Normen
AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022200406.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Kenias, reiste gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn, der die polnische Staatsangehörigkeit besitzt, mit einem von Polen ausgestellten Visum zunächst in Polen ein. Nach ihrer Weiterreise nach Österreich stellte die Revisionswerberin hier für sich und ihren Sohn am 23. August 2022 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 15. November 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück und sprach aus, dass gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III‑VO Polen für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Unter einem ordnete es gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung an und stellte gemäß § 61 Abs. 2 FPG fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Polen zulässig sei (Spruchpunkt II). Der Antrag des Sohnes der Revisionswerberin wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom selben Tag gemäß Protokoll Nr. 24 über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum EU‑Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, Amtsblatt (EG) Nr. C 306, zurückgewiesen.
3 Die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerberin und ihres Sohnes wies das Bundesverwaltungsgericht mit den Erkenntnissen je vom 5. Dezember 2022 als unbegründet ab. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung von Revisionen nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 In der Folge brachte die Revisionswerberin die gegenständliche, nur gegen die Abweisung ihrer Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des sie betreffenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15. November 2022 gerichtete Revision ein.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision macht die Revisionswerberin geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe sich unzureichend mit der Unionsbürgerschaft ihres Sohnes und seinem Aufenthaltsstatus auseinandergesetzt.
9 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Ermittlungs‑, Feststellungs‑ und Begründungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. 21.12.2022, Ra 2022/20/0383, mwN).
10 Diesen Anforderungen wird die vorliegende Revision nicht gerecht. Es werden darin lediglich pauschal Ermittlungs‑, Feststellungs‑ und Begründungsmängel behauptet, ohne konkret darzulegen, welcher Sachverhalt bei Vermeidung dieser Fehler hätte festgestellt werden können und inwiefern das Bundesverwaltungsgericht zu einem für die Revisionswerberin günstigeren Ergebnis hätte kommen können. Insbesondere wird nicht dargelegt, aufgrund welcher konkreter Tatsachen der Sohn der Revisionswerberin die in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) aufgestellten Voraussetzungen erfülle, sodass ihr als mit der Obsorge eines minderjährigen, sein Freizügigkeitsrecht ausübenden Unionswerbers betrauter Person ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zukommen müsse (vgl. dazu VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149, 0150, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, insbesondere EuGH 13.9.2016, Marin, C‑165/14 ). Einer Berücksichtigung des erstmals in der Revision erstatteten Hinweises auf einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag der Revisionswerberin steht das Neuerungsverbot des § 41 VwGG entgegen. Im Übrigen wurde auch nie (und auch nicht in der Revision) behauptet, dem Sohn der Revisionswerberin oder ihr selbst sei aufgrund eines bei der Niederlassungsbehörde gestellten Antrages eine nach dem Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz vorgesehene Dokumentation über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dessen §§ 51ff ausgestellt worden.
11 Dem Vorbringen der Revisionswerberin, ihr komme aufgrund der Unionsbürgerschaft ihres Sohnes ein aus Art. 20 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht in Österreich zu, ist entgegenzuhalten, dass nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen der die polnische Staatsangehörigkeit besitzende Sohn der Revisionswerberin aufgrund deren Außerlandesbringung nach Polen (also einen Mitgliedstaat der Europäischen Union) de facto gezwungen wäre, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen und ihm dadurch der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm der Status des Unionsbürgers verleiht, verwehrt würde (auch dazu vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149, 0150, mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, insbesondere EuGH 8.3.2011, Zambrano, C‑34/09 , und EuGH 15.11.2011, Dereci, C‑256/11 ).
12 Die Revisionswerberin ist überdies der Auffassung, ihr gegenüber dürfe keine Anordnung zur Außerlandesbringung angeordnet werden, weil sie ‑ ungeachtet dessen, dass davon Verwandte in gerader aufsteigender Linie nur erfasst seien, sofern ihnen vom Unionsbürger Unterhalt tatsächlich gewährt werde ‑ als begünstigte Drittstaatsangehörige anzusehen sei.
13 Damit vermag die Revisionswerberin ebenfalls keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzuzeigen. Das Vorbringen der Revisionswerberin, es sei eine „Erweiterung des Angehörigenbegriffes über den Wortlaut der Legaldefinition hinaus einerseits verfassungsrechtlich [...] und andererseits unionsrechtlich geboten“ ist schon angesichts dessen, dass der (fallgegenständlich einzig in Frage kommende) Tatbestand des Art. 2 Z 2 lit. d der Freizügigkeitsrichtlinie ‑ ebenso wie § 52 Abs. 1 Z 3 NAG ‑ voraussetzt, dass es sich beim Angehörigen des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers um einen Verwandten in gerader aufsteigender Linie handelt, dem der aufenthaltsberechtigte Unionsbürger Unterhalt gewährt (und nicht etwa umgekehrt), nicht nachvollziehbar (siehe dazu erneut VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149, 0150; zur Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG siehe VwGH 26.2.2015, 2013/22/0302). Die von der Revisionswerberin in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vermag ihre (nicht näher begründete) Rechtsauffassung nicht zu stützen, ist diese Rechtsprechung doch nicht zur Auslegung des Begriffes des begünstigten Drittstaatsangehörigen ergangen, sondern zu gänzlich anderen Rechtsfragen. Dass der Revisionswerberin von ihrem Sohn Unterhalt gewährt worden wäre, wurde weder vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt noch von der Revisionswerberin behauptet.
14 Überdies wendet sich die Revisionswerberin noch gegen die nach § 9 BFA‑VG durchgeführte Interessenabwägung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2022/20/0382, mwN).
15 Der Revisionswerberin gelingt es nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Interessenabwägung, bei der es sämtliche fallbezogen relevanten Umstände berücksichtigte, die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.
16 Soweit in der Revision die Berücksichtigung des Kindeswohls des Sohnes der Revisionswerberin ins Treffen geführt und vorgebracht wird, dass ihm gegenüber keine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass das Kindeswohl lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung darstellt. Das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA‑VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. erneut VwGH 9.3.2023, Ra 2022/20/0382, mwN).
17 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Rahmen der Interessenabwägung mit der Frage des Kindeswohls betreffend den Sohn der Revisionswerberin ausreichend befasst und berücksichtigte ‑ unter der fallbezogen aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandenden Prämisse, dieser werde die Revisionswerberin nach Polen begleiten ‑ neben der fünfmonatigen Aufenthaltsdauer auch seinen Schulbesuch, andererseits aber auch seine polnische Staatsangehörigkeit und seine mangelnden Deutschkenntnisse. Dass die darauf Bezug nehmenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wären, wird in der Revision nicht aufgezeigt.
18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 19. Oktober 2023
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