VwGH Ra 2022/04/0153

VwGHRa 2022/04/015310.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision der Ö AG, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. September 2022, Zl. W101 2245693‑1/12E, betreffend Datenschutzbeschwerde wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Datenschutzbehörde in 1030 Wien, Barichgasse 40‑42; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Partei: Mag. M H, vertreten durch Hammer Barbach Rechtsanwälte OG in 1080 Wien, Albertgasse 1/14), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs1
AVG §13 Abs7
AVG §68 Abs1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022040153.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Der Mitbeteiligte erhob im Dezember 2019 eine gegen die Revisionswerberin als Beschwerdegegnerin gerichtete Datenschutzbeschwerde ua. wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung gemäß § 1 Abs. 1 Datenschutzgesetz DSG).

2 Mit Bescheid vom 6. Juli 2021 gab die Datenschutzbehörde (belangte Behörde) dieser Datenschutzbeschwerde statt und stellte fest, die Revisionswerberin habe den Mitbeteiligten in seinem Recht auf Geheimhaltung verletzt, indem sie zumindest bis zum 13. November 2019 näher beschriebene Daten betreffend (so genannte) Sinus‑Geo‑Milieus verarbeitet habe.

3 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Darin wurde (ua.) hinsichtlich der Sinus‑Geo‑Milieus eine unrichtige Feststellung der Tatsachen moniert sowie zu Entstehung und Aussagegehalt der Sinus‑Geo‑Milieus die Einvernahme eines namhaft gemachten sachverständigen Zeugen und gemäß § 24 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

4 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. September 2022 wies das BVwG die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig erklärt.

5 Das BVwG traf Feststellungen zur Entstehung und zum Inhalt der Sinus‑Geo‑Milieus. Beweiswürdigend hielt es fest, der festgestellte Sachverhalt beruhe auf dem Verwaltungsakt, der Beschwerde und dem Gerichtsakt; unstrittig sei, dass die personenbezogenen Daten des Mitbeteiligten ohne dessen Einwilligung von der Revisionswerberin im Rahmen der durchgeführten Marketinganalyse betreffend Sinus‑Geo‑Milieus verarbeitet worden seien. In seiner rechtlichen Beurteilung qualifizierte das BVwG Sinus‑Geo‑Milieus als eine besondere Kategorie personenbezogener Daten gemäß Art. 9 Datenschutz‑Grundverordnung (DSGVO), für deren Verarbeitung kein Erlaubnistatbestand nach Art. 9 Abs. 2 DSGVO erfüllt sei.

6 Einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 VwGVG habe es nach Ansicht des BVwG nicht bedurft, zumal der maßgebliche Sachverhalt nach der Aktenlage feststehe und im Verfahren ausschließlich Rechtsfragen zu klären gewesen seien.

7 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 4. Der Mitbeteiligte gab mit Schreiben vom 10. Mai 2023 bekannt, dass die dem gegenständlichen Verfahren zugrundeliegenden Beschwerden bei der Datenschutzbehörde zurückgezogen worden seien und das Verfahren damit beendet sei. Diesbezüglich genügt der Hinweis, dass eine Zurückziehung eines Antrags (und nichts Anderes gilt für eine Datenschutzbeschwerde) gemäß § 13 Abs. 7 AVG nach Eintritt der Rechtskraft der ‑ diesen Antrag erledigenden ‑ Entscheidung nicht mehr möglich ist (vgl. etwa VwGH 18.3.2022, Ra 2021/04/0001, 0002, mwN).

10 5. Die Revisionswerberin bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung ua. vor, das BVwG sei mit dem Entfall der mündlichen Verhandlung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

11 Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig und auch als berechtigt.

12 6. Der vorliegend zu beurteilende Ausgangssachverhalt, das diesbezügliche Vorbringen der Revisionswerberin im Beschwerdeverfahren, die rechtlichen Ausführungen des BVwG und die als grundsätzlich aufgeworfene Rechtsfrage gleichen in ihren maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Aspekten derjenigen Konstellation, die dem Erkenntnis VwGH 19.10.2022, Ra 2022/04/0080, zugrunde lag. Insoweit kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die dort erfolgten Darstellungen (Rn. 5 ff) sowie Ausführungen zum Erfordernis der Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Rn. 24 ff) verwiesen werden.

13 Im Hinblick darauf hätte das BVwG auch im vorliegenden Fall nicht davon ausgehen dürfen, dass in der Beschwerde keine Rechts- oder Tatfragen aufgeworfen worden seien, die eine mündliche Verhandlung erfordert hätten, und es hätte somit nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Indem das BVwG dies verkannte, belastete es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

14 Eine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels ist bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 47 GRC erforderlichen mündlichen Verhandlung nicht vorzunehmen (vgl. erneut VwGH Ra 2022/04/0080, Rn. 34, mwN).

15 7. Ausgehend davon war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. Juni 2023

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