OGH 1Ob302/47

OGH1Ob302/4717.5.1947

SZ 21/32

Normen

ABGB §313
ABGB §372
ABGB §373
ABGB §374
ABGB §1096
EO §36
Wohnungsanforderungsgesetz §14
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4
ABGB §313
ABGB §372
ABGB §373
ABGB §374
ABGB §1096
EO §36
Wohnungsanforderungsgesetz §14
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4

 

Spruch:

Dem Mieter, der sich niemals im Besitz der Bestandsache befunden hat, steht keine Klage gegen Dritte auf Räumung der Bestandsache zu.

Entscheidung vom 17. Mai 1947, 1 Ob 302/47.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren, welches auf einen Zuweisungsbescheid des Wohnungsamtes der Stadt Wien gestützt war, mit dem Beifügen, daß der beklagten Partei bereits vom Hauseigentümer gekundigt wurde, sie jedoch die Räumung der Wohnung verweigere, Folge. Es nahm auf Grund der vorgelegten Urkunden (Zuweisungsbescheid vom 15. Juni 1946 und Mietvertrag vom 15. Juli 1946) als erwiesen an, daß Kläger Hauptmieter der streitgegenständlichen Wohnung sei, und erklärte die Einwendung des Beklagten für unbeachtlich, der Hauseigentümer habe laut Erklärung vom 28. Mai 1946 die Kündigung zurückgezogen. Eine solche, nach Rechtskraft des die Kündigung für wirksam erklärenden Urteils abgegebene Erklärung habe nur die Bedeutung eines Exekutionsverzichtes und bezwecke nur im Zusammenhang mit § 13 des Mietvertrages, demzufolge der Mieter die Räumung durchzuführen habe, das Interesse des Klägers an der Klage und seine Legitimation außer Zweifel zu stellen. Der Abschluß eines neuen oder die Verlängerung des alten Mietvertrages könne in jener Erklärung nicht erblickt werden und sei übrigens vom Beklagten auch nicht behauptet worden.

Der gegen dieses Urteil ergriffenen Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht Folge und wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab. Es ging dabei von der rechtlichen Erwägung aus, daß es für die Berechtigung des Klagebegehrens vor allem darauf ankomme, ob der Beklagte die Wohnung mit oder ohne Rechtstitel innehabe. Nur letzterenfalls stehe dem Kläger kraft seines Mietrechtes im Sinne der neueren Rechtsprechung ein Räumungsanspruch mit absoluter Wirkung auch gegen Dritte zu. Im entgegengesetzten Fall stunden aber die älteren Mietrechte des Beklagten den später erworbenen Mietrechten des Klägers wirksam entgegen und dieser könnte seinen aus dem Mietrecht abgeleiteten Anspruch auf Einräumung des Gebrauches nur gegen den Hauseigentümer als Vertragspartner erheben. Das Berufungsgericht legte nun die mehrerwähnte Urkunde d. d. 28. Mai 1946 abweichend vom Erstgericht dahin aus, daß sie eine Fortsetzung des Bestandverhältnisses zwischen Beklagtem und Hauseigentümer bezweckt habe. Jedenfalls habe jener die Wohnung auf Grund des seinerzeitigen Bestandvertrages inne und eine tatsächliche Beendigung des Vertragszustandes durch Rückstellung des Bestandgegenstandes habe nicht stattgefunden, so daß keinesfalls von einer Innehabung ohne Rechtsgrund gesprochen werden könne. Auch bei Annahme eines intendierten Exekutionsverzichtes ergebe sich, daß der Beklagte die Wohnung noch auf Grund seinerzeit erworbener Mietrechte innehabe und im Falle einer Räumungsexekution Einwendungen nach § 36 EO. erheben könne.

Die Revision des Klägers ruft die Revisionsgrunde nach § 503, Z. 2 und 4 ZPO. an mit dem Antrage, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern oder es aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erst- oder Zweitgericht zurückzuverweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:

Beide Untergerichte haben sich mit der Frage nicht befaßt, ob der Kläger überhaupt zur Anbringung der vorliegenden Räumungsklage nach allen rechtlichen Gesichtspunkten legitimiert sei. Das Erstgericht geht an dieser Frage ganz vorbei, das Berufungsgericht billigt dem Kläger ohneweiters einen absoluten, petitorischen Räumungsanspruch gegenüber dem Beklagten zu und macht ihn nur von der Voraussetzung abhängig, daß letzterer die Wohnung ohne Rechtstitel innehabe.

Diese Ansicht kann nicht gebilligt werden. Die Lehre und "neuere Rechtsprechung", auf die sich das Berufungsgericht bezieht, besagen keineswegs, daß der Mieter vorbehaltlos gegen einen nicht titulierten Inhaber des Bestandgegenstandes mit einer Räumungsklage vorgehen dürfe. Vielmehr ist es erste und wesentliche Voraussetzung für die Gewährung petitorischen Rechtsschutzes, daß der Mieter sich im Besitz der Bestandsache und des Mietrechtes befinde oder doch befunden habe. Die petitorische Klage des Mieters gegen Dritte ist eine nach Analogie der §§ 372 bis 374 ABGB. konstruierte, also eine publizianische Klage. Der Mieter, der gegen einen späteren Inhaber der gemieteten Wohnung auf Räumung klagen will, muß demnach seinen Rechtsbesitz beweisen, nicht nur seinen gültigen Titel (Ehrenzweig II/1, S. 477, Swoboda, Kommentar S. 41 ff., SZ. VI/218, VII/204, Handl, Nr. 77, 78 u. a. m.). Es muß also eine tatsächliche Verbundenheit des zunächst nur obligatorisch berechtigten Mieters mit der Bestandsache bereits hergestellt worden sein. Dieser aber, und damit der Besitz am Mietrecht, kann gemäß § 313 ABGB. nur durch die Übergabe der Bestandsache an den Mieter als verwirklicht gelten. War diese dem Mieter noch nicht übergeben, so steht ihm nur der Anspruch gegen den Bestandgeber gemäß § 1096 ABGB. zu. Ein Herausgaberecht gegen den Dritten, der sich der Verwirklichung seines Übergabsanspruches widersetzt, steht ihm nicht zu (Swoboda l. c, Handl, Nr. 77, 78, 663). War der Mieter somit noch gar nicht im Besitz des Mietrechtes, so ist seine Räumungsklage unbegrundet und gemäß § 372 ABGB. abzuweisen (Ehrenzweig l. c.). Es kommt daher in diesem Fall auf den Titel des Beklagten gar nicht an. Diese Frage taucht erst auf, wenn der Kläger einen gültigen Besitztitel hat und echten Besitzerwerb darzutun vermag, der Beklagte aber keinen oder nur einen schwächeren Titel aufweist oder gleichfalls rechtmäßiger Mieter ist (§ 374 ABGB., Ehrenzweig l. c., Handl, Nr. 79). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht zutreffend festgestellt, daß das frühere Mietrecht des Beklagten mindestens nicht infolge der Einweisung gemäß § 14, Abs. 4 WAG. erloschen sei, da nach dieser Gesetzesstelle bestehende Mietverträge erst mit dem Tage der wirklich vollzogenen Übergabe als aufgelöst gelten. Eben deswegen sah sich das Gericht genötigt, sich mit der zweiten Frage zu befassen, ob das frühere Mietverhältnis nicht etwa zufolge der rechtskräftigen Kündigung (BG. Innere Stadt 69 C 376/45) aufgelöst oder im Sinne der mehrerwähnten Erklärung vom 28. Mai 1946 stillschweigend erneuert worden sei. Daraus ergibt sich bereits, daß auch das Berufungsgericht davon ausgeht, der Kläger sei bisher nicht durch Übergabe der Bestandsache Rechtsbesitzer am Mietrecht geworden. Schon das Klagsrubrum bestätigt die Richtigkeit dieser Annahme, da der Kläger ihm zufolge in Wien, VII., Ngasse 54, der Beklagte aber in der Wohnung Wien, VII., Mgasse 52, Nr. 30, wohnt, deren Übergabe das Ziel des Räumungsprozesses bildet. Im übrigen haben auch die Parteien selbst niemals eine derartige Behauptung aufgestellt. Es folgt daraus, daß der Kläger, der nie im Besitz der Bestandrechte sich befand, auch nicht zur Anstellung der Räumungsklage gegen den mit oder ohne Titel die Wohnung benützenden Beklagten befugt ist. Ihm bleibt nichts übrig, als sich an den Hauseigentümer zu halten, der gemäß § 1096 ABGB. verpflichtet ist, ihm den bedungenen Gebrauch der Bestandsache zu verschaffen und zu gewähren.

Zu prüfen war nur, ob die Einwendung der mangelnden aktiven Klagslegitimation vom Beklagten erhoben wurde. Es ist richtig, daß eine ausdrücklich so formulierte Einwendung vom rechtsfreundlich vertretenen Beklagten nach der Aktenlage nicht geltend gemacht wurde. Allein der Sachantrag, die Klage mit Rücksicht auf die Rückziehung der Kündigung abzuweisen, deckt im gegebenen Fall bei richtiger Auslegung auch die Bestreitung der Klagsvoraussetzungen. Denn bei einem Räumungsanspruch, der auf den Abschluß eines Bestandvertrages über die streitgegenständliche Wohnung gestützt wird, läßt sich die Sachlegitimation von der Entscheidung über das Vorhandensein des Rechtverhältnisses selbst praktisch nicht trennen. Mit der Bestreitung des Anspruches im Hinblick auf die behauptete Erneuerung des älteren Mietvertrages ist daher auch die Bestreitung der Sachlegitimation implicite verbunden.

Der Revision war darum, wenn auch aus anderen als den Gründen, die das Berufungsgericht bei seinem Urteil geleitet haben, der Erfolg zu versagen.

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