EGMR Bsw55537/10

EGMRBsw55537/102.5.2017

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Haupt gg. Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 2.5.2017, Bsw. 55537/10.

 

Spruch:

Art. 8 EMRK, Art. 6 EMRK, Art. 1 1. Prot. EMRK - Keine Verletzung des guten Rufs des damaligen Vizekanzlers Haupt in einer Satiresendung.

Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

 

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. Herbert Haupt war von 2002 bis 2004 Parteiobmann der FPÖ und vom 28.2.2003 bis zum 20.10.2003 Vizekanzler der Republik Österreich. Eine am 19.9.2003 auf ATV+ gezeigte Comedy-Show (»Das Letzte der Woche«), in der über Ereignisse der vergangenen Woche auf eine satirische Art und Weise berichtet wurde, machte die Patenschaft, die der Bf. für ein neugeborenes Nilpferd übernommen hatte, zum Thema. In diesem Zusammenhang wurden Vergleiche zwischen dem Bf. und Letzterem insbesondere hinsichtlich des Umstands angestellt, dass beide »für gewöhnlich von einer Menge an braunen Ratten umgeben« seien.

Am 13.10.2003 brachte der Bf. einen Antrag auf Entschädigung nach § 6 MedienG iVm. § 115 StGB gegen die ATV Privat TV GmbH Co KG (im Folgenden: ATV) ein, in der er behauptete, dass er von dem Ausdruck »braune Ratten« beleidigt worden wäre. Das Straflandesgericht Wien wies diesen Antrag am 25.11.2003 ab. Das OLG Wien gab der Berufung in der Folge statt und verwies den Fall zurück an das Straflandesgericht, da es der Ansicht war, dass das Delikt der üblen Nachrede gemäß § 111 StGB vorliegen würde. Das Straflandesgericht entschied sodann am 17.5.2004 zugunsten des Bf. und erkannte ihm eine Entschädigung von € 2.000,– zu. Der Berufung der Gegenseite wurde vom OLG Wien am 10.1.2005 nicht stattgegeben.

Am 26.6.2005 brachte ATV eine Beschwerde wegen Verletzung seiner Rechte unter Art. 10 EMRK beim EGMR ein. Die Beschwerde wurde der österreichischen Regierung am 29.5.2008 zugestellt. Daraufhin beantragte die Generalprokuratur die außerordentliche Wiederaufnahme des Falles durch den OGH gemäß § 362 Abs. 1 StPO. Der OGH leistete diesem Antrag am 24.6.2009 Folge und verwies die Rechtssache an das Straflandesgericht Wien zurück. Im wiederaufgenommenen Verfahren wies das Straflandesgericht Wien den Entschädigungsantrag des Bf. am 16.10.2009 ab. Was die Untersuchung der Beweise betrifft, führte das Straflandesgericht mehrere rechtsextreme oder neonazistische Aussagen an, die von hochrangigen Politikern der FPÖ getätigt worden waren. Ferner stellte es fest, dass sich der Bf. nicht öffentlich von diesen Aussagen distanziert hatte. Daher betraf die fragliche Aussage der Sendung nicht den privaten und persönlichen Bereich des Bf., sondern seine berufliche Position als Politiker. Sie stellte eine politische Kritik an der Einstellung und den Aussagen der bezeichneten Politiker der FPÖ und an der Art und Weise dar, auf welche der Bf. auf diese reagiert hatte.

Am 10.3.2010 wies das OLG Wien eine Berufung des Bf. ab und bestätigte die Erkenntnisse des Straflandesgerichtes.

Die Beschwerde von ATV an den EGMR vom 26.6.2005 wurde von Letzterem im Register gestrichen, nachdem der Entschädigungsantrag des Bf. des gegenständlichen Falles im wiederaufgenommenen Verfahren abgewiesen worden war.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. rügte eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens), da es die österreichischen Gerichte verabsäumt hätten, ihn vor Angriffen auf seinen guten Ruf durch den Fernsehsender ATV zu schützen, der eine reißerische und erniedrigende Aussage verbreitet hätte. Er beschwerte sich weiters über eine Verletzung von Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), weil das Verfahren betreffend die Entschädigung nicht in angemessener Zeit abgeschlossen worden wäre. Außerdem rügte er eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums) durch die Abweisung seines Antrages auf Entschädigung durch die österreichischen Gerichte im wiederaufgenommenen Verfahren.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK

(35) Der GH erwägt zunächst, dass der Bf. als Vizekanzler der Bundesregierung und Parteiobmann der FPÖ ein bekannter Politiker war, hinsichtlich dessen die Grenzen akzeptabler Kritik weiter gezogen werden als für Privatpersonen. Er musste daher gegenüber solchen Provokationen ein größeres Maß an Toleranz an den Tag legen.

(36) Was die Frage betrifft, ob der Angriff auf die persönliche Ehre und den Ruf des Bf. die erforderliche Schwere für die Anwendung von Art 8. EMRK erreicht hat, hat der GH in früheren Fällen anerkannt, dass aufgrund des speziellen Stigmas, das Aktivitäten anhaftet, die von nationalsozialistischen Ideen inspiriert wurden, jede Behauptung, der zufolge eine Person eine unklare Beziehung zum Nationalsozialismus hat, einen sehr ernsthaften Vorwurf darstellt. Jedoch sieht es der GH als nicht notwendig an, diese Frage weiter zu untersuchen, da er diese Rüge aus den nachfolgend dargelegten Gründe jedenfalls als unzulässig betrachtet.

(37) Der GH erwägt ferner, dass das fragliche Programm einen Beitrag zur öffentlichen Debatte in einer Angelegenheit von berechtigtem öffentlichen Interesse darstellte: Nämlich von hochrangigen Mitgliedern der FPÖ getätigte Aussagen, die in den Medien kritisiert wurden, da sie rechtsextreme Positionen ausdrückten, und die Frage, ob sich der Bf. in seiner Funktion als Parteiobmann ausreichend von solchen Aussagen distanziert hatte.

(38) Was den Inhalt der Veröffentlichung betrifft, stellt der Verweis auf die »braunen Ratten« rund um den Bf. herum ein Werturteil dar, das in einer satirischen Form Kritik an der Einstellung des Bf. beinhaltete. Diese Kritik kann nicht als persönlicher Angriff angesehen werden, sondern stellte – wie das Straflandesgericht Wien befand – eine politische Kritik an der Position des Bf. als Politiker dar. In dieser Hinsicht wiederholt der GH, dass obwohl die Wahrheit eines Werturteils einem Beweis nicht zugänglich ist, es ohne tatsächliche Grundlage, auf die es sich stützt, unverhältnismäßig sein kann. Unter Bezugnahme auf die detaillierten Feststellungen des Straflandesgerichts Wien, in welchen dieses verschiedene problematische Aussagen von FPÖ-Politikern zitierte, ist der GH überzeugt, dass eine ausreichende tatsächliche Grundlage bestand.

(39) Aus diesen Gründen ist der GH davon überzeugt, dass das Urteil des Straflandesgerichts Wien vom 16.10.2009, das vom OLG Wien bestätigt wurde, im vorliegenden Fall zwischen den widerstreitenden Interessen einen gerechten Ausgleich geschaffen hat.

(40) Somit gelangt der GH zum Schluss, dass es keinen Anschein einer Verletzung von Art. 8 EMRK gibt. Daraus folgt, dass diese Beschwerde gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK offensichtlich unbegründet ist [und als unzulässig] zurückgewiesen werden muss (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 EMRK

(42) Der GH wiederholt, dass die Angemessenheit der Länge von Verfahren im Lichte der Umstände des Falles und in Bezug auf Kriterien, die durch seine Rechtsprechung geschaffen wurden, insbesondere die Komplexität des Falles, das Verhalten des Bf. und der zuständigen Behörden und was dabei für den Bf. im Streitfall auf dem Spiel steht, untersucht werden muss.

(43) Der zu berücksichtigende Zeitraum begann am 13.10.2003, als der Bf. einen Entschädigungsantrag gegen ATV unter dem Mediengesetz einbrachte, und endete am 10.3.2010, als das OLG Wien die Berufung des Bf. abwies. Jedoch ist der GH der Ansicht, dass der Zeitraum zwischen dem 10.1.2005, als das Berufungsgericht die Berufung von ATV im ersten Verfahren abwies, und dem 24.6.2009, als der OGH dem Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens stattgab, nicht berücksichtigt werden kann, da während dieses Zeitraums keine Verfahren iZm. dem Antrag des Bf. vor österreichischen Gerichten anhängig waren. Somit beträgt die unter Art. 6 EMRK zu berücksichtigende Gesamtdauer etwa ein Jahr und elf Monate.

(44) Da der Fall einigermaßen komplex war und er in drei Instanzen in weniger als zwei Jahren abgehandelt wurde, besteht im vorliegenden Fall kein Anschein einer Verletzung des Erfordernisses der angemessenen Zeit unter Art. 6 Abs. 1 EMRK.

(45) Daraus folgt, dass diese Beschwerde offensichtlich unbegründet ist und gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK [als unzulässig] zurückgewiesen werden muss (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK

(48) Im vorliegenden Fall ist die zentrale Frage, ob der Bf. einen unbestrittenen Anspruch auf den Entschädigungsbetrag hatte, der ihm vom Straflandesgericht in seinem Urteil vom 17.5.2004 gewährt wurde. Aus den folgenden Gründen erwägt der GH, dass dies nicht der Fall war.

(49) Zunächst stellt der GH fest, dass die Gegenpartei nach der Entscheidung des OLG vom 10.1.2005, das der Berufung gegen das obige Urteil nicht stattgab, am 26.6.2005 eine Beschwerde beim GH [...] einbrachte. Somit hätte sich der Bf. der Situation bewusst sein müssen, dass eine solche Beschwerde nach österreichischem Recht zu Auswirkungen auf das Verfahren bezüglich seiner Entschädigung führen kann: nämlich Verfahren in Gang zu setzen, durch die das Urteil im Hinblick auf die Rechte des Gegners unter der Konvention überprüft werden muss. In dieser Hinsicht erwägt der GH, dass die Entschädigungszahlung nicht nur akzessorisch zur strafrechtlichen Verurteilung von ATV war, sondern eben dies die Sanktion dafür darstellte, ein Vergehen unter § 6 MedienG und § 115 StGB begangen zu haben. Es war dem Bf. somit klar, dass die Aufhebung des Urteils automatisch seine Entschädigung beeinflussen würde. In dieser Hinsicht erwägt der GH darüber hinaus, dass die Erneuerung des Strafverfahrens unter § 363a StPO von jeder Person beantragt werden kann, die die Verletzung ihrer Rechte unter der Konvention behauptet. Diese Vorschrift ergänzt die außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens und dient dem Zweck, die Einhaltung eines Urteils des GH im konkreten Fall auf innerstaatlicher Ebene effektiv zu gewährleisten. Nach der ständigen Rechtsprechung des OGH ist die Feststellung einer Verletzung durch den GH keine notwendige Voraussetzung. Im vorliegenden Fall war es somit nur die Zustellung [der Beschwerde] unter Art. 8 und 10 EMRK, die die nationalen Gerichte dazu führte, den Fall erneut zu prüfen und die Verurteilung mit dem Effekt der Abweisung des Antrages auf Entschädigung und der Streichung der Beschwerde von ATV durch den GH aufzuheben.

(50) Unter diesen Umständen und im Hinblick auf die konkrete rechtliche Situation unter innerstaatlichem Recht erwägt der GH, dass der Bf. nicht gezeigt hat, dass er einen ausreichend begründeten Anspruch besaß, und somit nicht behaupten kann, dass er »Eigentum« iSd. Art. 1 1. Prot. EMRK hatte. Selbst wenn man jedoch annimmt, dass die Abweisung des Entschädigungsantrages nach der außerordentlichen Wiederaufnahme des Strafverfahrens durch den OGH am 24.6.2009 einen Eingriff in die Eigentumsrechte des Bf. darstellte, wäre ein jeglicher derartiger Eingriff im Einklang mit dieser Vorschrift gestanden.

(51) […] Unter Bezug auf die obigen Feststellungen betreffend eine behauptete Verletzung von Art. 8 EMRK und den erreichten Schlussfolgerungen befindet der GH, dass es eine rechtliche Basis und ausreichend Gründe für die außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens gab. Es liegen keine Hinweise darauf vor, dass die Abweisung des Entschädigungsantrages des Bf., obwohl ihm im ersten Verfahren durch ein endgültiges und bindendes Urteil stattgegeben worden war, unverhältnismäßig war.

(52) Somit schlussfolgert der GH, dass es keinen Anschein einer Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK gibt. Daraus folgt, dass diese Beschwerde gemäß Art. 35 Abs. 3 und Abs. 4 EMRK offensichtlich unbegründet ist und daher [als unzulässig] zurückgewiesen werden muss (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Andreas Wabl/A v. 21.3.2000 = NL 2000, 57 = ÖJZ 2001, 108

Scharsach und News Verlagsgesellschaft/A v. 13.11.2003 = NL 2003, 307 = ÖJZ 2004, 512

Axel Springer AG/D v. 7.2.2012 (GK) = NLMR 2012, 42 = EuGRZ 2012, 294

Von Hannover/D (Nr. 2) v. 7.2.2012 (GK) = NLMR 2012, 45 = EuGRZ 2012, 278

ATV Privatfernseh-GmbH/A v. 6.10.2015 (ZE) = NLMR 2015, 554

Fürst-Pfeifer/A v. 17.5.2016 = NLMR 2016, 255

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 2.5.2017, Bsw. 55537/10, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2017, 235) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/17_3/Haupt.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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