EKMR Bsw25060/94

EKMRBsw25060/9418.10.1995

Europäische Kommission für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Jörg Haider gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 18.10.1995, Bsw. 25060/94.

 

Spruch:

Art. 10 EMRK, Art. 13 EMRK, 25 EMRK - Objektivität der ORF-Berichterstattung und Meinungsäußerungsfreiheit. Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung

Sachverhalt:

Der Bf. war am Abend der Wiener Landtagswahlen im November 1991 von einem ORF-Journalisten interviewt worden. Dabei hatte der Journalist einen Zusammenhang zwischen der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit und dem Wahlkampf der Partei des Bf. hergestellt. Der Bf. erhob dagegen Bsw. an die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes (Rundfunkkommission). Am 15.1.1992 hatte die Kms. eine Bsw. gegen das ORF-Monopol, an der ua. der Bf. beteiligt war, für zulässig erklärt (vgl. auch Urteil Informationsverein Lentia ua./A, A/276 = NL 93/6/09). Der Bf. erhob wiederum Bsw. an die Rundfunkkommission, weil der ORF zu spät und bloß unzureichend über die Zulässigkeitsentscheidung berichtet habe. Beide Bsw. wurden sowohl von der Rundfunkkommission als auch vom VfGH abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit), weil die ORF-Berichterstattung im allgemeinen und über seine Person im besonderen die durch Art. 10 EMRK gebotene Vielfalt und Objektivität der Information nicht gewährleiste. Ferner sei sein Recht nach Art. 13 EMRK (wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz) verletzt worden, da zwei Mitglieder der Rundfunkkommission Angehörige politischer Parteien waren und daher befangen gewesen seien.

Zur Frage der Opfereigenschaft gemäß Art 25 EMRK:

Soweit der Bf. eine Konventionsverletzung durch die ORF-Berichterstattung im allgemeinen behauptet, erinnert die Kms., dass sie nach Art. 25 EMRK nur für die Behandlung von Bsw. zuständig ist, in denen Einzelpersonen oder Gruppen von Personen behaupten, Opfer einer Konventionsverletzung zu sein. Der Bf. kann sich nicht als Vertreter der Allgemeinheit an die Kms. wenden, da die Konvention eine Popularklage (actio popularis) nicht zulässt. Die Bsw. ist daher mangels Aktivlegitimation des Bf. (ratione personae) unzulässig, sofern der Bf. sich nicht über die spezifisch mit ihm zusammenhängende Berichterstattung beschwert.

Zur Verletzung von Art. 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit):

Abgesehen von besonderen Umständen - etwa, wenn einer Partei, anders als allen anderen Parteien, während des Wahlkampfes der Zugang zum Rundfunk verwehrt wird - gewährt Art. 10 EMRK weder einzelnen Personen noch irgendwelchen Organisationen einen allgemeinen und uneingeschränkten Anspruch auf Sendezeit (vgl. EKMR, Bsw. 9297/81, X. Assoc./S, Entsch. v. 1.3.1982, DR 28, 204; Bsw. 23550/94, Entsch. v. 24.2.1995, nicht veröffentlicht).

Hinsichtlich der behaupteten verspäteten und unzureichenden ORF-Berichterstattung über die Zulässigkeitsentscheidung v. 15.1.1992 stellt die Kms. fest, der ORF habe tatsächlich nicht sofort Zugang zur diesbezüglichen Presseinformation gehabt. Weiters hat die Rundfunkkommission recht, wenn sie die Gewichtung der Berichterstattung darüber als Angelegenheit der dafür verantwortlichen Journalisten beurteilt. Die Kms. ist der Auffassung, die Berichterstattung über die Zulässigkeitsentscheidung ist weder durch ihren Bezug zur Stellung des ORF noch durch die Tatsache, dass einer der Bf. Dr. Haider selbst war, unsachlich beeinflusst worden. Was das Interview mit dem ORF-Journalisten anbelangt, so erinnert die Kms., dass die freie politische Debatte ein Kernelement einer demokratischen Gesellschaft ist. Daher ist die Bandbreite der an Politikern zulässigen Kritik größer als bei Privatpersonen. Dies gilt besonders dann, wenn diese Politiker selbst öffentlich durchaus kritisierbare Aussagen treffen (vgl. Urteil Lingens/A, A/103 § 42; Oberschlick/A, A/204 §§ 58 f.). Es liegt im Interesse der freien politischen Debatte, wenn Journalisten während eines Interviews auch kritische und provokative Ansichten äußern, insofern der Interviewte ja unmittelbar darauf reagieren kann. Angesichts dieser Umstände sieht die Kms. im ggst. Fall keinerlei Anzeichen für eine Verletzung von Art. 10 EMRK.

Zur Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine Bsw. vor einer nationalen Instanz):

Diese Bestimmung garantiert Rechtsschutz nur für jene Fälle, in denen eine Konventionsverletzung vertretbar behauptet werden kann, was hier nicht der Fall war. Der Bf. konnte ja die Rundfunkkommission sowie den VfGH anrufen; keine Verletzung von Art. 13 EMRK. Die Kms. erklärt die Bsw. für unzulässig (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung der EKMR vom 18.10.1995, Bsw. 25060/94, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1996,21) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut

(pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/96_1/Haider.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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