EGMR Bsw5266/03

EGMRBsw5266/0322.2.2007

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Nikowitz und Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich, Urteil vom 22.2.2007, Bsw. 5266/03.

 

Spruch:

Art. 10 EMRK, § 6 MedienG - Satirischer Artikel über die Reaktion der Öffentlichkeit und der Medien auf den Verkehrsunfall eines österreichischen Skistars.

Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 7.058,13 für materiellen Schaden, € 4.831,40 für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung

Sachverhalt:

Die ZweitBf. ist Medieninhaberin des Nachrichtenmagazins „Profil", in deren Ausgabe vom 3.9.2001 ein zweiseitiger Artikel des ErstBf. mit der Überschrift „Aua! Hermann Maier. Österreich hinkt. Auch Rainer Nikowitz plagen nach dem nationalen Beinbruch arge Phantomschmerzen.", begleitet von einem Foto von Hermann Maier mit dem Text „Held Hermanns Bein tut Millionen Österreichern weh", erschien. Der Artikel war als ironischer Beitrag auf die Reaktion der österreichischen Bevölkerung und der Medien auf einen einige Wochen zuvor erfolgten Verkehrsunfall des Rennläufers Hermann Maier gedacht, bei dem dieser eine schwere Beinverletzung davongetragen hatte. In diesem Zusammenhang wurden vom Autor verschiedene Kommentare von deutschen und österreichischen Zeitungen sowie Mitteilungen von Fans Hermann Maiers auf dessen Homepage zitiert und kommentiert. Der Artikel erwähnte auch einen von Maiers Konkurrenten im Abfahrtslauf.

Die relevante Passage hatte folgenden Inhalt: „Auch Maiers lieber Freund Stefan Eberharter musste was sagen, und er entschied sich vermutlich im letzten Moment gegen: ‚Super, jetzt gwinn ich endlich auch einmal was. Hoffentlich prackt's den miesen Hund mit den Krücken hin, und er bricht sich den anderen Haxn auch noch.' "

In der Folge brachte Herr Eberharter beim LG Wien Privatanklage wegen übler Nachrede gegen den ErstBf. und einen Antrag auf Entschädigung nach § 6 MedienG gegen die ZweitBf. ein.

Mit Urteil vom 6.12.2001 sprach das LG Wien den ErstBf. der üblen Nachrede gemäß § 111 StGB schuldig und verurteilte ihn und die ZweitBf. im Wege der Solidarhaftung zu einer bedingten Geldstrafe von ATS 20.000,- (€ 1.452,46) sowie zum Ersatz der Verfahrenskosten. Der ZweitBf. wurde außerdem die Zahlung von ATS 10.000,- (€ 726,23) als Entschädigung und die Urteilsveröffentlichung aufgetragen. Das LG Wien hielt fest, dass die umstrittene Textpassage aus der Sicht eines verständigen Durchschnittslesers zu verstehen sei. Das Magazin „Profil" richte sich an eine intellektuelle Leserschaft, von der im Wesentlichen erwartet werden könne, den ironisch und humorvoll getragenen Gehalt eines Zeitungsartikels wahrnehmen zu können. Dies gelte aber nicht für Personen, die einen solchen Artikel nur oberflächlich und ohne die erforderliche Aufmerksamkeit lesen würden. Derartige Leser wären bereits zu Beginn des Artikels mit der gegenständlichen Passage konfrontiert worden, die nahe lege, dass Neid, Grobheit und Schadenfreude zu den hervorstechendsten Charaktermerkmalen von Herrn Eberharter gehörten. Die beleidigende Passage könne auch nicht als weithergeholt betrachtet werden, da Stefan Eberharter von Sportexperten im Verhältnis zu Hermann Maier als „ewige Brautjungfer" angesehen werde, der für seine ziemlich „deftigen Sprüche" bekannt sei.

Das OLG Wien wies die dagegen erhobene Berufung der Bf. am 26.6.2002 ab und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. rügen eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Recht auf freie Meinungsäußerung).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:

Da die vorliegende Beschwerde nicht als offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK anzusehen ist, muss sie für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Es ist unbestritten, dass die Verurteilung der Bf. einen Eingriff in ihr Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit darstellt. Dieser war gesetzlich vorgesehen und verfolgte ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Rechte anderer. Zu prüfen bleibt, ob er in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Der gegenständliche Artikel setzte sich mit dem Verkehrsunfall des allseits bekannten österreichischen Skichampions Hermann Maier auseinander, der die Aufmerksamkeit der Medien erregt hatte. Er war in einem ironischen Stil geschrieben und als humorvoller Kommentar gedacht, was bereits aus der Aufmachung des Artikels erkennbar war. Nichtsdestoweniger bezweckte der Artikel einen kritischen Beitrag zu einem Thema von allgemeinem Interesse abzuliefern, nämlich wie sich die Gesellschaft gegenüber einem Sportstar verhielt. Der GH ist nicht überzeugt vom Argument der Gerichte, wonach ein Durchschnittsleser den satirischen Charakter des Texts und insbesondere den humorvollen Gehalt der umstrittenen Passage, in der gemutmaßt wurde, was Stefan Eberharter gesagt haben könnte, in Wahrheit aber nicht sagte, nicht hätte erfassen können. Diese Aussage kann bestenfalls als Werturteil des Autors über Herrn Eberharters Charakter verstanden werden, das er in Form eines Witzes zum Ausdruck brachte.

Der Autor spekulierte darüber, wie Herr Eberharter über den Unfall seines Konkurrenten wohl tatsächlich gedacht haben mochte. Er bevorzugte die Variante, dass dieser sich darüber gefreut habe, da er von diesem Umstand profitieren werde, wobei er gleichzeitig hoffe, Maier werde erneut geschwächt werden. Der GH erkennt an, dass eine derartige Äußerung - vorausgesetzt, dass sie gefallen wäre - geeignet war, das Ansehen eines Sportlers empfindlich zu beeinträchtigen und zu schädigen. Dies kann jedoch für die gegenständliche humorige Passage nicht gelten, in der unmissverständlich zum Ausdruck kommt, dass Herr Eberharter eine derartige Äußerung niemals getätigt hatte. Der GH bemerkt, dass Stefan Eberharter zuvor bereits öffentlich Stellung zu Hermann Maiers Unfall genommen und sich dabei offensichtlich einer anderen Wortwahl bedient hatte. Er kommt daher zu dem Ergebnis, dass sich die strittige Passage über Herrn Eberharter innerhalb der Grenzen eines in einer demokratischen Gesellschaft akzeptablen ironischen Kommentars bewegte. Darüber hinaus kann sich der GH dem Vorbringen der Regierung nicht anschließen, wonach sich die Gerichte gegenüber den Bf. nachsichtig gezeigt hätten. Immerhin wurde der ErstBf. wegen übler Nachrede verurteilt und der ZweitBf. die Zahlung einer Entschädigung sowie die Veröffentlichung des Urteils aufgetragen. Nicht die Tatsache, dass über den ErstBf. eine relativ geringe - bedingt nachgesehene - Strafe verhängt wurde, ist hier entscheidend, sondern der Umstand, dass es überhaupt zu einer Verurteilung kam.

Der Eingriff war somit in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

€ 7.058,13 für materiellen Schaden, € 4.831,40 für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Lopes Gomes da Silva/P v. 28.9.2000.

Cumpana und Mazare/RO v. 17.12.2004 (GK).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 22.2.2007, Bsw. 5266/03, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2007, 36) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/07_1/Nikowitz.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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