VwGH Ra 2023/19/0147

VwGHRa 2023/19/014729.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des S A, vertreten durch Mag.a Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Hegelgasse 13/21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2023, W240 2267166‑1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §5 Abs1
EURallg
32013R0604 Dublin-III Art2 litg
32013R0604 Dublin-III Art4 Abs1 litb
32013R0604 Dublin-III Art4 Abs1 litc
32013R0604 Dublin-III Art9

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023190147.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 10. November 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zuvor hatte er bereits am 10. Oktober 2022 in Bulgarien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2 Bulgarien stimmte dem am 23. November 2022 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III‑VO gestellten Wiederaufnahmeersuchen der österreichischen Behörden mit Schreiben vom 6. Dezember 2022 zu.

3 Mit Bescheid vom 30. Jänner 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, stellte für die Prüfung dieses Antrages die Zuständigkeit Bulgariens fest, ordnete die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bulgarien fest.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, Österreich sei für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 9 Dublin III‑VO zuständig, wenn ein Antragsteller einen Familienangehörigen in einem Mitgliedsstaat habe, der dort auf Grund der Zuerkennung von internationalem Schutz aufenthaltsberechtigt sei, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun würden. Dies gelte auch ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden habe. Über diese Möglichkeit sei der Antragsteller im Rahmen seines Rechts auf Information zu belehren und seien im Fall eines derartigen Wunsches die Begünstigten zu kontaktieren, damit überprüft werden könne, ob sie einer Zusammenführung zustimmten. Der Revisionswerber falle auf Grund der nach afghanischem Recht gültigen Ehe sowie der bereits davor bestandenen Lebensgemeinschaft unter den Begriff des Familienangehörigen gemäß Art. 2 lit. g Dublin III‑VO. Das BFA und das BVwG hätten nicht geprüft, ob eine Lebensgemeinschaft oder Ehe im Sinn des Art. 9 Dublin III‑VO vorliege und ob die Betroffenen den Wunsch bzw. die Zustimmung zur Führung des Verfahrens in Österreich schriftlich geäußert hätten oder noch äußern würden.

8 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, sieht Kapitel III der Dublin III‑VO mit Art. 9 einen besonderen Zuständigkeitstatbestand für Familienangehörige, die Begünstigte internationalen Schutzes sind, vor. Hat der Antragsteller einen Familienangehörigen ‑ ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat ‑, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun. Diese Regelung erlaubt den Betroffenen (dem Antragsteller und den Begünstigten des internationalen Schutzes) nicht nur ein Mitspracherecht, sondern überträgt diesen die Entscheidung, ob sie zusammengeführt werden wollen. Damit ist der Fall ausgeschlossen, dass Personen gegen ihren Willen zusammengeführt werden. Über das Erfordernis derartiger Erklärungen ist der Antragsteller im Rahmen seines Rechts auf Information (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. b und c Dublin III‑VO) zu belehren und es sind im Fall eines derartigen Wunsches des Antragstellers die Begünstigten des internationalen Schutzes zu kontaktieren, um zu überprüfen, ob sie einer Zusammenführung zustimmen (vgl. VwGH 15.12.2022, Ra 2022/18/0182, mwN).

9 Als Familienangehörige im Sinn dieser Bestimmung gelten gemäß Art. 2 lit. g Dublin III‑VO (ua.) „der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare“.

10 Gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III‑VO wird bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. zuletzt etwa VwGH 3.5.2023, Ra 2023/19/0026, mwN).

12 Im vorliegenden Fall verneinte das BVwG die Familienangehörigeneigenschaft vor erstmaliger Asylantragstellung. Es stellte fest, dass der Revisionswerber am 10. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Bulgarien gestellt habe, er jedoch erst am 25. November 2022 (und somit mehr als einen Monat nach erstmaliger Antragstellung) seine Lebensgefährtin in Österreich nach islamischem Ritus geheiratet habe. Das BVwG verneinte auch eine dauerhafte Beziehung zu seiner Lebensgefährtin vor Asylantragstellung und stützte sich beweiswürdigend darauf, dass der Revisionswerber selbst eingeräumt habe, ihre Familien hätten die Heirat beschlossen und er hätte seine nunmehr nach muslimischem Ritus angetraute Frau zuletzt im Jahr 2019 im Iran gesehen. Sie hätten sich zwar als Kinder gekannt, aber vor der Einreise des Revisionswerbers lediglich telefonischen Kontakt gehalten. Ein gemeinsamer Haushalt bestehe überhaupt erst seit 1. März 2023. Im Übrigen würden auch die sonstigen Falschangaben des Revisionswerbers seine Ausführungen zu seiner Beziehung zweifelhaft erscheinen lassen. Insbesondere sei auch auf den Umstand hinzuweisen, dass seine nach muslimischem Ritus angetraute Frau seit Mai 2015 durchgehend in Österreich gemeldet, hingegen der Revisionswerber erst Ende November 2022 nach Österreich gelangt sei. In seiner rechtlichen Beurteilung kam das BVwG somit zum Ergebnis, dass Bulgarien der nach der Dublin III‑VO zuständige Mitgliedstaat sei und der Wiederaufnahme des Revisionswerbers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III‑VO zugestimmt habe.

13 Die Revision vermag mit ihrem pauschalen Vorbringen, wonach der Revisionswerber und seine Frau bereits seit Weihnachten 2021 ein Paar seien, nicht aufzuzeigen, dass den beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit anhafte. Demnach kann auch dahinstehen, ob die für eine Anwendbarkeit des Art. 9 Dublin III‑VO weiters erforderliche schriftliche Äußerung des Wunsches der Ausübung der Zuständigkeit Österreichs durch den Revisionswerber erfolgt ist bzw. ob er über diese Möglichkeit belehrt wurde.

14 Insoweit die Revision in diesem Zusammenhang auch das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung beanstandet, wird nicht aufgezeigt, dass ein Abweichen von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Fall von Beschwerden gegen im Zulassungsverfahren getroffene zurückweisende Entscheidungen nach der Sonderbestimmung des § 21 Abs. 6a BFA‑VG vorläge, wonach das Bundesverwaltungsgericht unter anderem über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann (vgl. VwGH 5.12.2022, Ra 2021/19/0256, mwN, sowie grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072).

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. Juni 2023

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte