklich abgelehnt. Schließlich wurde mit der Beklagten vereinbart, daß sie für die Benützung der Wohnung ein Entgelt in der Höhe des dem neuen Hausbesorger gewährten Zinsnachlasses zu leisten habe. Die Beklagte hat diesen Betrag seither monatlich bezahlt.

Das Revisionsgericht ist gleich dem Berufungsgericht der Rechtansicht, daß bei diesem Sachverhalt die Beklagte ein - wenn auch befristetes - Bestandrecht an der Hausbesorgerwohnung erworben hat. Wenn auch das charakteristische Merkmal einer Bittleihe der Mangel eines Entgeltes für die Benützung der Sache ist, ist nicht ausgeschlossen, daß für die Benützung ein Anerkennungszins geleistet werde, der allerdings so nieder gehalten sein müsse, daß er gegenüber dem Wert der Nutzung praktisch nicht ins Gewicht fällt (Entsch. v. 7. Jänner 1948, 1 Ob 925/47). Im gegebenen Fall deckt sich aber der von der Beklagten gezahlte Betrag mit dem Mietwert der von ihr benützten Wohnung. Die klagende Partei weicht in der Revision von ihren Klagsangaben ab, wenn sie behauptet, daß der von der beklagten Partei gezahlte Betrag kein Entgelt, sondern nur der Ersatz der Barauslagen sei, die der klagenden Partei durch den dem derzeitigen Hausbesorger gewährten Zinsnachlaß entstanden seien. Durch den Zinsnachlaß sind der klagenden Partei nicht Barauslagen erwachsen, sondern nur ein Verdienst entgangen. Dieser Verdienstentgang ist zur Gänze von der Beklagten in Form ihrer monatlichen Leistungen, die jedoch gleichzeitig dem Mietwert ihrer Wohnung entsprochen haben, vergütet worden. Unter diesen Umständen kann die Zahlung der Beklagten nicht nur als ein Anerkennungszins, sondern muß als wirklicher Mietzins beurteilt werden, ohne Rücksicht darauf, welcher Ausdruck hiefür gewählt worden ist. Wenn auch die Parteien bei ihrer Vereinbarung ein Bestandverhältnis ausschließen wollten, kommt es doch auf den Inhalt ihrer Vereinbarung und nicht auf die rechtliche Beurteilung die die Parteien ihr zuteil werden ließen, an. Das Gericht hat den rechtlichen Charakter der Parteienvereinbarung selbständig zu beurteilen und ist hiebei in keiner Weise an die Rechtansicht der Parteien gebunden. Wenn nun auch die Parteien einen Mietvertrag nicht abschließen wollten, so hindert dies das Gericht nicht, trotzdem das Vorliegen eines solchen anzunehmen, sofern dessen rechtliche Voraussetzungen auf das von den Klägern eingegangene Rechtverhältnis zutreffen. Es liegt kein Anlaß vor, einen Innominatkontrakt, also ein Rechtsverhältnis eigener Art, anzunehmen, wenn alle Tatbestandsmerkmale des Bestandvertrages, Überlassung einer unverbrauchbaren Sache zum Gebrauch auf eine gewisse Zeit gegen einen bestimmten Preis, gegeben sind. Die Vereinbarung, daß trotzdem ein Mietvertrag nicht begrundet werden sollte, ist daher unbeachtlich. Es liegt rechtlich der gleiche Fall vor, der gegeben wäre, wenn sich bei einem Mietvertrage der Vermieter entgegen der zwingenden Vorschrift des § 19, Abs. 2 MietG. das unbeschränkte Kündigungsrecht vorbehalten hätte.

Liegt aber ein Mietvertrag vor, dann hat für die Anfechtung des Urteiles die achttägige Frist des § 575, Abs. 1 ZPO. zu gelten (Spruchrep. 196). Die Revision war daher als verspätet eingebracht zurückzuweisen.

Stichworte