Normen
StbG 1985 §10 Abs1 Z6
StbG 1985 §10 Abs2 Z7
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022010355.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) in der Sache nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Antrag des Revisionswerbers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 2 Z 7 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit im Revisionsverfahren wesentlich ‑ aus, der Revisionswerber sei langjähriges Mitglied der salafistischen Szene in Vorarlberg. Er teile die in dieser Gruppierung vorherrschende salafistische Ideologie und habe diese im Rahmen der von salafistischen Predigern ins Leben gerufenen Propaganda‑Aktion „Lies!“ (Verteilung deutscher Übersetzungen des Koran) 2014 und 2015 verbreitet. Er habe zumindest in den Jahren 2012 bis 2021 zahlreiche vom Verwaltungsgericht näher festgestellte Kontakte unter anderem durch gelegentliche Besuche einer näher genannten Moschee in Vorarlberg zu Personen gepflegt, die dieser Szene zuzuordnen seien. Zum Teil seien näher genannte Brüder jener der salafistischen Szene zuzuordnenden Personen, mit denen der Revisionswerber Kontakt gehabt habe, in Syrien im Kampf auf Seiten des „IS“ verstorben oder nach ihrer Rückkehr aus Syrien wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB und Teilnahme an einer terroristischen Ausbildung gemäß § 278e Abs. 2 StGB rechtskräftig zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
Vom 13. bis 18. Juli 2020 sei der Revisionswerber mit einem seiner Brüder und einem näher genannten Mitglied der Salafistenszene von Wien und St. Pölten nach Nizza gereist. Gemeinsam hätten sie dort gebetet und eine Moschee besucht. Später sei der Mitreisende mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Oktober 2021 wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB und des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt worden, weil er sich in St. Pölten als Mitglied an der Terrororganisation „IS“ beteiligt habe, indem er IS‑Propagandamaterial im Wege einer Social Media Plattform verbreitet und anderen elektronisch übermittelt habe, wobei er eine eindeutige pro‑dschihadistische Gesinnung aufweise und zahlreiche Kontakte zu Personen pflege, die dieses Interesse teilten. Der Mitreisende habe unter anderem unmittelbar nach der Nizzareise einen näher beschriebenen engen Kontakt mit einem weiteren näher genannten, wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB angeklagten Mitglied der Salafistenszene mit näher beschriebener Verbindung zum Terroranschlag in Wien vom November 2020 gehabt. Überdies habe der Revisionswerber gemeinsam mit seinen Brüdern am 14. Mai 2021 anlässlich des Endes des Fastenmonats Ramadan in seinem Elternhaus unter anderem Besuch von zwei näher genannten Personen gehabt, gegen die aktuelle Ermittlungen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 278b StGB geführt würden.
Ausgehend von diesen Kontakten und Aktivitäten sei darauf zu schließen, dass der Revisionswerber bekennender Sympathisant der salafistischen Szene und der von ihr vertretenen extremistischen Ideologie sei, die sich durch einen absoluten Macht- und Wahrheitsanspruch sowie eine radikale Abgrenzung zu und Ablehnung von anderen Gesinnungen auszeichne. Diese Ideologie sei insbesondere aufgrund ihrer Ablehnung der demokratischen Herrschaftsform und einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, ihrer Forderung nach vollständiger Umsetzung ihres Verständnisses der Scharia, der ihrer Auffassung nach Vorrang vor staatlichem Recht und der Verfassung zukomme, sowie aufgrund der Identifizierung von Feindbildern (Anders‑ bzw. „Ungläubige“, insbesondere Juden, Christen und nicht‑salafistische Muslime) nicht mit den Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staats und seiner Gesellschaft vereinbar. Der politische und der dschihadistische Salafismus teilten dieselben ideologischen Grundlagen, wobei der politische Salafismus das Fundament des dschihadistischen Salafismus bilde und zwischen beiden Strömungen eine große Grauzone liege. Zahlreiche Anhänger des politischen Salafismus hätten sich dem bewaffneten Dschihad angeschlossen; die überwiegende Mehrheit der islamistischen Terroristen werde dem dschihadistischen Salafismus zugerechnet. In Anbetracht dessen, der bestehenden Strukturen der salafistischen Szene und zu gewärtigender Entwicklungen in deren Umfeld könnten extremistische oder terroristische Aktivitäten dieser Gruppierung nicht ausgeschlossen werden.
Aufgrund der exklusiven Charakteristik der salafistischen Ideologie sei auszuschließen, dass der Revisionswerber die Kontakte zu der salafistischen Szene pflege und an deren Propagandaaktionen teilnehme, ohne diese Ideologie zu teilen. Als bekennender Sympathisant dieser Szene und der von ihr vertretenen extremistischen Ideologie bestehe ein Naheverhältnis des Revisionswerbers zu dieser extremistischen Gruppierung. Der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft stehe daher das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 2 Z 7 StbG entgegen.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. für viele VwGH 20.4.2022, Ra 2022/01/0018, mwN).
7 Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. etwa VwGH 30.3.2022, Ra 2021/01/0103, mwN).
8 Diesem Erfordernis wird die Revision ohne in ihrem Zulässigkeitsvorbringen ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder eine sonstige grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzuzeigen, nicht gerecht.
9 Soweit sich die Revision im Zulässigkeitsvorbringen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts zur Feststellung, dass der Revisionswerber langjähriges Mitglied und bekennender Sympathisant der salafistischen Szene sei, wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16, denen zufolge sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren soll). Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 30.3.2022, Ra 2021/01/0281, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung der unter anderem auf dem persönlichen Eindruck des vom Verwaltungsgericht einvernommenen Revisionswerbers beruhenden Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wird in der Revision nicht dargetan.
10 Die Revision erweist sich bereits deshalb als unzulässig.
11 Abgesehen davon sei noch bemerkt, dass das Verwaltungsgericht ausgehend von der Feststellung, dass der Revisionswerber als Mitglied der salafistischen Szene und bekennender Sympathisant und Anhänger der von dieser Szene vertretenen extremistischen Ideologie an Koranverteilaktionen teilgenommen habe, von der zum Verleihungshindernis des § 10 Abs. 2 Z 7 StbG ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen ist.
12 Demnach enthält § 10 Abs. 2 Z 7 StbG (neben § 10 Abs. 1 Z 6 StbG) ein spezielles Verleihungshindernis, das dann gegeben ist, wenn der Verleihungswerber ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können. Es kommt nicht darauf an, ob ein Naheverhältnis ausgeschlossen werden kann, sondern alleine darauf, ob der Verleihungswerber ein Naheverhältnis hat. Ein derartiges Naheverhältnis liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Personen vor, die ‑ neben der aktiven Mitgliedschaft bei solchen Gruppen ‑ (wenn auch nicht öffentlich) bekennende Sympathisanten, Geldgeber oder andere Unterstützer, wie Verteiler von Propagandamaterial, sind (vgl. VwGH 8.11.2019, Ra 2018/01/0422, Rn. 10, mwN). Ein solches Naheverhältnis setzt nicht voraus, dass der Verleihungswerber mit einer konkreten extremistischen oder terroristischen Aktivität einer extremistischen oder terroristischen Gruppe in Verbindung gebracht werden kann (vgl. Erläuterungen zu § 10 Abs. 2 Z 7 StbG in RV 1189 BlgNR 22. GP 5). Für das Vorliegen eines Naheverhältnisses iSd § 10 Abs. 2 Z 7 StbG reicht es vielmehr bereits aus, Unterstützer einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung zu sein (vgl. VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0083, Rn. 29). Ausgehend davon bedarf es jedoch nicht zusätzlich einer Prognose, ob der Verleihungswerber ausgehend von seinem Gesamtverhalten Gewähr dafür bietet, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darzustellen.
13 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 11. Jänner 2023
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