VwGH Ra 2021/02/0179

VwGHRa 2021/02/017915.2.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des E in S, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 1. Juni 2021, LVwG‑604155/10/FP, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Braunau), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
RAO 1868 §8
StVO 1960 §5 Abs2
StVO 1960 §5 Abs2 idF 1994/518
StVO 1960 §99 Abs1 litb
StVO 1960 §99 Abs1 litb idF 1994/518
StVONov 19te
VStG §44a Z2
VStG §44a Z2 implizit
VStG §5 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §38
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021020179.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau vom 2. Dezember 2020 wurde der Revisionswerber u.a. mit Spruchpunkt 1. wegen einer nach Tatort und Tatzeit näher konkretisierten Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b iVm § 5 Abs. 2 StVO bestraft, weil er sich geweigert habe, die Atemluft nach Aufforderung eines besonders geschulten Organes der Bundespolizei auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich wurde die Beschwerde des Revisionswerbers in Bezug auf Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses („Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO“) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Weiters verpflichtete es den Revisionswerber zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

3 Das Verwaltungsgericht traf u.a. Feststellungen zum Auffinden des KFZ des Revisionswerbers auf dem Parkplatz einer Freizeithalle mit laufendem Motor sowie eingeschalteter Beleuchtung. Der Revisionswerber sei auf dem Fahrersitz gesessen und habe mit dem Handy hantiert. Die Beamten seien davon ausgegangen, dass der Revisionswerber zuvor das Fahrzeug gelenkt habe. Es habe so ausgesehen, als habe der Revisionswerber jemanden abholen oder auf jemanden warten wollen. Einer der Polizisten habe, nachdem der Revisionsweber die Fahrertür aufgemacht habe, sofort wahrgenommen, dass dieser stark alkoholisiert gewesen sei. Nachdem er zum Aussteigen aufgefordert worden sei, sei der Revisionswerber aufgrund der Alkoholisierung fast aus dem Auto gefallen. Es sei ein starker Alkoholgeruch wahrnehmbar gewesen. Der Revisionsweber sei zum „Alkovortest“ aufgefordert worden, der misslungen sei, weil der Revisionswerber beim Beblasen des Gerätes immer wieder eingeatmet habe. In der Folge sei er zum Alkotest am geeichten Alkomat aufgefordert worden. Nach einer Wartezeit von 15 Minuten, während welcher sich der Revisionswerber abwechselnd aggressiv, dann wieder „normal“ verhalten habe und auch vorgebracht habe, dass er vier bis fünf Bier getrunken habe, habe man sich zum Streifenwagen begeben, in welchem sich der Alkomat befunden habe. Der Revisionswerber habe dort gesagt, dass ihn das nicht interessiere und er jetzt seinen Anwalt anrufe. Er sei vom Alkomat weggegangen. Dies sei vom Beamten als Verweigerung des Alkotests gewertet worden und die Amtshandlung sei beendet worden.

4 In der Folge erläuterte das Verwaltungsgericht seine Beweiswürdigung, die rechtlichen Erwägungen sowie die Strafbemessung.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision bringt zur Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob es bereits eine strafbare „Alkotestverweigerung“ darstelle, wenn jemand ‑ ohne dies in der Folge tatsächlich zu tun ‑ nur äußere, er wolle seinen Anwalt anrufen, und daher ein Polizeiorgan die Amtshandlung hinsichtlich eines „Alkomattests“ schon deswegen abbrechen dürfe.

10 Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Ob konkret eine Verweigerung iSd. § 5 Abs. 2 StVO vorliegt, ist stets eine Einzelfallbeurteilung (vgl. VwGH 6.4.2022, Ra 2021/02/0200).

11 Dabei übersieht die Revision nämlich, dass sich das Verwaltungsgericht nicht nur auf die Äußerung des Revisionswerbers, er werde seinen Anwalt anrufen, gestützt hat, sondern auch auf seine Erklärung, dass ihn das nicht mehr interessiere, und auf den Umstand, dass er sich vom Polizeiwagen entfernt hat.

12 Soweit der Revisionswerber darauf abstellt, dass ihm das Anrufen des Anwalts nicht untersagt worden sei, ist auf folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen: Auch wenn der Bestrafte nicht darüber belehrt wurde welches Verhalten als Verweigerung der Atemluftuntersuchung gelte, kann er sich nicht auf mangelndes Verschulden bzw. das Vorliegen eines entschuldbaren Tatbildirrtums berufen. Zum einen sind Straßenaufsichtsorgane nicht verpflichtet, im Zuge der von ihnen durchgeführten Amtshandlungen rechtliche Aufklärungen zu geben, zum anderen genügt für die Verwirklichung der Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b iVm § 5 Abs. 2 StVO die Schuldform der Fahrlässigkeit (vgl. VwGH 31.1.2014, 2012/02/0012).

13 Die Revision macht als sekundären Feststellungsmangel geltend, das Verwaltungsgericht hätte seiner Entscheidung auch zugrunde legen müssen, dass das Polizeifahrzeug vom PKW des Revisionswerbers lediglich drei bis vier Meter entfernt gewesen sei und er vom PKW nur das Handy geholt hätte. Er habe sich somit nicht vom Ort der Amtshandlung entfernt und sein Verhalten sei nicht als Verweigerung des Alkotests zu werten.

14 Als Weigerung, sich dem Atemalkoholtest zu unterziehen, gilt auch ein Verhalten des Probanden, das das Zustandekommen des vorgesehenen Tests verhindert (vgl. VwGH 27.2.2007, 2007/02/0019). Das Weggehen oder das Verlassen eines Raumes nach erfolgter Aufforderung zur Durchführung des „Alkomattests“ kann als Verweigerung der Atemluftprobe gewertet werden (vgl. VwGH 25.6.1999, 99/02/0077).

15 Nach den oben dargestellten Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zum Ablauf der Verkehrskontrolle hat der Revisionswerber nicht nur gesagt, den Rechtsanwalt anrufen zu wollen, sondern auch, dass ihn das nicht interessiere, und er hat sich vom Polizeifahrzeug entfernt. Anhaltspunkte für den Polizeibeamten, dass der Revisionswerber lediglich das Handy aus dem nahen PKW hätte holen wollen, sind nicht hervorgekommen.

16 Das Zulässigkeitsvorbringen der Revision zeigt vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung nicht auf, dass das Verwaltungsgericht zusätzliche Feststellungen zu treffen gehabt hätte.

17 Aus der im § 8 RAO geregelten Befugnis der Rechtsanwälte zur berufsmäßigen Parteienvertretung kann nicht abgeleitet werden, dass Fahrzeuglenker die Untersuchung der Atemluft bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 StVO verweigern dürfen, wenn ihnen vorher keine Gelegenheit zu einer Kontaktaufnahme mit ihrem Rechtsvertreter gegeben worden ist (vgl. VwGH 15.2.1991, 87/18/0003).

18 Letztlich wird zur Zulässigkeit der Revision noch vorgebracht, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung zu § 44a Z 2 und 3 VStG abgewichen sei, weil es die von der Behörde herangezogene verletzte Rechtsvorschrift iSd. § 44a Z 2 VStG auf § 5 Abs. 2 StVO und die iSd. § 44a Z 3 VStG angewendete Gesetzesbestimmung auf § 99 Abs. 1 lit. b StVO samt Angabe der Fundstellen richtig zu stellen gehabt hätte.

19 Hiezu ist zunächst auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 27. Juni 2022, Ra 2021/03/0328 (VS) ausgeführt hat, dass es bei der Angabe der verletzten Verwaltungsvorschrift und der Sanktionsnorm gemäß § 44a Z 2 und 3 VStG darauf ankommt, dass die Norm (lediglich) unverwechselbar konkretisiert wird, damit die beschuldigte Person in die Lage versetzt wird, dem Vorwurf entsprechend zu reagieren und ihr Rechtsschutzinteresse zu wahren. Maßgeblich ist daher, dass die Angabe der verletzten Verwaltungsvorschrift (§ 44a Z 2 VStG) und der bei der Verhängung der Strafe angewendeten Gesetzesbestimmung (§ 44a Z 3 VStG) in einer Weise erfolgt, die den Beschuldigten in die Lage versetzt, sich gegen den Tatvorwurf verteidigen zu können und nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt zu sein (im Hinblick auf § 44a Z 2 VStG) bzw. nachvollziehen zu können, welche konkrete Sanktionsnorm herangezogen wurde, um die Zulässigkeit und die Höhe der über ihn verhängten Strafe überprüfen zu können (im Hinblick auf § 44a Z 3 VStG).

20 Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis weiter ausgeführt hat, liegt ‑ sofern nicht aus besonderen Gründen (etwa aufgrund gestaffeltem, verzögertem oder später geändertem Inkrafttreten) für den Rechtsanwender Unsicherheit über die angewendete Fassung bestehen kann ‑ eine Verletzung der Anforderungen des § 44a Z 2 und 3 VStG daher jedenfalls nicht vor, wenn die angewendete Rechtsvorschrift in ihrer Gesamtheit mit der zuletzt (vor dem Tatzeitpunkt) erfolgten Novellierung zitiert wird, oder wenn die zuletzt vor dem Tatzeitpunkt erfolgte Novellierung bezogen auf einzelne Paragraphen oder Artikel der Rechtsvorschrift zitiert wird, ohne dass mit den zitierten Änderungen zwingend auch die jeweils konkret anzuwendende Untergliederung der Rechtsvorschrift geändert wurde. Selbst ein Unterbleiben der Angabe der Fundstelle kann aber dann keine Verletzung in einem subjektiven Recht der beschuldigten Person bewirken, wenn die herangezogene Rechtsvorschrift für diese aus dem Zusammenhang nicht zweifelhaft sein konnte.

21 Derartiges legt der Revisionswerber in seinem Zulässigkeitsvorbringen nicht dar, sodass ein Abweichen von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durch das Verwaltungsgericht nicht ersichtlich ist.

22 Zudem ist festzuhalten, dass im Rahmen des § 44a Z 2 VStG das Mitzitieren jener Verwaltungsvorschrift, die einen Verstoß gegen eine Gebots- oder Verbotsnorm zur Verwaltungsübertretung erklärt, nicht schadet (vgl. Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG² § 44a Rz 5, mwN aus der hg. Rechtsprechung).

23 Seit der 19. StVO‑Novelle ist die im Erkenntnis eines hg. verstärkten Senates, VwGH 2.7.1979, 1781/77, VwSlg. 9898/A, zum Ausdruck gekommene Rechtsansicht, die Weigerung, die Atemluft unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 StVO auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, verletze im Sinne des § 44a lit. b (jetzt: Z 2 VStG) nicht § 5 Abs. 2 StVO, sondern § 99 Abs. 1 lit. b StVO, überholt. Die bloße Anführung des § 5 Abs. 2 StVO als übertretene Rechtsvorschrift im bekämpften Schuldspruch widerspricht daher nicht der Vorschrift des § 44a Z 2 VStG (vgl. VwGH 25.4.1997, 97/02/0050).

24 Dass die Weigerung der verdächtigten Person, die Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, eine Verwaltungsübertretung bildet, ergibt sich im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 99 Abs. 1 lit. b StVO (vgl. VwGH 30.4.2003, 2001/03/0043, mit dem Hinweis, dass (auch) die Angabe des § 99 Abs. 1 lit. b StVO als Verwaltungsvorschrift, deren Übertretung dem Beschwerdeführer zur Last gelegt wird, dem § 44 a Z 2 VStG entspricht, weil zufolge der Umschreibung des Tatbildes im Spruch die Zuordnung der als erwiesen angenommenen Tat zu § 5 Abs. 2 StVO 1960 klar erscheint, zumal § 99 Abs. 1 lit. b leg. cit. ohnehin auf § 5 leg. cit. verweist).

25 Auch ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die belangte Behörde (nunmehr das Verwaltungsgericht) nicht verpflichtet, im Spruch die im Straferkenntnis der Erstbehörde gemäß § 44a Z 2 VStG als übertreten angegebene Verwaltungsvorschrift ‑ nämlich „§ 99 Abs. 1 lit. b StVO“ ‑ auf § 5 Abs. 2 StVO abzuändern, wobei durch diese Abänderung keine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers bewirkt wurde, da auch die (bloße) Zitierung des § 5 Abs. 2 StVO dem § 44a Z. 2 VStG entspricht (vgl. VwGH 31.3.2006, 2004/02/0344, mwN).

26 Demnach wird durch das Mitzitieren des § 99 Abs. 1 lit. b StVO zu § 5 Abs. 2 StVO kein Verstoß gegen § 44a Z 2 VStG bewirkt.

27 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 15. Februar 2023

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