Spruch:
§ 372 ABGB. Dem Bestandnehmer, dem die Bestandsache noch nicht übergeben wurde, steht eine direkte Klage gegen den dritten Störer nicht zu.
Entscheidung vom 10. September 1947, 1 Ob 494/47.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht hat der Räumungsklage aus folgenden Gründen stattgegeben:
Es steht außer Streit, daß dem Kläger die von der Beklagten innegehabte Wohnung zugewiesen wurde, daß er auf Grund der Zuweisung mit der Hauseigentümerin einen Hauptmietvertrag abgeschlossen hat, ihm aber das Bestandsobjekt noch nicht übergeben wurde. Die Beklagte wohnte in der Wohnung auf Grund einer Einweisung der Außenstelle des Wohnungsamtes für den 4. Bezirk vom Mai 1945. Diese Einweisung wurde nicht legalisiert und ist schon deshalb als unwirksam anzusehen.
Das Berufungsgericht hat infolge Berufung der Beklagten dieses Urteil dahin abgeändert, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Es begrundet diese Entscheidung mit der Ansicht, daß zwar die Mietrechte kein bloß obligatorisches, sondern ein absolutes, quasidienliches Recht sei, so daß der Mieter, wenn ihm der Bestandgegenstand bereits übergeben wurde, dinglichen Rechtsschutz gegen den dritten Störer nicht eintrete, als das Bestandobjekt dem Bestandgeber nicht übergeben worden sei. Diese Unterscheidung ergebe sich gerade als Folge der Gleichstellung des Mietrechtes mit einem dinglichen Rechte. Zum Erwerbe eines solchen reiche das den Titel bildende obligatorische Rechtgeschäft nicht aus, es sei vielmehr noch ein dingliches Rechtsgeschäft notwendig, welches den Rechtsübergang bewirke. Daher erwerbe der Bestandnehmer durch den Bestandvertrag zunächst nur das rein obligatorische Recht durch den Bestandgeber auf Übergabe des Bestandobjektes. Absolute, durch dritte Personen sich äußernde Wirkung trete erst durch Besitzübergabe ein.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungsgründe:
Der Oberste Gerichtshof billigt die Rechtsausführungen des Berufungsurteiles insoweit, als darin ausgesprochen wird, daß die von der Rechtsübung anerkannte absolute Wirkung des Bestandverhältnisses zur Voraussetzung hat. Die erwähnte Rechtsübung ist mit der Einreihung des Bestandverhältnisses unter die persönlichen Sachenrechte im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch nur schwer zu vereinbaren und bedeutet eine Berücksichtigung des praktischen Bedürfnisses durch die Rechtsprechung. Diese Berücksichtigung kann aber unmöglich weiter gehen, als sie gehen könnte, wenn das Bestandverhältnis vom Bürgerlichen Gesetzbuche ausdrücklich als ein dingliches anerkannt wäre. Auch in diesem Falle könnte eine Klage gegen Dritte des Bestandnehmers nur unter der Voraussetzung der Übergabe des Besitzes der Bestandsache an den Bestandnehmer zugelassen werden, vor der Besitzübergabe bleibt der Bestandnehmer auf seinen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Bestandgeber beschränkt. Es ist dieselbe Rechtlage, die sich beim Eigentumsbewerb ergibt, über dessen Voraussetzungen auch die Voraussetzungen des von der Rechtsprechung anerkannten absoluten Schutzes des Bestandnehmers unmöglich hinausgehen können. Wenn der Kläger im vorliegenden Falle die Wirkungen dieser Anschauung als unbillig empfindet, so ist er darauf zu verweisen, daß ihm ein Anspruch gegen seinen Bestandgeber darauf zusteht, daß dieser die Räumung der Wohnung durch die Beklagte veranlasse. Überdies mag er die Vollstreckung des Zuweisungsbescheides im Verwaltungswege versuchen. Er ist daher nicht ohne Rechtsbehelf, der ihm die Durchsetzung des von ihm behaupteten Rechtes ermöglichen könnte, und hat keinen Grund, sich über die Ungerechtigkeit einer ihn nachteiligen Entscheidung zu beschweren, wenn er an Stelle der ihm von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe einen Rechtbehelf gewählt hat, den ihm eben diese Rechtsordnung nicht einräumt. Das Urteil des Berufungsgerichtes entspricht der Sach- und Rechtslage und war zu bestätigen.
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