VwGH Ra 2023/13/0016

VwGHRa 2023/13/001628.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des DI F in W, vertreten durch Dr. Rebekka Stern, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1030 Wien, Hintere Zollamtsstraße 15/1/30, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 13. Jänner 2023, Zl. RV/7102412/2021, betreffend Einkommensteuer 2016, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §166
BPGG 1993 §4 Abs1
BudgetbegleitG 2011
EStG 1988 §34 Abs6 idF 2010/I/111
EStG 1988 §34 Abs6 idF 2012/I/112
EStG 1988 §35 Abs1 idF 2012/I/112
EStG 1988 §35 Abs2 idF 2012/I/112
EStG 1988 §35 Abs3 idF 2012/I/112
StruktAnpG 1996
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023130016.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Vater des Revisionswerbers machte in seiner Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2016 u.a. tatsächliche Kosten aufgrund einer Behinderung seiner Ehefrau in Höhe von 2.204,08 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Diese setzen sich ‑ wie aus einer auf Vorhalt des Finanzamts vorgelegten Aufstellung hervorgeht ‑ zusammen aus Pflegeheimkosten, von denen das Pflegegeld bereits abgezogen wurde; Apothekerkosten; Kurkosten; und Fahrtkosten.

2 Mit Bescheid vom 18. September 2020 erfolgte die Arbeitnehmerveranlagung des Vaters des Revisionswerbers für das Jahr 2016. Dabei wurden die betreffend die Ehefrau geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen nur zum Teil berücksichtigt. Betreffend die Kosten des Pflegeheims wurde eine Haushaltsersparnis abgezogen. Betreffend Krankheitskosten (Apotheker‑, Kurkosten und Fahrtkosten) wurde ‑ zu den Kurkosten ‑ ebenfalls eine Haushaltsersparnis abzogen. In Höhe der (gekürzten) Krankheitskosten wurde aber ein Selbstbehalt angesetzt, sodass sich die Krankheitskosten im Ergebnis nicht auswirkten.

3 Der Vater des Revisionswerbers erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte geltend, er habe für seine Pflegegeld beziehende Ehefrau neben den Pflegeheimkosten auch Krankheitskosten zur steuerlichen Berücksichtigung beantragt. Im angefochtenen Bescheid seien die Pflegeheimkosten der Ehefrau um eine Haushaltersparnis gekürzt worden, obwohl die Ehefrau im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebe und er schon bei seinen Pflegeheimkosten die Haushaltsersparnis in Abzug gebracht habe. Weiters seien die Krankheitskosten der Ehefrau mit der Begründung, dass kein vom Bundessozialamt bescheinigter Behindertengrad vorliege, steuerlich unberücksichtigt geblieben. Die Ehefrau beziehe Pflegegeld; damit sei von einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 25 % auszugehen. Die Krankheitskosten stünden in unmittelbarem Zusammenhang mit den gesundheitlichen Beeinträchtigungen seiner Ehefrau. Damit seien die Krankheitskosten außergewöhnliche Belastungen, die ohne Abzug eines Selbstbehaltes steuerlich abzugsfähig seien.

4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 4. August 2021 (nunmehr gerichtet an die Verlassenschaft nach dem im April 2021 verstorbenen Vater des Revisionswerbers) wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Das Finanzamt führte darin aus, nach der Rechtsansicht der Finanzverwaltung sei bei Zuerkennung von Pflegegeld von einer mindestens 25%igen Erwerbsunfähigkeit auszugehen. Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit von behinderungsbedingten Kosten sei aber, dass diese in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stünden. Dies treffe auf die Kosten des Pflegeheims zu. Für die übrigen beantragten Kosten sei aber kein Nachweis dafür vorgelegt worden, dass diese Kosten durch die Behinderung bedingt seien. Diese Kosten könnten daher nur mit Selbstbehalt berücksichtigt werden.

5 Die Verlassenschaft beantragte die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis (nunmehr gerichtet an den Revisionswerber als Erben nach seinem Vater) änderte das Bundesfinanzgericht den angefochtenen Bescheid (zu Lasten des Revisionswerbers) ab. Es sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

7 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, der Vater des Revisionswerbers und dessen Ehefrau lebten im Jahr 2016 im Wohnpark F. Das Bundessozialamt (Sozialministerium Service) habe für das Jahr 2016 für den Vater des Revisionswerbers einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 % übermittelt. Für dessen Ehefrau sei von einer dazu berufenen Stelle eine Behinderung weder festgestellt noch mitgeteilt worden. Sowohl der Vater des Revisionswerbers als auch dessen Ehefrau hätten im Jahr 2016 Pflegegeld bezogen; abgesehen vom Pflegegeld habe die Ehefrau keine steuerpflichtigen Einkünfte bezogen.

8 Der Nachweis einer Behinderung könne nur durch ein Gutachten der im Gesetz genannten zuständigen Stelle geführt werden. Demnach sei die Feststellung einer Behinderung und des Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht von der Abgabenbehörde oder dem Bundesfinanzgericht, sondern bindend von der in § 35 Abs. 2 EStG 1988 genannten Stelle zu treffen. Für eine erfolgreiche Geltendmachung von behinderungsbedingten Mehraufwendungen sei ein Nachweis durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erforderlich. Der Gesetzgeber habe damit bindende Beweisregeln geschaffen und insoweit die Regel des § 166 BAO, wonach als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht komme, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich sei, durchbrochen. Ein Abzug von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung aus dem Titel der Behinderung (ohne Selbstbehalt) komme nur dann in Betracht, wenn diese im Zusammenhang mit den vom Sozialministeriumsservice festgestellten Gesundheitsschädigungen stünden, diese somit „behinderungsrelevant“ seien. Der Revisionswerber stütze sein Begehren allein auf die Verwaltungspraxis (LStR 2002 Rz 839g); diese Meinung entbehre jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Somit könnten für die Ehefrau des Vaters des Revisionswerbers keine behinderungsbedingten Mehraufwendungen (auch nicht betreffend Pflegeheim), sondern nur allgemeine außergewöhnliche Belastungen (mit Selbstbehalt) anerkannt werden. Die Apothekerrechnungen der Ehefrau seien überdies um darin enthaltene Kosten für Nahrungsergänzungsmittel zu reduzieren.

9 Auch die Apothekerkosten des Vaters des Revisionswerbers seien auf den nachgewiesenen Betrag zu reduzieren, woraus sich eine weitere „Verböserung“ gegenüber dem angefochtenen Bescheid ergebe.

10 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision. Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, entgegen der Begründung der Nichtzulassung der Revision durch das Bundesfinanzgericht liege zur strittigen Frage keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Die (vom Bundesfinanzgericht angenommene) alleinige Zulassung der Bescheinigung einer Behinderung durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen komme einem Beweisaufnahmeverbot und Beweisverwertungsverbot betreffend den hier vorliegenden Pflegegeldbescheid gleich. Damit werde § 166 BAO außer Kraft gesetzt; eine derartige Einschränkung auf ein einziges Beweismittel sei aber nicht im Sinne des Gesetzgebers.

11 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die belangte Behörde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss insbesondere die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

14 Nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 beeinträchtigt die Belastung wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt.

15 Gemäß § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 und 6 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 112/2012) können u.a. folgende Aufwendungen ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:

„‑ Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5).

‑ Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.“

16 Der Bundesminister für Finanzen kann nach § 34 Abs. 6 EStG 1988 mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind.

17 § 35 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 112/2012) lautet (auszugsweise):

„(1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen

‑ durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,

‑ bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3),

‑ ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners, wenn er mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und vom (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt und der (Ehe-)Partner Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt, [...]

und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

‑ Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

‑ Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

‑ In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

[...]

(5) Anstelle des Freibetrages können auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6).

[...]“

18 Die Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 (idF BGBl. II Nr. 430/2010) lautet auszugsweise:

„§ 1. (1) Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen

‑ durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,

‑ bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3 EStG 1988),

‑ ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3 EStG 1988), wenn dieser Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt, [...]

so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

(2) Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.

(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

[...]

§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.“

19 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, 72 BlgNR 20. GP  267 f, wurde u.a. ausgeführt:

„Der Neufassung jener Bestimmungen, die die außergewöhnliche Belastung von Behinderten betreffen, liegen folgende Überlegungen zugrunde:

1. Für alle Personen, die eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz, Pflegezulage oder Blindenzulage) erhalten, soll zur Vermeidung einer Überförderung nicht zusätzlich ein allgemeiner Freibetrag auf Grund ihrer Behinderung berücksichtigt werden, weil ihre pflegebedingten Aufwendungen ohnehin durch den ‑ steuerfreien ‑ Bezug von Pflegegeld und ähnlichen Geldleistungen abgedeckt werden. Werden die tatsächlichen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht, so soll durch die entsprechende Aufnahme in § 34 Abs. 6 sichergestellt werden, dass nur der die pflegebedingte Geldleistung übersteigende Mehrbetrag ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen ist.

[...]

4. Auf Grund der Verordnungsermächtigung in § 34 Abs. 6 (letzter Satz) wird eine neue Verordnung hinsichtlich der Berücksichtigung bestimmter Mehraufwendungen ergehen, die hinsichtlich Art der Aufwendung (Kosten einer Krankendiätverpflegung, PKW‑ bzw. Taxikosten für Körper‑ und Gehbehinderte, nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel und Pauschbetrag für unterhaltsberechtigte Personen, für die erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird), dem (teilweise pauschalierten) Ausmaß und der Nachweispflicht mit der bestehenden Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 5. Dezember 1988, BGBl. Nr. 675/1988, inhaltlich übereinstimmen wird. [...]

In der neu zu erlassenden Verordnung über außergewöhnliche Belastungen soll festgehalten werden, daß für Bezieher von Pflegegeld weiterhin ohne Gegenverrechnung

‑ die Pauschbeträge für Diätverpflegung im Sinne des § 1 der derzeit bestehenden Verordnung,

‑ der Pauschbetrag für Kfz-Kosten oder Taxikosten bei Gehbehinderung im Sinne des § 3 der bisherigen Verordnung und

‑ nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgeräte, Blindenhilfsmittel) im Sinne des § 4 der bisherigen Verordnung zustehen.

Für Kinder, für die eine erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sollen Mehraufwendungen ‑ wenn sie nicht in tatsächlicher Höhe nachgewiesen werden ‑ mit einem Pauschbetrag (gegebenenfalls vermindert um eine pflegebedingte Geldleistung) abgegolten werden; daneben sollen zusätzlich noch die Aufwendungen für nicht regelmäßig anfallende Hilfsmittel (§ 4 der derzeitigen Verordnung) berücksichtigt werden. Die Mehraufwendungen nach der Verordnung werden ‑ wie bisher ‑ dann nicht in Anspruch genommen werden können, wenn die gesamten tatsächlichen Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Diesfalls sind erhaltene pflegebedingte Geldleistungen gegenzurechnen.“

20 Der Vater des Revisionswerbers machte u.a. Aufwendungen für seine Ehefrau als außergewöhnliche Belastungen geltend. Die pflegebedingten Geldleistungen wurden bereits bei Antragstellung abgezogen. Strittig ist im Revisionsverfahren lediglich, ob ein Selbstbehalt abzuziehen ist.

21 Nach § 34 Abs. 6 Teilstrich 6 EStG 1988 können Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 EStG 1988 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen übersteigen, ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts abgezogen werden. Wie aus den zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz 1996 hervorgeht, entsprach es auch der Absicht des Gesetzgebers, dass Personen, die pflegebedingte Geldleistungen erhalten und die tatsächlichen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend machen, der die pflegebedingte Geldleistung übersteigende Mehrbetrag ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen ist.

22 Nach § 34 Abs. 6 Teilstrich 6 EStG 1988 müssen die „Voraussetzungen des § 35 Abs. 1“ vorliegen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes könnten demnach die die Summe pflegebedingter Geldleistungen übersteigenden Mehraufwendungen nur dann abgezogen werden, wenn keine pflegebedingten Geldleistungen erhalten werden. Eine derartige Regelung ist dem Gesetzgeber aber nicht zusinnbar. Wie sich aus der Entwicklung dieser Bestimmung ergibt (vgl. insbesondere den Wortlaut von § 34 Abs. 6 Teilstrich 6 und § 35 Abs. 1 EStG 1988 idF vor dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I Nr. 111/2010) sind damit lediglich die übrigen in § 35 Abs. 1 EStG 1988 genannten Voraussetzungen gemeint. Diese Voraussetzungen waren bis zum Budgetbegleitgesetz 2011 in beiden Bestimmungen im Wesentlichen wortgleich angeführt. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 erfolgte insoweit eine Änderung, die darauf beruhte, dass nunmehr Steuerpflichtigen ohne Kind der Alleinverdienerabsetzbetrag nicht mehr zustehen werde, sie aber dennoch ‑ bei geringen Einkünften des Ehepartners ‑ außergewöhnliche Belastungen insoweit geltend machen können sollten (vgl. 981 BlgNR 24. GP  125). Eine darüber hinausgehende Änderung der Rechtslage war damit nicht beabsichtigt. Da sich Teilstrich 6 auf „Mehraufwendungen“ bezieht, ist hingegen ‑ auch im Sinne der Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz 1996 ‑ davon auszugehen, dass gerade der Bezug einer pflegebedingten Geldleistung Voraussetzung für die Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten ohne Selbstbehalt nach dieser Bestimmung ist.

23 Voraussetzung für die Berücksichtigung der Aufwendungen ohne Selbstbehalt ist demnach im vorliegenden Fall zunächst, dass eine Behinderung des Ehepartners vorliegt (§ 35 Abs. 1 zweiter und dritter Teilstrich EStG 1988). Ein bestimmter Grad der Behinderung (oder Minderung der Erwerbsfähigkeit) ist insoweit nach dem Gesetz nicht erforderlich; Voraussetzung ist hingegen ‑ wie bereits dargelegt ‑ der Bezug einer pflegebedingten Geldleistung. Anders als betreffend den Freibetrag (§ 35 Abs. 3 EStG 1988) ist dazu auch nicht normiert, dass die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (nur) durch bestimmte amtliche Bescheinigungen nachgewiesen werden könnten (§ 35 Abs. 2 EStG 1988). Auch aus den zitierten Gesetzesmaterialien geht nicht hervor, dass ein derartiger Nachweis erforderlich wäre, was auch deswegen nicht naheliegt, weil in dem damit geregelten Fall (Bezug einer pflegebedingten Geldleistung) regelmäßig gerade eine andere „Bescheinigung“ betreffend die Behinderung vorliegen wird.

24 Ob eine Behinderung vorliegt, ist demnach ‑ wie in der Revision geltend gemacht ‑ hier gemäß § 166 BAO zu beurteilen. Als Beweismittel kommt somit alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Nach den unbestrittenen Sachverhaltsannahmen bezog die Ehefrau des Vaters des Revisionswerbers im Streitzeitraum Pflegegeld. Da das Pflegegeld nur dann gebührt, wenn auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder Sinnesbehinderung ein Betreuungs- und Hilfsbedarf besteht (§ 4 Abs. 1 Bundespflegegeldgesetz), indiziert der Bezug des Pflegegeldes das Vorliegen einer Behinderung, zumal auch nicht behauptet wird, dass das Pflegegeld von der Ehefrau zu Unrecht bezogen worden wäre.

25 Wäre aber davon auszugehen, dass eine Behinderung der Ehefrau des Vaters des Revisionswerbers vorlag, ist - wie bereits von der Abgabenbehörde in der Beschwerdevorentscheidung dargelegt - entscheidend, ob es sich um Mehraufwendungen „aus dem Titel der Behinderung“ handelt. Es muss sich damit um Kosten handeln, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen. Betreffen die Kosten hingegen etwa die Behandlung von Krankheiten, die mit der Behinderung nicht in Zusammenhang stehen, so können sie nur nach Abzug des Selbstbehaltes berücksichtigt werden (vgl. VwGH 3.8.2004, 99/13/0169; 23.1.2019, Ro 2016/13/0010, mwN; vgl. auch VwGH 26.2.2020, Ro 2018/13/0013).

26 Die zwischen den Verfahrensparteien strittige Frage, ob die geltend gemachten Kosten in einem derartigen Zusammenhang mit der Behinderung stehen, wurde vom Bundesfinanzgericht, das von einer anderen Rechtsansicht ausgegangen ist, nicht geprüft.

27 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

28 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Juni 2023

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