EGMR Bsw40660/08

EGMRBsw40660/087.2.2012

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache Von Hannover gg. Deutschland (Nr. 2), Urteil vom 7.2.2012, Bsw. 40660/08.

 

Spruch:

Art. 8 EMRK, Art. 10 EMRK - Schutz Prominenter vor Bildveröffentlichungen.

Trennung der Behandlung der vorliegenden Beschwerde von der Sache Axel Springer AG gg. Deutschland (Nr. 38854/08) (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerden (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung

Sachverhalt:

Die vorliegenden Beschwerden wurden von Caroline von Hannover und ihrem Ehemann Ernst August von Hannover erhoben. Die ErstBf. bemüht sich seit den 1990er Jahren, die Veröffentlichung von Fotos über ihr Privatleben zu verhindern. Die zu diesem Zweck vor deutschen Gerichten angestrengten Verfahren führten 2004 zum Urteil Von Hannover/D.

Sich auf dieses Urteil stützend, strengten die Bf. weitere Verfahren vor den Zivilgerichten an, mit denen sie die Untersagung der Veröffentlichung von Fotos in deutschen Zeitschriften begehrten.

Die ersten drei Fotos, die Gegenstand eines Verfahrens waren, erschienen zwischen 2002 und 2004 in der Zeitschrift Frau im Spiegel. Das erste Foto, das am 20.2.2002 erschien, zeigt die Bf. bei einem Spaziergang während ihres Schiurlaubs in St. Moritz. Es illustrierte einen Beitrag über den schwerkranken Fürsten Rainier von Monaco und den Umgang seiner Kinder mit der Erkrankung. Auch auf dem zweiten Foto sind die Bf. beim Schiurlaub in St. Moritz zu sehen. In dem Artikel wird beschrieben, wie glücklich die Mitglieder verschiedener Adelshäuser beim Urlaub in dem Wintersportort sind. Das dritte Bild zeigt die Bf. auf einem Schilift in Zürs am Arlberg. Es illustrierte einen Bericht über den bevorstehenden »Rosenball« in Monaco. Ein ähnliches Foto, wie jenes das am 20.2.2002 in Frau im Spiegel erschien, wurde am selben Tag in der Zeitschrift Frau Aktuell veröffentlicht.

Das Landgericht Hamburg gab im April 2005 einer Klage der ErstBf. statt und untersagte die weitere Veröffentlichung der Fotos in Frau im Spiegel. Das OLG Hamburg gab der Berufung der beklagten Herausgeberin der Zeitschrift statt und wies die Klage ab.

Der von der ErstBf. angerufene BGH wies ihre Revision in Hinblick auf das erste Foto ab, behob jedoch das Urteil des OLG hinsichtlich der beiden übrigen Bilder. Nach Ansicht des BGH entsprach das angefochtene Urteil nicht dem in der Rechtsprechung zu den §§ 22 und 23 Kunsturhebergesetz entwickelten abgestuften Schutzkonzept. Demnach dürften Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten veröffentlicht werden, sofern es sich nicht um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handle und durch die Veröffentlichung keine berechtigten Interessen des Abgebildeten verletzt würden. Bei der Zuordnung zum Bereich der Zeitgeschichte sei eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen am Schutz der Persönlichkeitsrechte einerseits und der Pressefreiheit andererseits vorzunehmen. Maßgebend sei dabei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen. Ein Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten sei durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Zu den umstrittenen Bildern stellte der BGH fest, dass sich die zweite und dritte Veröffentlichung auf den Urlaub der Bf. und damit auf keinen Vorgang von allgemeinem Interesse bezogen hätten. Hinsichtlich des ersten Fotos, das die Bf. auf der Straße in St. Moritz zeigte, bestätigte der BGH das Urteil des OLG Hamburg, das die Veröffentlichung nicht beanstandet hatte. Gegenstand des Berichts sei die Erkrankung des damals regierenden Fürsten von Monaco und damit ein zeitgeschichtliches Ereignis gewesen, über das die Presse berichten dürfe. Dieses Recht zu berichten beziehe sich auch auf das Verhalten von Familienmitgliedern während der Krankheit des Fürsten. Überwiegende berechtigte Interessen der Bf., die einer Veröffentlichung entgegengestanden wären, wurden daher vom BGH verneint.

Das BVerfG wies die gegen dieses Urteil erhobenen Verfassungsbeschwerden der ErstBf. und der Herausgeberin von Frau im Spiegel am 26.2.2008 zurück. Die vom BGH entwickelten Kriterien und ihre Anwendung im vorliegenden Fall waren für das BVerfG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere sei nichts dagegen einzuwenden, dass der BGH seine frühere Rechtsprechung aufgrund des Urteils des EGMR im Fall Von Hannover/D revidiert habe.

Die von der ErstBf. angestrengte Untersagung der Veröffentlichung des Fotos in Frau Aktuell wurde von den Gerichten mit derselben Begründung abgelehnt. Weitere Verfahren, die der ZweitBf. wegen derselben Veröffentlichungen in den beiden Zeitschriften angestrengt hatte, endeten mit demselben Ergebnis wie die auf Antrag der ErstBf. geführten Prozesse.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens).

Trennung der Beschwerden

Bevor die vorliegenden Beschwerden an die Große Kammer abgetreten wurden, waren sie zur gemeinsamen Entscheidung mit der Sache Axel Springer AG/D verbunden worden. Die Große Kammer erachtet es jedoch für angemessen, diese Sache wieder von der vorliegenden zu trennen (einstimmig).

Zulässigkeit

Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK

Die Bf. bringen vor, die Weigerung der deutschen Gerichte, die Veröffentlichung des am 20.2.2002 in Frau im Spiegel und Frau Aktuell erschienenen Fotos zu untersagen, begründe eine Verletzung ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens.

Der GH hält zunächst fest, dass es nicht seine Aufgabe ist zu prüfen, ob Deutschland seinen Verpflichtungen nach Art. 46 EMRK hinsichtlich der Durchführung des Urteils Von Hannover/D nachgekommen ist. Dies ist ausschließlich Sache des Ministerkomitees.

Allgemeine Grundsätze

Der Begriff des Privatlebens erstreckt sich auf Aspekte der persönlichen Identität, wie den Namen, das Bild oder die physische und psychische Integrität einer Person. Art. 8 EMRK soll in erster Linie die Entwicklung der Persönlichkeit jedes Einzelnen in seinen Beziehungen zu anderen Menschen ohne Eingriff von außen sicherstellen. Es gibt daher einen Bereich der Interaktion mit anderen, selbst in der Öffentlichkeit, der in den Anwendungsbereich des Privatlebens fallen kann. Die Veröffentlichung eines Fotos kann in das Privatleben einer Person eindringen, selbst wenn es sich um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Das Recht auf Schutz des eigenen Bildes ist eines der Kernelemente der persönlichen Entwicklung. Es setzt vor allem das Recht jedes Einzelnen voraus, die Verwendung dieses Bildes zu kontrollieren, einschließlich des Rechts, die Veröffentlichung zu untersagen.

In Fällen wie dem vorliegenden geht es nicht um einen staatlichen Akt, sondern um die behauptete Unzulänglichkeit des von den innerstaatlichen Gerichten gewährten Schutzes des Privatlebens.

Die Meinungsäußerungsfreiheit schließt auch die Veröffentlichung von Fotos mit ein. In diesem Bereich ist jedoch der Schutz der Rechte und des Ansehens Dritter besonders wichtig, da die Fotos sehr persönliche oder sogar intime Informationen über eine Person oder ihre Familie enthalten können.

In Fällen, die wie der vorliegende eine Abwägung des Rechts auf Achtung des Privatlebens gegen das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit erfordern, sollte das Ergebnis der Beschwerde theoretisch nicht davon abhängig sein, ob sie nach Art. 8 EMRK von der Person an den GH herangetragen wurde, die Gegenstand der Berichterstattung war, oder unter Art. 10 EMRK von den Herausgebern. Diese Rechte verdienen aus Prinzip denselben Respekt. Daher sollte theoretisch auch der Ermessensspielraum in beiden Fällen der gleiche sein.

Wo die nationalen Instanzen eine Abwägung entsprechend der vom GH in seiner Rechtsprechung entwickelten Kriterien vorgenommen haben, verlangt der GH schwerwiegende Gründe, um seine eigene Ansicht an die Stelle jener der innerstaatlichen Gerichte zu setzen.

Wo die Meinungsäußerungsfreiheit gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens abzuwägen ist, sind folgende Kriterien ausschlaggebend:

Zunächst ist nach dem Beitrag zu fragen, den die Fotos oder Artikel zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leisten. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Rolle oder Funktion der betroffenen Person und die Art der Aktivitäten, über die berichtet wird. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Privatpersonen und Personen, die wie Politiker oder Personen des öffentlichen Lebens in einem öffentlichen Kontext handeln. Das Verhalten der Person vor der Veröffentlichung des Fotos ist ein weiterer Faktor. Dabei kann jedoch die bloße Tatsache einer Zusammenarbeit mit der Presse bei früheren Gelegenheiten nicht als Argument dafür verwendet werden, die betroffene Person jeglichen Schutzes vor einer Veröffentlichung des umstrittenen Fotos zu berauben. Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor kann die Art und Weise sein, wie das Foto veröffentlicht und wie die Person auf diesem dargestellt wird. Schließlich können auch die Umstände, wie die Fotos zustande gekommen sind, nicht außer Acht gelassen werden.

Anwendung der Grundsätze im vorliegenden Fall

Der GH nimmt die Änderungen der Rechtsprechung des BGH in Folge des Urteils Von Hannover/D zur Kenntnis. Demnach ist nunmehr der Frage Bedeutung beizumessen, ob der umstrittene Bericht zu einer Debatte beiträgt und nicht bloß der Befriedigung der öffentlichen Neugier dient. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit, desto stärker müsse das Interesse der betroffenen Person am Schutz vor der Veröffentlichung sein und umgekehrt. Das BVerfG bestätigte diesen Ansatz.

Der BGH stellte fest, dass weder die Fotos selbst noch der sie begleitende Artikel über den Schiurlaub der Bf. Informationen über ein zeitgeschichtliches Ereignis enthielten, weshalb sie nicht zu einer allgemeinen Debatte beitrugen. Dasselbe könne allerdings nicht über die Informationen in den Artikeln über die Erkrankung des Fürsten Rainier und das Verhalten seiner Familienmitglieder in Bezug auf die Krankheit gesagt werden.

Die Tatsache, dass der BGH den Informationswert des Fotos im Lichte des Artikels, den es illustrierte, beurteilte, kann nach der EMRK nicht kritisiert werden. Die Qualifikation der Krankheit des Fürsten Rainier als zeitgeschichtliches Ereignis kann angesichts der Begründung der deutschen Gerichte nicht als unsachlich angesehen werden. Es ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass der BGH die Untersagung der Veröffentlichung zweier weiterer Fotos aus eben dem Grund bestätigte, dass sie nur zu Unterhaltungszwecken veröffentlicht worden waren. Der GH anerkennt daher, dass die umstrittenen Fotos, im Lichte der sie begleitenden Artikel betrachtet, zumindest zu einem gewissen Grad zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitrugen.

Was die von den Bf. vorgebrachte Gefahr betrifft, die Medien würden die vom BGH formulierten Voraussetzungen umgehen, indem sie jegliches zeitgeschichtliche Ereignis als Vorwand für die Rechtfertigung der Veröffentlichung von Fotos von ihnen nutzen würden, stellt der GH fest, dass es im Kontext der vorliegenden Beschwerden nicht seine Aufgabe ist, künftige Veröffentlichungen zu beurteilen.

Zugegebenermaßen stützte der BGH seine Begründung auf die Annahme, die Bf. wären allgemein bekannte Personen des öffentlichen Lebens, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden, ohne diese Schlussfolgerung zu begründen. Ungeachtet der Frage, ob und in welchem Maße die ErstBf. offizielle Funktionen im Fürstentum Monaco einnimmt, kann aber jedenfalls nicht behauptet werden, dass die Bf., die unbestreitbar sehr bekannt sind, gewöhnliche Privatpersonen wären. Sie müssen vielmehr als Personen des öffentlichen Lebens angesehen werden.

Nach Ansicht des BGH hatten die Bf. keine Beweise dafür vorgelegt, dass die Fotos unter ungünstigen Umständen zustande gekommen wären und es deutet nichts darauf hin, dass sie heimlich aufgenommen wurden. Nach der deutschen Rechtsprechung sind die Umstände, unter denen Fotos aufgenommen wurden, einer der bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Faktoren. Im vorliegenden Fall geht aus den Entscheidungen hervor, dass dieser Faktor keine genauere Überprüfung erforderte, da die Bf. diesbezüglich nichts vorbrachten und keine besonderen Umstände vorlagen, die eine Untersagung der Veröffentlichung der Fotos gerechtfertigt hätten. Überdies waren die Fotos, auf denen die Bf. mitten auf der Straße in St. Moritz zu sehen waren, nicht als solche in einem Maße verletzend, das ihre Untersagung gerechtfertigt hätte.

Schlussfolgerung

Die innerstaatlichen Gerichte wogen das Recht der Verlage auf Meinungsäußerungsfreiheit sorgfältig ab gegen das Recht der Bf. auf Achtung ihres Privatlebens. Dabei berücksichtigten sie ausdrücklich die Rechtsprechung des GH. Während der BGH seinen Ansatz in Folge des Urteils Von Hannover/D änderte, bestätigte das BVerfG nicht nur diesen Ansatz, sondern unternahm auch eine eingehende Analyse der Rechtsprechung des GH.

Unter diesen Umständen und angesichts des Ermessensspielraums, den die Gerichte bei der Abwägung widerstreitender Interessen genießen, gelangt der GH zum Ergebnis, dass sie es nicht verabsäumten, ihren positiven Verpflichtungen nachzukommen. Daher liegt keine Verletzung von Art. 8 EMRK vor (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Von Hannover/D v. 24.6.2004 = NL 2004, 144 = EuGRZ 2004, 404 = ÖJZ 2005, 588

Verlagsgruppe News/A (Nr. 2) v. 14.12.2006 = NL 2006, 313

Petrina/RO v. 14.10.2008 = NL 2008, 287

Standard Verlags GmbH/A (Nr. 2) v. 4.6.2009 = NL 2009, 151 = ÖJZ 2009, 926

Hachette Filipacchi Associs (»Ici Paris«)/F v. 23.7.2009 = NL 2009, 223

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 7.2.2012, Bsw. 40660/08 und Bsw. 60641/08 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2012, 45) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/12_1/Von Hannover.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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