Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024200003.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein im Jahr 2004 geborener syrischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 17. August 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er gab an, Syrien für eine bessere Zukunft verlassen zu haben. Er sei jetzt 18 Jahre alt geworden und wolle eine Ausbildung machen. Er wolle keine Waffen tragen, nicht mit den verschiedenen Milizen in seinem Gebiet kämpfen und auch nicht zur syrischen Armee gehen. Bei einer Rückkehr nach Syrien würde ihm zunächst nichts passieren. Aber es könne sein, dass die freie syrische Armee irgendwann mit ihm Kontakt aufnehme und ihn frage, ob er mitgehen wolle. Dann müsse er vielleicht mitgehen, aber eigentlich sehe er dort keine Zukunft für sich.
2 Mit Bescheid vom 10. Juli 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Mitbeteiligten hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit der Gültigkeit für ein Jahr.
3 Die Behörde ging betreffend den den Antrag abweisenden Ausspruch ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Interesse ‑ davon aus, dass für den Mitbeteiligten in seiner Heimatregion keine Gefahr bestehe, zum Militärdienst für die reguläre syrische Armee einberufen und eingezogen zu werden, ihm dort keine Verfolgung durch staatliche Behörden aufgrund einer Verweigerung des Militärdienstes drohe und auch keine Gefahr bestehe, von oppositionellen Gruppierungen rekrutiert zu werden. Es habe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung festgestellt werden können. Die Rückkehr in seine Heimatregion sei dem Mitbeteiligen zudem auf dem ‑ näher spezifizierten ‑ Landweg möglich, um so den Kontakt zu staatlichen Institutionen zu vermeiden.
4 Der gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis statt. Es sprach aus, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dem Mitbeteiligten drohe bei seiner Rückkehr nach Syrien die reale Gefahr, als Mann im wehrfähigen Alter zum Wehrdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Dabei bestehe das reale Risiko, dass er im Rahmen dieses Dienstes zu menschen- und völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen werde und ihm im Fall der Weigerung Haft und asylrelevante Verfolgung drohe. Die (syrische) Regierung betrachte Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Der Mitbeteiligte habe zuletzt in Aleppo gewohnt, also unter syrischer Kontrolle. Eine Einreise in die Herkunftsregion des Mitbeteiligten auf dem Luftweg sei derzeit ausschließlich nach eingehender Kontrolle durch die syrische Regierung möglich.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der dagegen vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobenen Revision sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die Revision erwogen:
7 In der Begründung für die Zulässigkeit der Revision wird ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht sei ‑ entgegen näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ ohne ausreichende Begründung davon ausgegangen, dass die Herkunftsregion des Mitbeteiligten von der syrischen Regierung kontrolliert werde. Zudem habe sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit den Feststellungen der Behörde auseinandergesetzt, wonach dem Mitbeteiligten eine sichere Rückkehrmöglichkeit in seine Herkunftsregion offenstehe, sondern das Bestehen einer solchen ohne nachvollziehbare Begründung verneint. Das Bundesverwaltungsgericht hätte auch die Asylrelevanz der vom Mitbeteiligten behaupteten Verfolgung verneinen müssen.
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 Der Verwaltungsgerichthof hat in seinem Erkenntnis vom 28. Februar 2024, Ra 2023/20/0619 festgehalten, dass sich aus den ‑ auch hier maßgeblichen ‑ Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergäbe und aus dieser Berichtslage nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden könne, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Nach dieser Berichtslage lasse sich gerade kein Automatismus dahingehend annehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet habe, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde. Nichts anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.
10 Seine (ohne Durchführung einer Verhandlung gefasste) Entscheidung stützte das Bundesverwaltungsgericht bloß auf das Alter des Mitbeteiligten und die Feststellungen zur Situation in Syrien. Nach der angeführten Rechtsprechung kann aber allein daraus nicht abgeleitet werden, dass dem Mitbeteiligten im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus einem in der GFK genannten Grund Verfolgung drohte.
11 Das angefochtene Erkenntnis leidet somit an Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Es war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das in der Revision enthaltene weitere Vorbringen einzugehen war.
Wien, am 26. März 2024
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