VwGH Ra 2023/11/0101

VwGHRa 2023/11/010129.8.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, die Hofrätin Mag. Hainz‑Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des B K in R, vertreten durch Mag. Martin Rützler, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Riedgasse 20/3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 19. Mai 2023, Zl. LVwG‑411‑30/2023‑R22, betreffend Anordnung einer Nachschulung und Verlängerung der Probezeit nach dem FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Feldkirch), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §4 Abs3
FSG 1997 §4 Abs6 Z2a
KFG 1967 §102 Abs3 fünfter Satz
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023110101.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Mit Bescheid vom 6. April 2023 ordnete die belangte Behörde gegenüber dem Revisionswerber gemäß § 4 Abs. 3 iVm. Abs. 6 Z 2a FSG eine Nachschulung für verkehrsauffällige Probeführerscheinbesitzer an und sprach aus, dass sich mit Anordnung der Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 FSG die Probezeit um ein weiteres Jahr, sohin bis zum 8. Februar 2027, verlängere.

2 2. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde.

3 3. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde keine Folge. Unter einem sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

4 Das Verwaltungsgericht stellte zusammengefasst Folgendes fest:

5 Der Revisionswerber habe am 13. März 2023 gegen 18 Uhr in einem näher genannten Kreuzungsbereich aufgrund von Rotlicht abgebremst und seinen PKW zum Stillstand gebracht. Beim Vorgang des Abbremsens habe sich sein Mobiltelefon aus der Handyhalterung gelöst und sei in den Fußraum gefallen. Der Revisionswerber habe sodann ‑ sein PKW habe sich aufgrund des Rotlichtsignals zu diesem Zeitpunkt weiterhin im Stillstand befunden ‑ sein Mobiltelefon mit einer Hand vom Boden aufgenommen und zurück in die Handyhalterung gesteckt; mit der anderen Hand habe der Revisionswerber währenddessen das Lenkrad festgehalten. Im Zuge des Aufhebens habe der Revisionswerber seinen Blick für „ein paar Sekunden [...] nach unten auf das Mobiltelefon“ gerichtet. Für dieses ‑ von einem den Vorfall beobachtenden Polizeiorgan als Verwendung des Mobiltelefons während der Fahrt gewertete ‑ Verhalten sei dem Revisionswerber eine Organstrafverfügung in Höhe von € 50,‑ ausgestellt worden; diese Geldstrafe habe der Revisionswerber vor Ort beglichen. Die Probezeit sei zum Zeitpunkt des Vorfalls noch nicht abgelaufen gewesen.

6 Den festgestellten Sachverhalt würdigte das Verwaltungsgericht ‑ soweit hier von Relevanz ‑ rechtlich wie folgt:

7 Gemäß § 4 Abs. 3 FSG habe die Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß gemäß Abs. 6 leg. cit. begeht, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten sei. Im Fall eines schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 6 Z 2a FSG könne auch nach der Ausstellung eines Organmandats eine Nachschulung angeordnet werden. Mit der Anordnung einer Nachschulung verlängere sich die Probezeit jeweils um ein weiteres Jahr oder es beginne eine neuerliche Probezeit von einem Jahr, wenn die Probezeit in der Zeit zwischen der Deliktssetzung und der Anordnung der Nachschulung abgelaufen sei. Nach § 4 Abs. 6 Z 2a FSG gelte als schwerer Verstoß gemäß Abs. 3 leg. cit. eine Übertretung des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967. Gemäß § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 sei während des Fahrens dem Lenker das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten.

8 Der Gesetzgeber habe „im Zuge der 32. KFG-Novelle, BGBl I 40/2016, klargestellt, dass während des Fahrens neben dem Telefonieren ohne Benutzung einer Freisprecheinrichtung jegliche andere Handhabung des Mobiltelefons verboten ist [...] Ausgenommen wird nur das Verwenden des Navigationssystems des Mobiltelefons, wenn dieses im Fahrzeug befestigt ist.“ Demzufolge sei „jegliches ‚Hantieren‘ mit einem Mobiltelefon, unabhängig davon, ob es zum Zweck der Sprachtelefonie, zum Zweck des Verfassens oder der Beantwortung einer E-Mail oder einer SMS oder zum Zweck der Nutzung einer sonstigen via Smartphone zur Verfügung gestellten Technik erfolgt, vom Verbot des § 102 Abs 3 fünfter Satz KFG 1967 umfasst“. Es sei bereits ‑ wie gegenständlich festgestellt ‑ das „bloße Halten“ des Mobiltelefons während des Fahrens, sofern dies mit einer Blickabwendung von der Straße bzw. vom Verkehrsgeschehen einhergeht, vom Tatbestand des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 erfasst. Folglich habe der Revisionswerber das ihm vorgeworfene Delikt des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 verwirklicht. Aufgrund dessen habe die belangte Behörde zu Recht gemäß § 4 Abs. 3 FSG eine Nachschulung gegenüber dem Revisionswerber als Probeführerscheinbesitzer angeordnet.

9 4.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

10 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob das „Aufnehmen eines heruntergefallenen Handys“ während der Fahrt unter die Wortfolge „jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons“ zu subsumieren und sohin vom Tatbestand des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 erfasst sei.

11 4.2. Die belangte Behörde erstattete ‑ nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung.

12 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13 5.1. Die Revision erweist sich zur Klarstellung der Rechtslage als zulässig; sie ist auch begründet.

14 5.2. Die maßgebliche Bestimmung, § 102 KFG 1967 (Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers), BGBl. Nr. 267/1967, in der Fassung BGBl. I Nr. 35/2023, lautet auszugsweise wie folgt:

„(...)

(3) (...) Während des Fahrens ist dem Lenker das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten. (...)“

15 Die maßgebliche Bestimmung des FSG, BGBl. I, Nr. 120/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 76/2019, lautet auszugsweise wie folgt:

„Lenkberechtigung für Anfänger (Probeführerschein)

§ 4. (...)

(3) Begeht der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6) oder verstößt er gegen die Bestimmung des Abs. 7, so ist von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist. Im Fall eines schweren Verstoßes gemäß Abs. 6 Z 2a kann auch nach der Ausstellung eines Organmandates eine Nachschulung angeordnet werden. Rechtsmittel gegen die Anordnung der Nachschulung haben keine aufschiebende Wirkung. Mit der Anordnung einer Nachschulung verlängert sich die Probezeit jeweils um ein weiteres Jahr oder es beginnt eine neuerliche Probezeit von einem Jahr, wenn die Probezeit in der Zeit zwischen der Deliktsetzung und der Anordnung der Nachschulung abgelaufen ist; (…)

(6) Als schwerer Verstoß gemäß Abs. 3 gelten

(...)

2a. Übertretungen des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967

(...)“

16 5.3. Bereits die Wortinterpretation der Wortfolge „jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons“ lässt erkennen, dass nicht jegliches Anfassen bzw. Ergreifen eines Mobiltelefons vom Tatbestand des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 erfasst sein soll. Unter „Verwendung“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden, „eine Sache in Gebrauch zu nehmen“. Etwas „verwenden“ wird damit umschrieben, etwas „zu einem bestimmten Zweck [zu] benutzen, [zu] gebrauchen, an[zu]wenden“ (vgl. Duden ‑ Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 6 Bänden, Band 6: Sp‑Z (1977) S. 2789; Brockhaus Wahrig ‑ Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden, sechster Band STE-ZZ (1984) S. 561; Österreichisches Wörterbuch44 (2022) S.748). Diese Umschreibungen zielen auf eine funktionsbezogene Inanspruchnahme eines Gegenstands ab.

17 In der Regierungsvorlage zur 32. KFG‑Novelle wird zu der hier auszulegenden Bestimmung festgehalten, „das sog. Handyverbot (Telefonieren ohne Benutzung einer Freisprecheinrichtung ist verboten) wird auf jede andere Verwendung des Mobiltelefons erweitert. [...] Es soll ausdrücklich klargestellt werden, dass während des Fahrens neben dem Telefonieren ohne Benutzung einer Freisprecheinrichtung jegliche andere Handhabung des Mobiltelefons verboten ist. Ausgenommen wird nur das Verwenden des Navigationssystems des Mobiltelefons, wenn dieses im Fahrzeug befestigt ist.“ (vgl. RV 1054 Blg. NR XXV. GP, 1 und 9).

18 Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Novellierung gegenständlicher Bestimmung sohin offenkundig dem mit der Nutzung der Funktionen eines Mobiltelefons (zusätzlich zu jener zu Fernsprechzwecken; somit z.B. Surfen im Internet oder Lesen von Push‑Nachrichten) einhergehenden Ablenkungspotential im Straßenverkehr entgegenzutreten; dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung hingegen jegliches denkbares Hantieren mit einem Mobiltelefon, unabhängig davon, ob die vom Mobiltelefon zur Verfügung gestellten (technischen) Funktionen vom Anwender konkret genutzt werden, unter Strafe zu stellen beabsichtigte, ist hingegen nicht indiziert. In den oben genannten Materialien ist von der „Erweiterung des Handyverbots“ die Rede; es liegt sohin nahe, dass damit nur die Verwendung eines Mobiltelefons im Sinne des Nutzens der möglichen Funktionen gemeint ist, zumal sich ohne Inanspruchnahme der gerätespezifischen Funktionen ein Mobiltelefon nicht von einem sonstigen Gegenstand (z.B. einer Wasserflasche oder einer Sonnenbrille) unterscheidet.

19 Im Ergebnis ist sohin festzuhalten, dass die Wortfolge „jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons“ nur die mit Inanspruchnahme einer gerätespezifischen Funktion (z.B. Surfen im Internet und Lesen von Push‑Nachrichten), außer jener zu Fernsprechzwecken (diese ist bereits unter „Telefonieren“ gemäß § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 zu subsumieren; vgl. dazu etwa VwGH 12.5.2023, Ra 2023/02/0071) verbundene Handhabung eines Mobiltelefons erfassen soll.

20 5.4. Fallbezogen folgt aus dem oben Gesagten:

21 Das Verwaltungsgericht beurteilte die unstrittige Tatsache, dass der Revisionswerber sein in den Fußraum heruntergefallenes Mobiltelefon aufgehoben und sodann zurück in die Handyhalterung platziert habe, wobei dieser Vorgang „ein paar Sekunden“ angedauert und mit einem entsprechenden Blick des Revisionswerbers auf das Mobiltelefon verbunden gewesen sei, in Verkennung der Rechtslage als „Verwendung“ des Mobiltelefons im Sinn des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967. Dass der Revisionswerber das Handy aufgehoben und in der vorgesehenen Halterung verstaut hat, erfüllt jedoch nach dem bisher Gesagten ‑ anders als das Verwaltungsgericht vermeint ‑ nicht den Tatbestand des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967, weil in dem festgestellten Verhalten des Revisionswerbers keine Betätigung einer gerätespezifischen Funktion zu sehen und dieses damit nicht als „Verwendung“ zu qualifizieren ist.

22 Damit lag kein schwerer Verstoß iSd § 4 Abs. 6 Z 2a FSG vor, weshalb die Anordnung einer Nachschulung gegenüber dem Revisionswerber rechtswidrig war.

23 Das angefochtene Erkenntnis war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

24 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. August 2023

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