EGMR Bsw17224/11

EGMRBsw17224/1127.6.2017

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache Medzlis Islamske Zajednice Brcko u.a. gg. Bosnien und Herzegowina, Urteil vom 27.6.2017, Bsw. 17224/11.

 

Spruch:

Art. 10 EMRK - Verurteilung von nichtstaatlichen Organisationen wegen Rufschädigung in nicht öffentlicher Korrespondenz.

Keine Verletzung von Art. 10 EMRK (11:6 Stimmen).

 

Begründung:

Sachverhalt:

Die Beschwerde wurde von vier Organisationen, einer religiösen Gemeinschaft und drei bosniakischen NGOs, eingebracht: Dem Zweig der Islamischen Gemeinschaft von Bosnien und Herzegowina in Brcko (Medžlis Islamske zajednice Brcko), der Bosnischen Kulturellen Gesellschaft »Preporod« (Bošnjacka zajednica kulture »Preporod«), dem Bosnischen Wohltätigkeitsverein »Merhamet« (»Merhamet« Humanitarno udruženje gradana Bošnjaka Brcko Distrikta) und dem Rat Bosnischer Intellektueller (Vijece Kongresa Bošnjackih intelektualaca Brcko Distrikta).

Im Mai 2003 übersandten die bf. Organisationen einen Brief an die höchsten Behörden des Distrikts Brcko, mit dem sie Bedenken gegenüber der Bewerbung von M. S. für den Posten des Direktors der mulitethnischen Radio- und Fernsehstation des Distrikts äußerten und auf ihr angebliches Fehlverhalten gegenüber Muslimen und der Ethnie der Bosniaken angehörenden Personen hinwiesen. »Laut ihren Informationen« hätte M. S. nämlich: (1) in einem veröffentlichten Interview zur Zerstörung von Moscheen in Brcko behauptet, dass Muslime kein Volk wären, sie keine Kultur besitzen würden und daher die Zerstörung von Moscheen nicht als Zerstörung von Kulturdenkmälern angesehen werden könne; (2) als Angestellte des Radios des Distrikts Brcko im Gebäude des Radios demonstrativ den Kalender in Stücke gerissen, der den Plan für die religiösen Dienste während des Monats Ramadan zeigte; (3) im Gebäude des Radios das Wappen von Bosnien und Herzegowina mit dem Wappen von Serbien überdeckt; (4) als Redakteurin des Kulturprogramms des Radios die Ausstrahlung von Sevdalinka (bosnischer Volksmusik) verboten, da diese Art von Musik ihrer Ansicht nach keinen kulturellen oder musikalischen Wert hätte. Die bf. Organisationen verwiesen daher darauf, dass M. S. für den Posten des Direktors absolut ungeeignet sei und sie hoffen würden, dass die Behörden auf das Schreiben »angemessen reagieren« würden. Wenig später wurde der Brief in drei verschiedenen Tageszeitungen veröffentlicht, allerdings konnte nicht festgestellt werden, ob die bf. Organisationen das veranlasst hatten.

M. S. strengte daraufhin ein Verfahren wegen Rufschädigung gegen die bf. Organisationen an. Das erstinstanzliche Gericht des Distrikts Brcko wies die Klage jedoch am 29.9.2004 ab, da die Bf. lediglich einen privaten Brief an die Behörden verfasst hätten, aber kein Beweis dafür vorliegen würde, dass sie auch für die Veröffentlichung verantwortlich gewesen wären.

Nachdem M. S. gegen diese Entscheidung berufen hatte, erachtete das Berufungsgericht die bf. Organisationen in einem Urteil aus Juli 2007 als für die Rufschädigung verantwortlich, da sie in ihrem Brief tatsächliche Aussagen über M. S. getroffen hätten, die falsch gewesen wären und den guten Ruf Letzterer beschädigt hätten. Das Gericht ordnete an, dass die Bf. die Aussagen gegenüber den Behörden zurückziehen müssten, widrigenfalls sie € 1.280,– an Entschädigung für erlittenen immateriellen Schaden zu zahlen hätten. Weiters wurde angeordnet, dass sie das Urteil auf eigene Kosten in Radio und Fernsehen des Distrikts Brcko sowie in zwei Zeitungen veröffentlichen sollten. Nachdem die bf. Organisationen dem nicht nachgekommen waren, beantragte M. S. die Vollstreckung, was dazu führte, dass Erstere etwa € 1.445,– bezahlen mussten. Das Verfassungsgericht bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts im Mai 2010.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. rügten eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit) durch ihre Verurteilung wegen angeblicher Rufschädigung.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK

(66) Der GH erwägt, dass die strittige Entscheidung des Berufungsgerichts des Distrikts Brcko, das die Bf. für die Rufschädigung haftbar machte und ihnen gegenüber anordnete, den Brief zu widerrufen, widrigenfalls sie immateriellen Schadenersatz an M. S. zu zahlen hätten, einen Eingriff in ihr Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK darstellte.

(69) Zwischen den Parteien war nicht strittig, dass der Eingriff in das Recht des Bf. auf Meinungsäußerungsfreiheit eine Grundlage im innerstaatlichen Recht hatte – nämlich § 6 des Gesetzes über Rufschädigung – und dass das betreffende Gesetz zugänglich war. In ihren mündlichen Vorträgen vor der GK behaupteten die Bf. allerdings, dass die Anwendung von § 6 des Gesetzes über Rufschädigung auf ihren Fall für die Zwecke des Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht ausreichend vorhersehbar gewesen wäre.

(71) [...] Der GH kann nichts finden, das nahelegen würde, dass die Bf. nicht in einer Position waren, um in einem vernünftigen Maß die Auslegung und Anwendung von § 6 des Gesetzes über Rufschädigung 2003 durch das nationale Berufungsgericht vorherzusehen.

(72) Vor diesem Hintergrund ist der GH überzeugt davon, dass § 6 des Gesetzes über Rufschädigung 2003 den erforderlichen Grad an Präzision aufwies und der Eingriff daher »gesetzlich vorgesehen« war.

(73) Es gab keinen Streit zwischen den Parteien, dass der gerügte Eingriff ein legitimes Ziel verfolgte, nämlich den »Schutz des guten Rufes anderer«. Der GH sieht keinen Grund, in dieser Frage zu einem anderen Schluss zu kommen.

(74) Es bleibt zu entscheiden, ob der gerügte Eingriff »in einer demokratischen Gesellschaft notwendig« war, was in diesem Fall die zentrale Frage darstellt. Dabei muss der GH untersuchen, ob die nationalen Gerichte einen fairen Ausgleich zwischen dem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit der Bf. nach Art. 10 EMRK und dem Interesse von M. S. am Schutz ihres Rufes schufen.

Der vom GH im vorliegenden Fall zu wählende Ansatz

(78) Um über den im vorliegenden Fall anzuwendenden Ansatz zu entscheiden, muss der GH den gerügten Eingriff im Lichte des Falles als Ganzem betrachten, einschießlich der Form, in welcher die strittigen Äußerungen übermittelt wurden, sowie ihres Inhalts und des Kontexts, in dem sie erfolgten.

Ist das Recht nach Art. 10 EMRK gegen das Recht nach Art. 8 EMRK abzuwägen?

(79) Der GH bemerkt, dass weder vorgebracht wurde noch scheint, dass die Vorwürfe gegen M. S. im Brief der bf. Organisationen ein Verhalten betrafen, das nach innerstaatlichem Recht als strafbar angesehen wurde. Allerdings befindet er, dass die Beschuldigung, M. S. wäre respektlos gegenüber anderen Ethnien und Religionen, nicht nur geeignet war, ihren Ruf zu beflecken, sondern auch, ihr Schaden in ihrem beruflichen und sozialen Umfeld zu verursachen [...]. Daher erreichten die Vorwürfe den erforderlichen Grad an Schwere, um die Rechte von M. S. unter Art. 8 EMRK zu beeinträchtigen [...]. Der GH muss daher prüfen, ob die innerstaatlichen Behörden einen fairen Ausgleich zwischen den beiden von der Konvention garantierten Werten schufen, nämlich der durch Art. 10 EMRK geschützten Meinungsäußerungsfreiheit der Bf. einerseits und dem Recht von M. S. auf Achtung ihres guten Rufes unter Art. 8 EMRK andererseits.

Relevanz der Rechtsprechung des GH zum Whistleblowing

(80) Der GH hat ferner erwogen, ob die Meldung der Bf. wie von den Drittbeteiligten behauptet als Whistleblowing qualifiziert werden konnte, so wie dieses in seiner Rechtsprechung definiert wurde. Der GH bemerkt allerdings, dass die Bf. sich nicht in einer untergeordneten arbeitsbasierten Beziehung zum öffentlichen Radio des Distrikts Brcko befanden und sie daher keiner Loyalitätspflicht, Zurückhaltung und Diskretion gegenüber dem Radio unterwerfen waren – spezielle Charakteristika [von Whistleblowing] gemäß der Rechtsprechung des GH. Die Bf. hatten mangels Beschäftigung bei der Radiostation des Distrikts Brcko keinen ausschließlichen Zugang zu dieser Information und direktes Wissen davon, aber sie agierten offenbar als »Kommunikationsmittler« zwischen den Beschäftigten des Radios (im Hinblick auf das angebliche Fehlverhalten von M. S. am Arbeitsplatz) und den Behörden des Distrikts Brcko. Es wurde keine Information vorgebracht, wonach die Beschäftigten als Folge ihres Hinweises auf das falsche Verhalten Auswirkungen erlitten. Auch argumentierten die Bf. nicht, dass ihr Brief als Whistleblowing angesehen werden müsse. Aufgrund des Fehlens einer Frage von Loyalität, Zurückhaltung und Diskretion besteht für den GH keine Notwendigkeit, die Art von Frage zu untersuchen, die in der [...] Rechtsprechung zu Whistleblowing zentral war, nämlich ob es alternative Kanäle oder andere wirksame Mittel für die Bf. gab, um Abhilfe im Hinblick auf das behauptete Fehlverhalten, das die Bf. aufdecken wollten, zu schaffen (wie Enthüllung gegenüber dem Vorgesetzten der Person oder einer anderen zuständigen Behörde/einem anderen zuständigen Organ).

Relevanz der Rechtsprechung des GH betreffend die Meldung von angeblichen Unregelmäßigkeiten im Verhalten von staatlichen Beamten

(81) Es ist dennoch bedeutsam, dass es der Inhalt des Schreibens der Bf. an die höchsten Behörden im Distrikt Brcko war [...], der M. S. – die zur betreffenden Zeit Redakteurin des Unterhaltungsprogramms des öffentlichen Radios des Distrikts Brcko und eine der Kandidaten für die Stelle des Direktors dieser Radiostation war – veranlasste, das Verfahren wegen Rufschädigung anzustrengen. Da es sich um ein öffentliches Radio handelte und dieses sich auf staatliche Finanzierung stützte, steht außer Zweifel, dass sie als öffentlich Bedienstete angesehen werden musste. [...]

(82) In diesem Zusammenhang findet der GH den vom Verfassungsgericht von Bosnien und Herzegowina im vorliegenden Fall verfolgten Ansatz besonders bemerkenswert, der sich im Wesentlichen auf die Rechtsprechung unter der Konvention stützt, die in einer vergleichbaren Fallgruppe entwickelt wurde und wo der GH feststellte, dass »die Erfordernisse des Schutzes nach Art. 10 EMRK nicht im Hinblick auf die Interessen der Pressefreiheit oder der offenen Diskussion von Angelegenheiten von öffentlichem Interesse abgewogen werden mussten, sondern vielmehr gegen das Recht der Bf., behauptete Unregelmäßigkeiten im Verhalten von staatlichen Beamten zu melden« [...] Eine bedeutende Erwägung in dieser Rechtsprechungslinie ist, dass »es eines der Gebote der Rechtsstaatlichkeit ist«, dass »es Bürgern möglich sein muss, zuständige staatliche Beamte über das Verhalten von Beamten zu informieren, das ihnen unkorrekt oder unrechtmäßig erscheint«. Der vorangehende Grundsatz und die ihn anwendenden Urteile zeigen, dass der GH bereit war, den guten Glauben und die Bemühungen eines Bf., die Wahrheit zu erforschen, gemäß einem subjektiveren und milderen Ansatz als in anderen Arten von Fällen zu bewerten.

(83) Gleichzeitig muss betont werden, dass in den genannten Entscheidungen ein wesentlicher Faktor bei der Verhältnismäßigkeitsbeurteilung des GH der Umstand war, dass die angefochtenen rufschädigenden Äußerungen über eine private Korrespondenz des Bf. an den Vorgesetzten der betroffenen beschwerten Partei oder an staatliche Beamte erfolgte. In einigen dieser Fälle resultierten die strittigen Rügen aus der direkten persönlichen Erfahrung der Bf. [z.B. dass Beamte von der Bf. ein Bestechungsgeld verlangt hatten] [...], während sie in anderen Fällen von Bf. vorgebracht worden waren, die nicht direkt an den gerügten Angelegenheiten beteiligt gewesen waren (Zakharov/RUS [...]).

(84) Wie aus der vorangehenden Analyse ersichtlich ist, gibt es eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen Fällen in der Art von Zakharov/RUS und dem vorliegenden. Allerdings existieren auch gewisse unterscheidende Merkmale, die dafür sprechen, einen etwas nuancierteren Ansatz auf der Basis weiterer Kriterien anzulegen, wie weiter unten erläutert werden wird.

Relevanz der Rechtsprechung des GH zur Rufschädigung gegenüber Amtspersonen und die Rolle von NGOs und der Presse

(85) Anders als in den oben genannten Fällen erfolgten die Rügen, die die Bf. im vorliegenden Fall an die Behörden herantrugen, nicht durch private Einzelpersonen, sondern durch vier NGOs und basierten nicht auf direkter persönlicher Erfahrung.

(86) Zunächst soll betont werden, dass die Rolle einer NGO, die ein behauptetes Fehlverhalten oder Unregelmäßigkeiten durch öffentliche Amtsträger berichtet, nicht weniger wichtig ist als jene, die von einem Einzelnen in Entsprechung der Zakharov-Rechtsprechung wahrgenommen wird, auch wenn sie sich wie im vorliegenden Fall nicht auf direkte persönliche Erfahrung stützt. Tatsächlich hat der GH akzeptiert, dass eine NGO, die Aufmerksamkeit auf Angelegenheiten von öffentlichem Interesse lenkt, mit einer ähnlichen Bedeutung wie die Presse die Rolle eines öffentlichen Wachhundes übernimmt und [...] dies einen ähnlichen Schutz unter der Konvention rechtfertigt wie jener, der der Presse gewährt wird. [...]

(87) Zugleich darf nicht übersehen werden, dass eine NGO, welche die Rolle eines öffentlichen Wachhundes ausübt, auf eine vergleichbare Weise wie die Presse wahrscheinlich einen größeren Einfluss hat, wenn sie über Unregelmäßigkeiten bei öffentlichen Amtsträgern berichtet, und oft über bessere Mittel verfügen wird, die Richtigkeit einer Kritik zu prüfen und zu belegen als eine Einzelperson, die darüber berichtet, was er oder sie persönlich beobachtet hat. Im Bereich der Pressefreiheit hat der GH festgehalten, dass »die den Journalisten in Bezug auf die Berichterstattung über Fragen von allgemeinem Interesse durch Art. 10 EMRK gewährte Garantie aufgrund der der Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit immanenten ›Pflichten und Verantwortung‹ der Bedingung unterliegt, dass sie in gutem Glauben handeln, um korrekte und verlässliche Information im Einklang mit der journalistischen Ethik zu liefern«. Kürzlich hat der GH im [...] Fall Magyar Helsinki Bizottság/H bestätigt, dass dieselben Erwägungen auf eine NGO Anwendung finden, welche die Funktion eines öffentlichen Wachhundes übernimmt. [...]

Schlussfolgerung

(88) Dementsprechend offenbart der vorliegende Fall die Notwendigkeit, eine größere Bandbreite an Faktoren zu berücksichtigen als in den mit Zakharov/RUS vergleichbaren Fällen, in denen der GH dem Umstand »entscheidende Bedeutung« beimaß, dass Bf. ihre Beanstandungen über private Korrespondenz ansprachen, und eine relativ geringe Belastung des Bf. damit akzeptierte, ihre Richtigkeit festzustellen. Bei der Abwägung der betroffenen widerstreitenden Interessen, nämlich des Rechts der Bf. auf Meinungsäußerungsfreiheit gegen das Recht von M. S. auf Achtung ihres Privatlebens, erachtet es der GH für angemessen, auch die Kriterien miteinzubeziehen, die allgemein auf die Verbreitung von rufschädigenden Äußerungen durch Medien in der Ausübung ihrer Rolle als öffentlicher Wachhund Anwendung finden, nämlich den Grad der Bekanntheit der betroffenen Person, den Gegenstand des Nachrichtenberichts, den Inhalt, die Form und die Folgen der Veröffentlichung sowie die Art und Weise, auf die die Information erlangt wurde und ihre Richtigkeit und die Schwere der verhängten Strafe.

Anwendung auf den vorliegenden Fall

Private Natur der Korrespondenz

(90) Der GH bemerkt, dass die Prüfung der innerstaatlichen Gerichte sich auf die private Korrespondenz zwischen den Bf. und den staatlichen Amtsträgern beschränkte. [...] Der Umstand, dass das Schreiben der Bf. in Lokalzeitungen veröffentlicht wurde, spielte bei der Feststellung der innerstaatlichen Gerichte zur Haftbarkeit der Bf. wegen Rufschädigung keine Rolle, da nicht bewiesen wurde, dass sie für ihre Veröffentlichung verantwortlich gewesen wären. [...]

(91) Der GH ist ebenfalls der Ansicht, dass die Haftbarkeit der Bf. wegen Rufschädigung nur im Hinblick auf ihre private Korrespondenz mit den örtlichen Behörden beurteilt werden sollte statt mit Bezug auf die Veröffentlichung des Schreibens in den Medien oder auf irgendeinem anderen Weg [...].

Öffentliches Interesse an der im Schreiben enthaltenen Information

(93) Der GH hält fest, dass die Bf. sich in dem Schreiben kritisch über den Umstand äußerten, in dem die nationalen Behörden den Grundsatz der verhältnismäßigen Vertretung ethnischer Gemeinschaften im öffentlichen Dienst des Distrikts Brcko erfüllten. Sie verwiesen auf frühere Fälle der Nichtbeachtung dieses Grundsatzes, was angeblich zum Nachteil von Kroaten und Bosniaken im Distrikt Brcko gewesen wäre. Diese Fälle betrafen auch die Beschäftigung von Personal in der Radiostation des Distrikts Brcko. In diesem Zusammenhang hinterfragten sie die Kandidatur von M. S. für den Posten des Direktors des Radios, die angeblich von der Mehrheit der Mitglieder des Auswahlkomitees vorgeschlagen wurden, die Serben gewesen wären. Sie behaupteten auch, dass M. S. an herabwürdigendem Verhalten gegenüber Bosniaken beteiligt gewesen wäre.

(94) Der GH erwägt, dass es keinen Zweifel geben kann, dass jede Diskussion über die ethnische Ausgewogenheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst wichtig war und in den öffentlichen Bereich fiel. Ein hoher Standard des öffentlichen Dienstes, in dem Beamte – insbesondere jene, denen »allgemein ein bedeutender Einfluss auf öffentliche Fragen von politischem Interesse zugeschrieben« wurde – die Ethnie und religiöse Identität der in Bosnien und Herzegowina Lebenden achteten, stellte eine wichtige Angelegenheit von öffentlichem Interesse dar. Die spezielle Bedeutung, welche jede Angelegenheit mit Bezug zu Ethnie oder Religion zur betreffenden Zeit in der bosnischen Gesellschaft hatte [...], war ein weiterer Beweis dafür, dass das Schreiben insgesamt gesehen Fragen von öffentlichem Interesse im Distrikt Brcko betraf. Diese Fragen waren zumindest von beträchtlicher Bedeutung für die Bosniaken, die von den Bf. vertreten wurden und die sich – wie aus dem Schreiben hervorgeht – im öffentlichen Dienst als unterrepräsentiert erachteten.

Zuständigkeit der Empfänger des Schreibens, die Information zu erhalten

(95) Der GH bemerkt, dass die von den Bf. kontaktierten Behörden keine direkte Zuständigkeit im Verfahren zur Bestellung des Radiodirektors hatten. Er akzeptiert jedoch, dass sie ein legitimes Interesse daran hatten, über die im Schreiben aufgeworfenen Fragen informiert zu werden. [...]

Die Art und Weise, auf welche die Bf. die angeblichen Unregelmäßigkeiten an die betreffenden Behörden berichteten

(97) Die innerstaatlichen Gerichte [...] qualifizierten die Vorwürfe [der Bf.] als Tatsachenbehauptungen (und nicht als Werturteile). Da die gerügten Äußerungen im Wesentlichen Worte und Taten beschreiben, die angeblich M. S. zuzurechnen sind, findet der GH keinen Grund, dies anders zu sehen.

 

Bekanntheit der betroffenen Person und

Gegenstand der Vorwürfe

(98) Es muss festgehalten werden, dass die obigen Vorwürfe M. S. betrafen, die zur damaligen Zeit eine Beschäftigte der Radiostation des Distrikts Brcko und daher eine öffentlich Bedienstete war. Der GH erinnert daran, dass Staatsbedienstete, die in amtlicher Funktion handeln, weiteren Grenzen akzeptabler Kritik unterworfen sind als gewöhnliche Einzelpersonen. Angesichts der Natur des Postens, den M. S. zur betreffenden Zeit innehatte (eine Redakteurin des Unterhaltungsprogramms) kann nicht gesagt werden, dass diese Grenzen so weit waren wie bei Politikern. Der GH bemerkt jedoch, dass M. S., indem sie sich für den Posten des Radiodirektors beworben hatte – auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an der Information in dem Schreiben – zwangsläufig und wissentlich den öffentlichen Bereich betrat und sich selbst der genauen Prüfung ihrer Handlungen unterwarf. [...] Unter solchen Umständen erwägt der GH, dass die Grenzen akzeptabler Kritik dementsprechend weiter sein müssen als im Fall einer gewöhnlichen Fachkraft.

(99) [...] Die strittigen vier Äußerungen umfassten Vorwürfe des Fehlverhaltens durch M. S. am Arbeitsplatz und einen Kommentar in einer Zeitung, dessen Autorin sie angeblich war und der Verachtung für verschiedene ethnische und religiöse Segmente der bosnischen Gesellschaft ausdrückte.

 

Inhalt, Form und Folgen der den Behörden weitergegebenen Information

(100) Für die Beurteilung in diesem Punkt ist der von den Bf. im strittigen Schreiben verwendete Wortlaut ein bedeutender Faktor. In diesem Zusammenhang bemerkt der GH, dass die Bf. im Schreiben nicht audrücklich angaben, dass ein Teil der Information, die sie an die Behörden weitergaben, aus anderen Quellen (nämlich von Beschäftigten der Radiostation) stammte [...]. Die Bf. leiteten das Schreiben mit den Worten »entsprechend unseren Informationen« ein, gaben aber nicht klar an, dass sie als Überbringer handelten. Daher präsentierten sie sich implizit so, als hätten sie direkten Zugang zu dieser Information. Unter diesen Umständen übernahmen sie die Verantwortung für die in ihrem Brief inkludierten Aussagen.

(102) Ein weiterer bedeutender Faktor ist, ob die Stoßrichtung der strittigen Aussagen primär war, M. S. zu beschuldigen oder eher, die zuständigen staatlichen Amtsträger über ein Verhalten zu informieren, das ihnen inkorrekt oder unrechtmäßig erschien. Bei seiner kontextuellen Untersuchung des strittigen Schreibens insgesamt muss der GH eine eigene Beurteilung der strittigen Aussagen vornehmen.

(103) Die Bf. behaupteten, dass ihre Absicht gewesen wäre, die zuständigen Behörden über gewisse Unregelmäßigkeiten zu informieren, und sie dazu zu veranlassen, die im Schreiben getätigten Vorwürfe zu untersuchen und zu überprüfen. Der GH bemerkt allerdings, dass das Schreiben keinen »Antrag« auf Untersuchung und Überprüfung der Behauptungen enthielt. Während die Bf. ihre Erwartung ausdrückten, dass die Behörden »angemessen auf das Schreiben reagieren würden«, ist unsicher, ob dies eine Untersuchung oder Überprüfung der tatsächlichen Behauptungen über M. S. betraf. Jedenfalls kann der GH nur die Aussage der Bf. in dem Schreiben bemerken, dass »ein Bosniake für diese Position [des Radiodirektors] bestellt werden sollte«.

(104) Was die Folgen der obigen Anschuldigungen [...] anbelangt, erwägt der GH, dass – wenn man sie insgesamt und vor dem Hintergrund des speziellen Kontexts, in dem sie erfolgten, betrachtet – das M. S. zugeschriebene Verhalten unzweifelhaft als aus moralischer und gesellschaftlicher Sicht besonders unangemessen angesehen werden musste. Die Vorwürfe werfen ein sehr schlechtes Licht auf M. S. und waren geeignet, sie als eine Person darzustellen, die in ihren Ansichten und Empfindungen gegenüber Muslimen und Bosniaken Respektlosigkeit und Verächtlichkeit an den Tag legte. Die innerstaatlichen Gerichte hielten fest, dass die fraglichen Aussagen rufschädigende Anschuldigungen enthielten [...]. Der GH sieht keinen Grund, es anders zu sehen. Ganz im Gegenteil war die Natur der Anschuldigungen derart, dass sie die Tauglichkeit von M. S. nicht nur für den Posten des Direktors des Radios [...], für den sie sich beworben hatte, sondern auch für ihre Rolle als Redakteurin des Unterhaltungsprogramms [...] in einer multiethnischen öffentlichen Radiostation in Frage stellte.

(105) Dass diese Vorwürfe nur einer begrenzten Zahl an staatlichen Amtsträgern über eine private Korrespondenz überbracht wurden, eliminierte ihre potentiell schädigende Wirkung auf die Karriereaussichten von M. S. als öffentlich Bedienstete und ihren professionellen Ruf als Journalistin nicht. [...] Ohne irgendwelche Schlüsse dahingehend zu ziehen, ob die strittigen Aussagen im Schreiben eine Rolle in dem Auswahlverfahren spielten, das zur damaligen Zeit gerade lief, beobachtet der GH, dass M. S. nicht als Direktorin des Radios [...] bestellt wurde.

(106) Letztlich bemerkt der GH, dass die rufschädigenden Anschuldigungen gegenüber M. S. an die Presse durchsickerten. Jede Schlussfolgerung dahingehend, wie das strittige Schreiben im vorliegenden Fall an die Medien kam, wäre starke Spekulation. Unabhängig davon, wie das Schreiben die Medien erreichte, ist es begreiflich, dass seine Veröffentlichung eine Möglichkeit zur öffentlichen Debatte eröffnete und den Schaden für die Würde und den professionellen Ruf von M. S. verstärkte.

 

Die Richtigkeit der enthüllten Information

(107) Ein weiterer und nach Ansicht des GH der wichtigste Faktor für die Abwägung im vorliegenden Fall ist die Richtigkeit der an die Behörden weitergegebenen Information.

(108) Der GH bezieht sich auf seine Feststellung, dass die Aktivitäten der Bf., die die Rolle des öffentlichen Wachhundes übernommen haben, einen ähnlichen Schutz nach der Konvention rechtfertigen wie jener, der der Presse gewährt wird (Rn. 87). Zur Pressefreiheit hat der GH festgehalten, dass besondere Gründe nötig sind, damit die Medien von ihrer gewöhnlichen Verpflichtung befreit werden können, Tatsachenbehauptungen zu prüfen, die für private Einzelpersonen rufschädigend sind. Ob solche Gründe existieren, hängt insbesondere von der Natur und dem Grad der fraglichen Rufschädigung ab sowie dem Ausmaß, zu dem die Medien ihre Quellen im Hinblick auf die Behauptungen vernünftigerweise für verlässlich ansehen können. Diese Faktoren verlangen wiederum die Berücksichtigung anderer Elemente, etwa ob die Zeitung vor der Veröffentlichung eine angemessene Recherche durchgeführt hatte, ob sie die Geschichte auf eine ausgewogene Weise präsentierte und ob sie den rufgeschädigten Personen die Gelegenheit gab, sich zu verteidigen.

(109) Der GH erwägt, dass die Bf. des vorliegenden Falles ähnlich wie Zeitungen durch die Erfordernisse gebunden waren, die Richtigkeit der Vorwürfe gegenüber M. S. zu prüfen. [...] Dass die gerügten Behauptungen den staatlichen Behörden über eine private Korrespondenz kommuniziert wurden, ist zwar eine wichtige Erwägung, verlieh den Bf. aber keine völlig unbeschränkte Freiheit, unbestätigte Verleumdungen vorzubringen. Die Verpflichtung der Behörden, solche Behauptungen zu prüfen, kann nicht als Ersatz für die gewöhnliche Verpflichtung zur Prüfung tatsächlicher rufschädigender Aussagen dienen, auch nicht bei öffentlich Bediensteten. Dass die Bf. als Vertreter der Interessen bestimmter Segmente der Bevölkerung des Distrikts Brcko wahrgenommen wurden [...] und auch tatsächlich als solche handelten, erhöhte ihre Pflicht, die Korrektheit der Information zu prüfen, bevor sie sie an die Behörden gaben. [...] Die Angemessenheit der diesbezüglich unternommenen Anstrengungen muss vor dem Hintergrund der Situation zur Zeit der Vorbereitung des Schreibens entschieden werden und nicht im Nachhinein.

(110) Die Informationen, welche die Bf. an die Behörden weitergaben, waren in Anbetracht ihrer Quelle zweifach: (1) Informationen, welche die Bf. von Beschäftigten der Radiostation erhielten und (2) auf andere Weise erlangte Informationen.

(111) Die Informationen unter (1) betrafen tatsächliche Behauptungen im Hinblick auf die Entfernung des Kalenders mit religiösen Diensten während des Monats Ramadan von einer Wand im Gebäude des Radios und das angebliche Verbot, Sevdalinka zu senden. Die innerstaatlichen Gerichte [...] hielten jedoch fest, dass die Darstellung der Beschäftigten im Schreiben der Bf. nicht korrekt wiedergegeben wurde. [Die Beschäftigten] bestätigten zwar, dass M. S. den religiösen Ramadan-Kalender [...] entfernt hatte, allerdings nicht, dass sie ihn dabei »demonstrativ in Stücke zerrissen habe«. Zudem [...] konnte nicht gezeigt werden, dass [...] behauptet worden wäre, dass M. S. »die Sendung von Sevdalinka verboten und argumentiert hatte, dass diese Art von Lied keinen kulturellen oder musikalischen Wert habe«.

(112) Das Verfassungsgericht [...] hielt fest, dass »es offensichtliche Unregelmäßigkeiten zwischen dem gab, was zu den Bf. gesagt worden war, und dem, was sie in ihrem Schreiben berichtet hatten« [...]. Obwohl ein gewisser Grad an Übersteigerung und Übertreibung bei Berichten durch NGOs toleriert und sogar erwartet werden muss, war diese Diskrepanz nicht unbedeutend, sondern ergänzte den von den Beschäftigten erhaltenen Bericht und festigte damit die Darstellung von M. S. als respektlos gegenüber der kulturellen und ethnischen Identität von Bosniaken und Muslimen. Der GH betont, dass die Bf. als NGOs, deren Mitglieder in der Gesellschaft einen guten Ruf genossen, verpflichtet waren, die Darstellung der Beschäftigten korrekt wiederzugeben – als wichtiges Element für die Entwicklung und Aufrechterhaltung gegenseitigen Vertrauens und ihres Bildes als kompetente und verantwortliche Teilnehmer am öffentlichen Leben. Zudem wurden die bestrittenen Vorwürfe mehr als Tatsachen präsentiert statt als Werturteile. Die innerstaatlichen Gerichte befanden, dass diese Unregelmäßigkeiten den Bf. zuzurechnen waren. Letztere haben keine Beweise vorgelegt, die diese Feststellung in Zweifel ziehen könnten.

(113) Die Informationen unter (2) betrafen die Anschuldigungen, dass M. S. das Wappen von Bosnien und Herzegowina mit dem Wappen der Republik Serbien überdeckt hätte und dass sie in einer lokalen Zeitung geäußert hätte, dass »Muslime kein Volk wären, keine Kultur besäßen und daher die Zerstörung von Moscheen auch nicht als Zerstörung von kulturellen Denkmälern angesehen werden könne«.

(114) Was den angeblichen »Vorfall« im Zusammenhang mit dem Wappen betrifft, stellten die innerstaatlichen Gerichte fest, dass dieser bei einem Treffen der Bf. vor der Vorbereitung des Schreibens diskutiert wurde. Dort hätte S. C., der Vertreter des ZweitBf., bestätigt, dass er Leute in der Stadt über den mutmaßlichen Vorfall reden hören hätte. Die Bf. legten weder im Verfahren wegen Rufschädigung noch vor dem GH irgendwelche Beweise vor, dass sie irgendwie versucht hätten, die Richtigkeit dieses Gerüchts zu prüfen, bevor sie darüber an die Behörden berichteten. Auf der Grundlage der mündlichen Aussagen von drei Beschäftigten des Radios im Verfahren stellten die innerstaatlichen Gerichte die Inkorrektheit dieser Information fest.

(115) Noch mehr Bedeutung hat, dass der Bericht der Bf., wonach M. S. die Autorin des strittigen Artikels in der Zeitung sei, auf der Vermutung »eines angesehenen Mitglieds einer [bf. Organisation]« beruhte [...]. Während in dem fraglichen Artikel in der Tat eine den Angaben der Bf. entsprechende Aussage getätigt worden war, stellten die innerstaatlichen Gerichte fest, dass M. S. nicht die Autorin gewesen wäre. Der GH erwägt, dass die Prüfung dieses Umstands vor dem Bericht keine besondere Anstrengung auf Seiten der Bf. verlangt hätte. Die Identität des Autors dieser Äußerung war leicht feststellbar und hätte einfache Recherche von den Bf. verlangt. Trotz der Schwere ihrer Anschuldigung gegen M. S. tätigten die Bf. diese Äußerung leichtfertig, ohne vor dem Bericht einen Versuch zu unternehmen, die Richtigkeit ihrer Behauptung zu prüfen. Der GH betont, dass je schwerer die Anschuldigung wiegt, eine umso höhere Sorgfalt nötig ist, bevor sie den zuständigen Behörden zur Kenntnis gebracht wird. Die Bf. verabsäumten es auch, die Empfänger ihres Briefs über die Inkorrektheit zu informieren, nachdem sie entdeckt hatten, dass M. S. nicht die Autorin der Äußerung gewesen war. Sie gaben für dieses Versäumnis keinen Grund an.

(116) Zusätzlich [...] bemerkt der GH, dass M. S. keine Gelegenheit gegeben wurde, sich zu den Behauptungen zu äußern, welche die Bf. beabsichtigten den Behörden zur Kenntnis zu bringen. Es wurde kein Argument vorgebracht, dass ein solcher Versuch unter den Umständen des Falles unmöglich oder ungeeignet gewesen wäre.

(117) Das Berufungsgericht des Distrikts Brcko hielt fest, dass die Bf. »die Wahrheit [dieser Aussagen] nicht bewiesen haben [...], von denen sie wussten oder wissen hätten müssen, dass sie falsch waren« [...]. Das Verfassungsgericht fügte hinzu, dass diese Äußerungen »offenkundig falsche Tatsachen« betrafen und dass die Bf. »keine angemessenen Bemühungen unternahmen, um die Wahrheit [dieser] Tatsachen zu prüfen, bevor sie [berichteten], sondern [diese Aussagen] einfach tätigten«. Der GH sieht keinen Grund, um von dieser Feststellung abzugehen. Er kommt daher zum Schluss, dass die Bf. über keine ausreichende tatsächliche Grundlage für ihre strittigen Behauptungen über M. S. [...] verfügten.

 

Schwere der Sanktion

(119) [Der GH] bemerkt, dass das Berufungsgericht des Distrikts Brcko zwei Anordnungen gegenüber den Bf. erließ: die Behörden zu informieren, dass sie ihren Brief zurückziehen [...], widrigenfalls sie gemeinsam € 1.280,– an immateriellem Schadenersatz zahlen würden müssen [...], und das Urteil auf eigene Kosten an das Radio und Fernsehen des Distrikts Brcko sowie an zwei Zeitungen zur Veröffentlichung zu übermitteln [...]. [...]

(120) Die Anordnung, die von den Bf. verlangt, den Brief binnen fünfzehn Tagen zurückzuziehen oder eine Entschädigung zu zahlen, wirft keine Frage unter der Konvention auf. Erst nach Ablaufen der vom Berufungsgericht [...] gesetzten Frist begannen die nationalen Gerichte Maßnahmen zu setzen, um die Zahlungsanordnung zu vollstrecken. Zudem war die Höhe der Entschädigung, welche die Bf. zu zahlen verpflichtet wurden, für sich nicht unverhältnismäßig. [...] Ähnliche Erwägungen gelten für die Veröffentlichungsanordnung.

 

Schlussfolgerung

(121) Angesichts des Vorgesagten erkennt der GH keine schwerwiegenden Gründe, die verlangen würden, dass er seine Ansicht an die Stelle jener der innerstaatlichen Gerichte setzt und deren Abwägung aufhebt. Er ist überzeugt davon, dass der umstrittene Eingriff durch einschlägige und ausreichende Gründe gestützt wurde und dass die Behörden des belangten Staates einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Bf. auf freie Rede einerseits und dem Interesse von M. S. am Schutz ihres Rufs andererseits schufen. Sie handelten damit innerhalb ihres Ermessensspielraums.

(122) Daher erfolgte keine Verletzung von Art. 10 EMRK (11:6 Stimmen; gemeinsames abweichendes Sondervotum der Richterinnen und Richter Sajó, Karakas, Motoc und Mits; abweichende Sondervoten des Richters Vehabovic sowie des Richters Kuris).

Vom GH zitierte Judikatur:

Thoma/L v. 29.3.2001

Pedersen and Baadsgaard/DK v. 17.12.2004 (GK) = NL 2005, 10

Albert-Engelmann-Gesellschaft mbH/A v. 19.1.2006 = NL 2006, 20 = ÖJZ 2006, 695

Zakharov/RUS v. 5.10.2006

Kazakov/RUS v. 18.12.2008

Sofranschi/MD v. 21.12.2010

Axel Springer AG/D v. 7.2.2012 (GK) = NLMR 2012, 42 = EuGRZ 2012, 294

Von Hannover/D (Nr. 2) v. 7.2.2012 (GK) = NLMR 2012, 45 = EuGRZ 2012, 278

Magyar Helsinki Bizottság/H v. 8.11.2016 (GK) = NLMR 2016, 536

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 27.6.2017, Bsw. 17224/11, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2017, 257) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/17_3/Islamske.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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