Normen
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022190196.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine iranische Staatsangehörige, stellte am 27. September 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass aufgrund ihrer in Österreich erfolgten Konversion zum Christentum ihr Leben in Gefahr sei und sie daher nicht mehr in den Iran zurückkehren könne.
2 Mit Bescheid vom 11. September 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG ‑ soweit hier wesentlich ‑ aus, die Revisionswerberin habe nicht glaubhaft darlegen können, dass sie aufgrund eines inneren Entschlusses zum Christentum konvertiert sei. Vielmehr liege eine Scheinkonversion vor. Unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer in Österreich sowie des Privatlebens der Revisionswerberin überwiege das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung.
5 Mit Beschluss vom 14. Dezember 2022, E 3248/2022-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
6 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 In ihrer Zulässigkeitsbegründung bringt die Revision im Wesentlichen vor, das BVwG sei für die Annahme einer bloßen Scheinkonversion „eine nachvollziehbare Begründung schuldig“ geblieben und habe einen Maßstab für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Konversion angelegt, der nicht nachvollziehbar sei. Das BVwG habe als Zeitraum zwischen der Taufvorbereitung und der Taufe nur einen Monat angenommen, obwohl der kirchlichen Taufe der Revisionswerberin in Österreich eine lange und intensive Taufvorbereitung von über einem Jahr vorausgegangen sei. Es seien auch Schreiben von Geistlichen vorgelegt worden, die die „Glaubhaftigkeit“ des Religionswechsels bestätigt hätten. Weshalb dessen ungeachtet dennoch von einer „zweckorientierten Konversion“ auszugehen sei, habe das BVwG nicht begründet. Wenn aufgrund äußerer Tatsachen eine Konversion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich sei, seien in weiterer Folge Zeugen zu befragen. Das BVwG habe gegen den Grundsatz der materiellen Wahrheit und gegen die Offizialmaxime verstoßen; es hätte sich mit dem Fluchtvorbringen auseinandersetzen, amtswegige Erhebungen im Herkunftsstaat durchführen und prüfen müssen, ob für die Revisionswerberin im Iran eine Lebensgefahr bestehe.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 21.12.2022, Ra 2022/19/0312, mwN).
12 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, die sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. zum Ganzen VwGH 30.8.2022, Ra 2022/19/0204, mwN).
13 Es entspricht auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum nicht entscheidend ist, ob der Religionswechsel bereits ‑ durch die Taufe ‑ erfolgt oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 31.8.2022, Ra 2022/19/0123, mwN).
14 Gegenständlich führte das BVwG eine mündliche Verhandlung durch, in der es sich einen persönlichen Eindruck von der Revisionswerberin verschaffte und sie näher zu ihren Fluchtgründen befragte. Entgegen den Revisionsausführungen setzte sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung umfassend mit den für die Beurteilung einer Konversion maßgeblichen Aspekten auseinander, insbesondere auch mit den Beweggründen für den Glaubenswechsel und den Kenntnissen der Revisionswerberin in Bezug auf Bibel- und Glaubensinhalte. Das BVwG nahm ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ darauf Bezug, dass zwischen der Asylantragstellung der Revisionswerberin und ihrem Entschluss, sich taufen zu lassen bzw. einen Taufvorbereitungskurs zu besuchen, maximal ein Monat vergangen sei, woraus das BVwG den Schluss zog, dass diese Entscheidung schnell und ohne nachvollziehbares Motiv gefallen sei. Die Revision zeigt mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass die Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.
15 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang die unterbliebene Befragung von Zeugen rügt, ist zunächst festzuhalten, dass nicht behauptet wird, die Revisionswerberin hätte eine solche Einvernahme im Verfahren beantragt (zu einer ähnlichen Konstellation vgl. VwGH 10.3.2021, Ra 2021/19/0042, mwN).
16 Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. erneut VwGH Ra 2022/19/0123, mwN). Gründe dafür, dass die unterbliebene Einvernahme von in der Revision namentlich nicht näher genannten Zeugen nach Lage des vorliegenden Falles einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfenden Verfahrensfehler darstellen könnte, sind nicht ersichtlich.
17 Zudem ist im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ‑ um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen ‑ in der Revision konkret auszuführen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 14.11.2022, Ra 2022/19/0052, mwN). Diesen Anforderungen kommt die Revision mit ihrem nicht näher konkretisierten Vorbringen, Zeugen hätten einen detaillierten Eindruck über den Religionswechsel der Revisionswerberin verschaffen können, nicht nach.
18 Im Hinblick auf in der Revision geforderte amtswegige Erhebungen im Herkunftsstaat ist darauf hinzuweisen, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/19/0435, mwN).
19 Schließlich wendet sich die Revision zu ihrer Zulässigkeit gegen die Interessenabwägung in Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung und bringt dazu vor, das BVwG habe der Revisionswerberin trotz ihrer herausragenden und gelungenen Integration die Zuerkennung eines humanitären Aufenthaltstitels versagt. Es fehle Rechtsprechung zur Frage, wann die Kriterien für ein Aufenthaltsrecht als erfüllt angenommen werden können.
20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 21.12.2022, Ra 2021/19/0217, mwN).
21 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. erneut VwGH Ra 2021/19/0217, mwN).
22 Im vorliegenden Fall hat das BVwG bei der Interessenabwägung die von der Revision ins Treffen geführten Umstände, insbesondere die Aufenthaltsdauer, die Deutschkenntnisse, den Besuch einer Universität, Erwerbstätigkeiten sowie ehrenamtliche Tätigkeiten der Revisionswerberin berücksichtigt, und kam vertretbar zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Revisionswerberin am Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.
23 Sofern die Revision das Fehlen einer Rechtsprechung zur Frage behauptet, bei Erfüllung welcher Kriterien von einer herausragenden Integration auszugehen sei, wird darauf verwiesen, dass es sich hierbei stets um eine Frage des Einzelfalles handelt und nicht allgemein beantwortet werden kann (vgl. VwGH 3.3.2022, Ra 2022/14/0042, mwN).
24 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 9. März 2023
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