EGMR Bsw36961/02

EGMRBsw36961/0213.5.2004

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Krone Verlag Gesellschaft mbH und Gerhard Walter gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 13.5.2004, Bsw. 36961/02.

 

Spruch:

Art. 10 EMRK, § 6 MedG, § 111 StGB - Schutz eines Politikers gegen üble Nachrede.

Zurückweisung der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung

Sachverhalt:

Zwischen 1993 und 1997 wurde in Österreich eine Serie von Briefbomben an Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens versendet, die einige von ihnen schwer verletzte. Nach Ansicht des Kriminalpsychologen, der nach den ersten Anschlägen ein Täterprofil erstellte, handelte es sich um einen Einzeltäter. Einer anderen Theorie zufolge war eine Gruppe von Rechtsextremen für die Briefbomben verantwortlich. Als Urheber der Anschläge wurde 1997 Franz Fuchs verhaftet, der keine Verbindungen zu irgendeiner politischen Gruppierung unterhielt. Im Oktober desselben Jahres wurde Kritik an Caspar Einem laut, der von April 1995 bis Jänner 1997 als Bundesminister für Inneres für die Ermittlungen politisch verantwortlich war. Einige Politiker und Journalisten warfen ihm vor, die Einzeltätertheorie vernachlässigt zu haben.

Im März 2001 wurde der Fernsehfilm „Der Briefbomber" der Presse vorgestellt. In diesem Spielfilm, der auf den Ereignissen rund um die Briefbomben beruhte, unterdrückte die Figur des Innenministers die Einzeltätertheorie, da er aus politischen Gründen die Anschläge einer Gruppe von Rechtsextremen zuschreiben wollte.

Am 29.3.2001 veröffentlichte der ZweitBf. unter dem Titel „Bomber-Film mit heißer Botschaft" einen Artikel in der von der ErstBf. herausgegebenen „Neuen Kronen Zeitung". Der Untertitel lautete: „Für ,Krone'- Leser bereits gesehen: Der TV-Thriller über die Fahndung nach Franz Fuchs. Spannend und sehr nahe an der Wahrheit. Vor allem auch an der politischen. [...] Ein Krimi mit brisanter politischer Botschaft - gegen Ex-Innenminister Caspar Einem." Der Film beruhe auf akribischen Recherchen und habe „dokumentarische Qualitäten", so der Artikel, der weiters erläuterte, dass sich der Film auf den erbitterten Kampf des Kriminalpsychologen konzentrieren würde, der seine Einzeltätertheorie zum einen gegen die Skepsis unter seinen Kollegen verteidigen müsse und zum anderen „gegen einen Innenminister, der sich aus politischen Gründen weigert, mit dem - wie sich später herausstellte - erstaunlich zutreffenden Täterprofil an die Öffentlichkeit zu gehen. Weil es ihm - und jeder in Österreich weiß, dass es sich um Caspar Einem handelt - angesichts bevorstehender Wahlen besser passt, viel zu lange nach einem rechtsextremen Netz fahnden zu lassen." Diese Angelegenheit sei „auch heute noch politisch brisant. Und bösen Gerüchten zufolge möglicherweise ein Grund, warum der ursprüngliche ORF-Sendetermin - exakt eine Woche vor den Wiener Wahlen - auf 22. April verschoben wurde."

Caspar Einem erhob Privatanklage wegen übler Nachrede gegen den ZweitBf. und eine Entschädigungsklage nach § 6 Mediengesetz (MedG) gegen die ErstBf. Das LG Wien verurteilte den ZweitBf. am 27.9.2001 wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von ATS 54.000,-- (EUR 3.920,--). Der ErstBf. wurde gemäß § 6 MedG die Zahlung einer Entschädigung idH. von ATS 50.000,-- (EUR 3.630,--) an Caspar Einem sowie die Veröffentlichung von Auszügen des Urteils auferlegt. In seiner Urteilsbegründung führte das LG Wien aus, der ZweitBf. habe in seinem Artikel nicht nur die Handlung des Films wiedergegeben, sondern dem Leser den Eindruck vermittelt, er würde sich mit dessen Botschaft identifizieren. Er habe Herrn Einem eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt, nämlich des politisch motivierten Missbrauchs der Amtsgewalt. Dieser Vorwurf wäre eine Tatsachenbehauptung, für die der ZweitBf. keine Beweise vorgelegt habe. Das Gericht stellte weiters fest, dass Herr Einem keine Anweisungen gegeben habe, in welche Richtung ermittelt werden solle und die Experten nicht daran gehindert habe, allen Spuren nachzugehen. Der ZweitBf. habe seine journalistische Sorgfaltspflicht verletzt und insbesondere Herrn Einem nie mit den Vorwürfen konfrontiert. Die dagegen erhobene Berufung wurde vom OLG Wien am 15.4.2002 abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) durch die Verurteilung wegen übler Nachrede bzw. durch die Auferlegung der Entschädigungszahlung.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:

Die Urteile der österreichischen Gerichte stellen einen Eingriff in das Recht der Bf. auf freie Meinungsäußerung dar. Der Eingriff beruhte auf einer gesetzlichen Grundlage, nämlich § 6 MedG und § 111 StGB und diente dem legitimen Zweck des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer. Daher ist nur zu prüfen, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Die Ausübung der Aufgabe der Presse, Informationen und Ideen über Themen von öffentlichem Interesse zu verbreiten, ist mit Pflichten und Verantwortlichkeiten verbunden. Die Medien dürfen dabei insbesondere bestimmte Grenzen hinsichtlich des Schutzes des Rufs und der Rechte anderer nicht überschreiten.

Die Gerichte, die die Bf. wegen übler Nachrede verurteilten, stellten fest, dass diese in dem Artikel nicht nur den Inhalt und die Botschaft des Films nacherzählten, sondern dessen Sicht der Dinge zu ihrer eigenen machten. Der GH sieht angesichts der in dem Beitrag verwendeten Formulierungen und der Weise, in der er geschrieben war, keinen Grund, der Ansicht der österreichischen Gerichte zu widersprechen. Bei der Behauptung, Herr Einem habe aus politischen Gründen die Veröffentlichung des Täterprofils verweigert, weil er angesichts der bevorstehenden Wahlen in rechtsextremen Kreisen ermitteln wollte, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Sie stellt eine schwerwiegende Anschuldigung dar, nämlich den Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt und der Verletzung der Amtspflichten, und beeinträchtigte damit den beruflichen und persönlichen Ruf von Herrn Einem.

Die Gerichte stellten nach einem ausführlichen Beweisverfahren fest, dass diese Anschuldigung nicht den Tatsachen entsprach. Da es nicht Aufgabe des GH ist, an die Stelle der nationalen Gerichte zu treten, sieht er es als gegeben an, dass die Vorwürfe nicht den Tatsachen entsprachen.

Der GH hat daher zu prüfen, ob die Bf. ausreichende Schritte zur Erfüllung ihrer Verpflichtung unternahmen, die Wahrheit ihrer Tatsachenbehauptungen zu beweisen. Wie das LG Wien in seinem Urteil feststellte und vom OLG Wien bestätigt wurde, gab es nichts, was die Vermutung unterstützt hätte, Herr Einem habe seine Pflicht verletzt, den Briefbombenfall ordnungsgemäß aufzuklären. Die Bf. brachten in dem Verfahren keine Argumente oder Beweise zur Untermauerung ihrer Behauptungen vor.

Die Entscheidung der Gerichte, wonach das Interesse am Schutz des guten Rufs von Herrn Einem der Freiheit der Meinungsäußerung der Bf. vorging, beruhte auf maßgeblichen und ausreichenden Gründen. Der Eingriff in das Recht der Bf. auf freie Meinungsäußerung war daher nicht unverhältnismäßig zum Ziel des Schutzes des guten Rufs und der Rechte anderer iSv. Art. 10 (2) EMRK. Die Bsw. ist daher wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß Art. 35 (3) und (4) EMRK als unzulässig zurückzuweisen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Prager & Oberschlick/A v. 26.4.1995, A/313 (= NL 1995, 121 = ÖJZ

1995, 675).

De Haes & Gijsels/B v. 24.2.1997 (= NL 1997, 50 = ÖJZ 1997, 912).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 13.5.2004, Bsw. 36961/02, entstammt der Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2004, 113) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut

(pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/04_3/Krone_A_ZE.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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