VwGH Ra 2022/20/0313

VwGHRa 2022/20/031319.1.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann‑Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision der Z B, vertreten durch MMag. Olivia Lerch, Rechtsanwältin in 6890 Lustenau, Millenium Park 6, gegen das am 14. Juni 2022 mündlich verkündete und mit 26. August 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W237 2220895‑1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022200313.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die im April 1994 geborene Revisionswerberin stammt aus Tschetschenien und ist russische Staatsangehörige. Sie reiste am 15. August 2006 in Begleitung ihres Vaters und zweier Geschwister unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein. Alle stellten am 16. August 2006 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Der Revisionswerberin wurde, nachdem ihrem Vater in Österreich der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war, vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit in Rechtkraft erwachsenem Bescheid vom 19. Oktober 2007 in Anwendung der Bestimmungen über das Familienverfahren gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 ebenfalls der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

3 Mit dem im Instanzenzug ergangenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 2019 wurde dem Vater der Revisionswerberin der Status des Asylberechtigten aberkannt. Maßgeblich dafür war, dass ihm infolge einer wesentlichen Änderung der Situation im Herkunftsstaat dort keine Verfolgung mehr droht.

4 Im Hinblick darauf leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 26. Februar 2019 ein Verfahren zur Aberkennung des der Revisionswerberin zuerkannten Status der Asylberechtigten ein, weil auch bei ihr die Voraussetzungen für die Beibehaltung dieses Status nicht länger vorlägen. Da die Revisionswerberin bis dahin nicht straffällig geworden war, verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 7 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 die Bezirkshauptmannschaft Bregenz als für die Revisionswerberin nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zuständige Behörde vom Vorliegen des Aberkennungstatbestandes des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005.

5 Am 23. Mai 2019 teilte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass der Revisionswerberin gemäß § 45 Abs. 8 NAG der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ erteilt worden sei.

6 Mit Bescheid vom 27. Mai 2019 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Revisionswerberin der ihr früher mit Bescheid vom 19. Oktober 2007 zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt werde, dass ihr gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme, ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt sowie ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde.

7 Mit dem am 14. Juni 2022 mündlich verkündeten und am 26. August 2022 über Antrag der Revisionswerberin schriftlich ausgefertigten Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Die Revisionswerberin macht zur Begründung der Revision geltend, ihre psychische Krankheit sei vom Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichend berücksichtigt worden. Weiters seien die vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat unvollständig und nicht aktuell. Es hätte zur Beurteilung, ob der Revisionswerberin im Herkunftsstaat Verfolgung drohe, „einen Länderbericht benötigt, der die Lage von unverheirateten Frauen mit unehelichen Kindern und psychischer Beeinträchtigung“ darlege.

12 In der Revision bleibt unbestritten, dass dem Vater der Revisionswerberin wegen Wegfalls der für die Zuerkennung maßgeblichen Umstände der Status des Asylberechtigten rechtskräftig aberkannt wurde.

13 Die Ausführungen in der Revision zielen der Sache nach darauf ab, dass der Revisionswerberin wegen ihrer ‑ unbestritten bestehenden und vom Bundesverwaltungsgericht auch festgestellten ‑ gravierenden psychischen Erkrankung (nunmehr) selbst asylrechtlich relevante Verfolgung im Herkunftsstaat drohe und ihr deswegen der Status der Asylberechtigen nicht hätte aberkannt werden dürfen. Zumindest hätte ihr wegen ihrer Erkrankung der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 8.7.2021, Ra 2021/20/0111, mwN).

15 Die Revisionswerberin hat schon im vorangegangenen Verfahren ‑ wie auch in der Revision ‑ keinen konkreten Sachverhalt ins Treffen geführt, anhand dessen ersichtlich wäre, dass ihr im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung drohte. Ihre Behauptungen, die letztlich nur eine entfernte und bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios in den Raum stellen, sind sohin schon von vornherein nicht geeignet darzutun, dass ihr der ‑ früher im Familienverfahren zuerkannte ‑ Status der Asylberechtigten nicht hätte aberkannt werden dürfen.

16 Es trifft aber auch am Boden des Inhalts der angefochtenen Entscheidung das ‑ zudem unsubstantiiert gebliebene ‑ Vorbringen in der Revision nicht zu, dass das Bundesverwaltungsgericht für die Beurteilung, ob der Revisionswerberin subsidiärer Schutz zu gewähren sei, keine ausreichenden Feststellungen getroffen und sich nicht hinreichend mit der Erkrankung der Revisionswerberin auseinandergesetzt hätte. Das gilt auch für den sich anhand der vorgelegten Akten als unberechtigt darstellenden Vorwurf, das Bundesverwaltungsgericht habe seine Pflicht zur Durchführung von Amts wegen vorzunehmender Ermittlungen verletzt. In der Revision wird zudem nicht aufgezeigt, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung bei der fallbezogenen Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK ‑ eine solche wird in der Revision der Sache nach angesprochen ‑ nicht an den diesbezüglichen Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes ausgerichtet hätte (vgl. zu diesen etwa VwGH 25.4.2022, Ra 2021/20/0448).

17 Anhand des in der Revision enthaltenen Aufschiebungsbegehrens zeigt sich im Übrigen, dass die Revisionswerberin den Inhalt der angefochtenen Entscheidung, der hier lediglich darin besteht, dass ihr ohne diesbezüglichen Bedarf ein besonderer nach § 3 oder § 8 AsylG 2005 vorgesehener Status nicht belassen oder zuerkannt wurde, gänzlich missversteht. Das Vorbringen, ihr drohe aufgrund der angefochtenen Entscheidung der Verlust ihres Aufenthaltsrechts und sie müsse dann in ihr Heimatland zurückkehren, trifft fallbezogen schon deshalb nicht zu, weil ihr vor Aberkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 45 Abs. 8 NAG der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ erteilt wurde. Daher verfügt die Revisionswerberin (unbeschadet der Gültigkeitsdauer des ihr insoweit ausgestellten Dokuments) über ein unbefristetes Niederlassungsrecht im Bundesgebiet (§ 8 Abs. 1 Z 7 NAG), weshalb mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keine Rückkehrentscheidung erlassen hat. Im vorliegenden Fall war zudem gemäß § 7 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels Voraussetzung für die Zulässigkeit der Aberkennung des Status der Asylberechtigten. Dass einem Fremden der aufgrund einer nach § 7 Abs. 3 AsylG 2005 erfolgten Verständigung gemäß § 45 Abs. 8 NAG erteilte Aufenthaltstitel allein wegen der daraufhin ausgesprochenen Aberkennung des Status der Asylberechtigten (wieder) entzogen werden dürfte oder allein deswegen eine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfte, ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. zum Verhältnis der Bestimmungen des § 7 Abs. 3 AsylG 2005 und des § 45 Abs. 8 NAG VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0372, sowie daran anknüpfend etwa VwGH 12.4.2022, Ra 2022/22/0019; 25.4.2022, Ra 2020/01/0301).

18 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Jänner 2023

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