OGH 1Ob219/47

OGH1Ob219/473.4.1947

Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht hat durch den zweiten Präsidenten Dr. Leonhard als Vorsitzenden und durch den Rat des Obersten Gerichtshofs Dr. Waitusch sowie durch die Räte des Oberlandesgerichts Dr. Wagner, Dr. Ullrich und Dr. Kuch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gustav Carl K*****, vertreten durch Dr. Karl Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Otto K*****, vertreten durch Dr. Bronislaw Bardasz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung einer Wohnung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 9. Jänner 1947, GZ 42 R 1073/46-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Wien I. vom 13. August 1946, GZ 45 C 495/46/3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision des Beklagten wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozessgericht I. Instanz zurückverwiesen, welches auf die Revisionskosten als weitere Verfahrenskosten Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht gab dem klägerischen Räumungsbegehren statt, indem es einerseits die Klagslegitimation aufgrund der Bestätigung des Hausverwalters Notars Dr. V. R***** vom 11. 6. 1946 als erwiesen ansah, andererseits aufgrund der in Abschrift bzw in Urschrift vorgelegten Schreiben und Bestätigungen des Magistrats Wien und der MA III/2, Wohn- und Geschäftsraumlenkung, Untermietreferat vom 4. 10. 1945 resp. 12. 12. 1945 feststellte, dass die seinerzeit von der Bezirkshauptmannschaft Landstraße mit Bescheid vom 20. 4. 1945 verfügte Einweisung des Beklagten in die klägerische Wohnung aufgehoben sei und dieser somit ohne Rechtstitel in der klägerischen Wohnung sich aufhalte. Der Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht im Wesentlichen aus denselben Erwägungen nicht Folge.

Die Revision des Beklagten macht die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, anhangsweise außerdem Nichtigkeit geltend mit dem Antrage, die Urteile der Unterinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern oder diese aufzuheben und die Sache an die „Vorinstanz" zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Wenn die Revision in der Unterlassung eines ausdrücklichen Schlusses der Verhandlung (§§ 180, 193 ZPO) einen wesentlichen Verfahrensmangel oder gar eine Nichtigkeit erblickt, kann ihr nicht gefolgt werden. Zweifellos wäre die Nichtbeachtung dieser Formvorschrift ein Verfahrensmangel, jedoch weder ein im Sinne des § 496 Z 2 ZPO wesentlicher, der die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache gehindert hat, noch eine Nichtigkeit nach § 477 ZPO. Denn nur die in dieser Gesetzesstelle namentlich angeführten schwersten Verfahrensmängel sind mit Nichtigkeitsfolge bedroht und ihre Aufzählung ist erschöpfend (SZ 6/95). Es liegt nur eine Verletzung einer das Verfahren regelnden Vorschrift vor, welche gemäß § 196 ZPO von der deshalb zur Beschwerdeführung berechtigte Partei sofort bei sonstigem Verlust des Beschwerderechts gerügt werden muss. Eine solche Rüge ist aber aus dem Protokoll über die mündliche Streitverhandlung vom 12. 8. 1946 nicht ersichtlich. Aus dem inzwischen ergangenen Protokollberichtigungsbeschluss (§ 212 Abs 5 ZPO) des Erstgerichts, gegen den allerdings ein bisher unerledigter Rekurs vom Beklagten ergriffen wurde, geht aber überdies hervor, dass tatsächlich vom Erstrichter der Schluss der Verhandlung ausgesprochen wurde und lediglich die Protokollierung dieser richterlichen Verfügung versehentlich unterblieben ist.

Ebenso unbegründet ist der Angriff auf die Urteile der Unterinstanzen, der mit der irrigen Bezeichnung der streitgegenständlichen Wohnung mit der top Nummer „9" statt „19" begründet und sowohl als Aktenwidrigkeit wie als unrichtige Beurteilung bekämpft wird. Beides ist verfehlt, denn nach der Aktenlage waren die Parteien sich in jeder Lage des Verfahrens darüber völlig klar, dass die Räumungsklage die vom Beklagten bewohnte Wohnung top No 19 und nicht No 9 betreffe, dass also diesfalls eine auf einem Schreibfehler beruhende unrichtige Bezeichnung des Streitgegenstands vorliege, die berichtigungsfähig ist und inzwischen auch vom Erstgericht mit Beschluss vom 20. 2. 1947, 45 C 495/46/13 berichtigt wurde. Es verschlägt dabei nichts, dass die „offenbare Unrichtigkeit" hier nicht auf einem Versehen des Gerichts beruhte, sondern von der Partei veranlasst wurde. Das Versehen war jedenfalls nach § 419 ZPO berichtigungsfähig. Es liegt somit weder eine Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO, noch eine unrichtige Beurteilung vor.

Rechtliche Beurteilung

Im Übrigen kann aber der Revision Berechtigung nicht aberkennt werden.

In erster Linie war die Aktivlegitimation des Klägers zu prüfen, die vom Beklagten aus mehreren Gründen bestritten wurde. Soweit diese auf der angeblichen politischen Belastung des Klägers, der angeblichen Arisierung der Wohnung durch ihn und seiner Eigenschaft als Ausländer und als allein stehender Mann beruhen, braucht auf sie nicht eingegangen zu werden, weil ihre rechtliche Belanglosigkeit bereits von den Unterinstanzen richtig erkannt wurde und dies in der Revision nicht mehr bekämpft wird. Dagegen hängt die Aktivlegitimation des Klägers tatsächlich entscheidend von seiner Eigenschaft als Hauptmieter der streitgegenständlichen Wohnung ab. Denn auch die in Lehre und Rechtsprechung (Swoboda, Kommentar S 40 ff, Ehrenzweig II/1 S 447, SZ VI 218, 357, SZ VII 204, 329, 378, Handl 79) überwiegende Ansicht vom relativ-dinglichen Charakter des Mietrechts und die aus ihm abgeleitete Gewährung petitorischen Rechtsschutzes an den Mieter gegen den unbefugten dritten Störer seiner Bestandrechte, beschränkt sich doch auf den Hauptmieter und gilt auch für diesen nur im Fall, als ihm der Bestandgegenstand bereits übergeben war und er im Besitz der Bestandrechte sich befand. Niemals ist die Erweiterung des petitorischen Rechtsschutzes auf Untermieter erwogen worden, für welche alle jene rechtspolitischen Erwägungen in Wegfall kommen, die beim Hauptmieter dazu geführt haben, ihm den Umweg über eine gegen den Bestandgeber anzustellende Klage auf Wiederverschaffung der entzogenen Bestandsache zu ersparen. Die Rechtsansicht der Revisionsbeantwortung, es sei unerheblich, ob der Kläger Haupt- oder Untermieter sei, erweist sich darum als verfehlt.

Die Untergerichte haben die Aktivlegitimation des Klägers lediglich aufgrund der Bestätigung des Hausverwalters Notar Dr. V. R***** Blge A angenommen, in der unter dem 11. 6. 1946, also offenbar für die Zwecke der am 8. 6. 1946 überreichten Räumungsklage, bestätigt wird, dass Kläger Hauptmieter der Wohnung No. 19 sei und Vereinbarungen zwischen dem Hausverwalter und dem Beklagten über diese Wohnung mit Rücksicht auf das Bestehen des klägerischen Mietverhältnisses abgelehnt wurden. Der Beklagte hatte die Hauptmieterschaft des Klägers bestritten und die Gegenbehauptung aufgestellt, Hauptmieter seien 1942 die Flugzeugwerke O***** geworden, Kläger sei damals wie heute lediglich Untermieter gewesen. Er hat für dieses Vorbringen auch Beweis durch Anfrage an die O***** Werke und Ladung eines informierten Vertreters dieser Firma als Zeugen, sowie durch Anfrage an das Zentralmeldeamt und an das Wohnungsamt angeboten. Die Bestätigung Blge A hat er bei Anerkennung ihrer Echtheit ihrem Inhalt nach bekämpft. Die Untergerichte haben die Aufnahme der vom Beklagten zur Widerlegung der Klagsbehauptung in diesem Punkte angebotenen Beweise als unerheblich erachtet und abgelehnt. Das Verfahren ist dadurch mangelhaft geworden. Vor allem stellt die Urkunde Blge A. in der Notar Dr. V. R***** nicht als öffentliche Urkundsperson, sondern nur als Hausverwalter auftritt, keine öffentliche, sondern lediglich eine private Zeugnisurkunde (§ 294 ZPO) dar, deren Beweiswert das Gericht nach freiem Ermessen zu beurteilen hat. Es ist aber ein Grundsatz der ZPO, dass die bestmögliche Benutzungsform des Zeugnisses dritter Personen der Zeugen, nicht der Urkundenbeweis ist. Es hätte darum die Vernehmung des Notars Dr. R***** als Zeuge erfolgen sollen (Schrutka, Grundriss S 213). Die Revision ist aber auch darin im Recht, dass sie die Urkunde Blge A höchstens insoweit beweiskräftig erachtet, als sie das Vorliegen eines Hauptmietvertrags im Zeitpunkt der Klagsanbringung dartut. Darüber, wann derselbe errichte wurde und ob Kläger bereits im Zeitpunkt der unbestrittenen Einweisung des Beklagten durch die BH Landstraße am 20. 4. 1945 Hauptmieter war, sagt diese Urkunde nichts aus. Die Klagsangaben über den Zeitpunkt der Errichtung des Hauptmietvertrags sind wechselnd, da Kläger in der Klage behauptet, seit 1941, in der Revisionsbeantwortung aber, erst seit 1. 3. 1942 Hauptmieter zu sein. Wäre der Hauptmietvertrag erst nach der Einweisung des Beklagten errichtet worden, so fehlte es an der Übergabe der Bestandsache und an der Erwerbung des Rechtsbesitzes, damit aber an der Klagslegitimation. Die Meinung des Revisionsgegners, der Zeitpunkt der Begründung des Hauptmietvertrags sei nebensächlich, weil die durch die Einweisung vom 20. April 1945 geschaffene Benutzungserlaubnis für den Beklagten in der Folge wieder aufgehoben wurde, stellt die Vorwegnahme eines erst angestrebten Beweisergebnisses dar. Denn auch diese Frage ist strittig. Es war somit notwendig, zu prüfen ob Kläger überhaupt Hauptmieter ist und seit wann, sowie wann ihm die Bestandsache zum mietweisen Gebrauch übergeben wurde. Die Unterlassung dieser Beweisaufnahme hat das Verfahren mangelhaft gestaltet und eine erschöpfende Erörterung der Streitsache verhindert.

Die gleiche Mängelrüge trifft das angefochtene Urteil im Punkte der Wirksamkeit des Einweisungsbescheids. Wohl steht die Erlassung eines Einweisungsbescheids außer Streit und ergibt die in ihrer Originalgleichheit unbestrittene Urkunde Blge B, dass die Rechtsabteilung des Magistrats Wien am 4. 10. 1945 die Mag. Abt III/2 um Aufhebung jener Verfügung der BH Landstraße und Freimachung der Wohnung für den Kläger ersucht hat. Allein die Urkunde Blge C ergibt nicht zwingend, wie die Untergerichte rechtsirrig annehmen, dass diesem Ersuchen auch entsprochen und ein formgerechter Aufhebungsbescheid von der zuständigen Verwaltungsstelle geschöpft und den Beteiligten zugestellt wurde. Die Untergerichte müssen einräumen, dass sie nur durch eine Schlussfolgerung zu diesem Ergebnis gelange, weil die Urkunde davon spricht, dass Beklagter wiederholt, aber vergeblich, zur Räumung aufgefordert wurde. Allein dies beweist nicht das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Bescheids, durch den die vorangegangene Einweisung aufgehoben wurde, noch tut dies dar, dass dem Beklagten rechtskräftig die Benützungsbewilligung entzogen wurde. Es liegt nicht bloß eine undeutliche Fassung vor, sondern eine Lücke in der dem Kläger obliegenden Kette der Beweisführung. Der Beklagte hat behauptet, ein Widerruf der Einweisung sei bisher nicht erfolgt und ihm zumindest kein Bescheid zugestellt worden. Er hat darüber Beweis durch Anfrage an das Wohnungsamt und (B14) Beischaffung der Akten dieser Behörde beantragt. Beide Beweisanträge wurden abgewiesen und lediglich aufgrund der unzureichenden Urkunde Blge C das Klagsvorbringen als erwiesen angesehen. Es liegt auch hier ein mangelhaftes Verfahren vor und es können durch Blge C auch nicht die Behauptungen des Beklagten als widerlegt gelten, von einer Aufhebung der Einweisung vom 20. 4. 1945 keine Kenntnis erhalten zu haben. Denn die Räumungsaufforderung, von der in Blge C gesprochen wird, ist nicht identisch mit der Zustellung eines ordnungsgemäßen Bescheids, womit eine andere verwaltungsbehördliche Entscheidung annulliert wird, sondern geht höchstens davon aus, dass ein solcher Bescheid ergangen ist. Ob dies aber tatsächlich hier der Fall war, lässt sich weder aus den Akten, noch aus den von den Untergerichten herangezogenen Beweisurkunden verlässlich entnehmen.

Es wird auch zu prüfen sein, ob die Aufhebung, wenn eine solche erfolgte, von der zuständigen Verwaltungsbehörde ausging, da auch dies vom Beklagten bestritten wird. Wohl bedingt das Prinzip der Einheit der Behördenorganisation, dass es für die Wirksamkeit einer Entscheidung an sich nichts verschlägt, ob sie von der nach der inneren Geschäftsverteilung dazu berufenen oder von einer anderen Abteilung derselben Behörde ausging. Wenn jedoch die Kompetenz der Verwaltungsbehörde nicht unzweifelhaft ist, so muss sie klargestellt werden. Dies ist hier um so nötiger, als es auffällt, dass die Urkunde Blge C von dem Untermieterreferat des Wohnungsamts ausgestellt wurde, wiewohl es sich nach den Klagsbehauptungen im vorliegenden Fall um ein Hauptmieterverhältnis handelt. Es wird schließlich auch in rechtlicher Hinsicht zu beachten sein, dass gemäß § 14 Abs 4 WAG bestehende Mietverträge mit dem Tage der wirklich vollzogenen Übergabe als aufgelöst gelten. Die Legitimation des Klägers wäre dadurch auch in dieser Richtung in Zweifel gestellt. Aus diesen Erwägungen war der Revision stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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