Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200133.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und Eltern des Dritt- und des Viertrevisionswerbers. Sie sind alle iranische Staatsangehörige und stellten am 11. Juli 2018 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies sämtliche Anträge mit den Bescheiden je vom 15. Oktober 2018 ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte jeweils fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden der revisionswerbenden Parteien nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 In der Begründung der Zulässigkeit wenden sich die revisionswerbenden Parteien gegen die beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur fehlenden ernsthaften und inneren Hinwendung der erst‑ und zweitrevisionswerbenden Partei zum Christentum, sowie zur Annahme, der Drittrevisionswerber werde sich im Fall einer Rückkehr in den Iran auch an ein nach den islamischen Grundsätzen geprägtes Umfeld anpassen können.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der ‑ zur Rechtskontrolle berufene ‑ Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 15.3.2022, Ra 2022/20/0035, mwN).
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 4.8.2021, Ra 2021/20/0243, mwN).
10 Fallbezogen hat das Bundesverwaltungsgericht eine Verhandlung mit zwei Tagsatzungen durchgeführt, in denen es sich einen persönlichen Eindruck von den revisionswerbenden Parteien verschaffte, insbesondere die erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien näher zu ihren Fluchtgründen befragte und die beantragte Zeugin vernahm. Entgegen den Ausführungen in der Revision setzte sich das Bundesverwaltungsgericht in dem angefochtenen Erkenntnis eingehend mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien auseinander und begründete die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens mit einer Vielzahl von Aspekten. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen in ihrer Gesamtheit unvertretbar wären, vermögen die revisionswerbenden Parteien durch das bloße Wiederholen der vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Aussagen sowie das isolierte und aus dem Gesamtzusammenhang der ausführlichen und umfassenden Beweiswürdigung gerissene Herausgreifen einzelner Argumente des Bundesverwaltungsgerichtes nicht darzutun.
11 Soweit die revisionswerbenden Parteien beanstanden, dass der Drittrevisionswerber vom Bundesverwaltungsgericht nur kurz zu seiner Tätigkeit als Ministrant befragt worden sei, machen sie einen Verfahrensmangel geltend. In einem solchen Fall muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz desselben, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist ‑ um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen ‑ in der Revision konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen oder zusätzlichen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 26.4.2021, Ra 2021/14/0004, mwN). Dem kommen die revisionswerbenden Parteien mit der pauschalen Behauptung, das Bundesverwaltungsgericht wäre nach einer weitergehenden Befragung des Drittrevisionswerbers aufgrund des persönlichen Eindrucks zu der Überzeugung gelangt, dass bei diesem bereits eine nachhaltige Verfestigung seines Glaubens stattgefunden habe und dieser auch im Fall einer Rückkehr nach Iran daran festhalten würde, nicht nach.
12 Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt, oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 4.6.2021, Ra 2021/20/0177). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 28.5.2021, Ra 2021/20/0070, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat in Entsprechung eines Beweisantrags der revisionswerbenden Parteien eine Zeugin einvernommen. Dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes, es bedürfe keiner weiteren Beweisaufnahme von Amts wegen, mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wäre, wird nicht aufgezeigt.
Mit dem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte den revisionswerbenden Parteien aufgrund der in den dem Erkenntnis zu Grunde gelegten Länderberichten thematisierten Anschläge und Zwischenfälle mit terroristischem Hintergrund im Iran subsidiären Schutz gewähren müssen, wenden sich die revisionswerbenden Parteien gegen die rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes. Aus welchem Grund aber das Bundesverwaltungsgericht mit seiner rechtlichen Beurteilung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, zeigen die revisionswerbenden Parteien nicht auf (vgl. zu den Leitlinien der Prüfung, ob ein „real risk“ der Verletzung des Art. 3 EMRK droht, VwGH 22.6.2017, Ra 2017/20/0085).
13 Soweit die revisionswerbenden Parteien behaupten, das Bundesverwaltungsgericht wäre von einem unrichtigen Alter des Drittbeschwerdeführers ausgegangen, ist darauf zu verweisen, dass eine solche Behauptung ausgehend von den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen im Inhalt der angefochtenen Entscheidung keine Deckung findet.
14 Soweit sich die revisionswerbenden Parteien gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wenden, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist (vgl. VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0251).
15 Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA‑Verfahrensgesetz vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0166 bis 0170, mwN).
16 Mit der pauschalen Behauptung, das Bundesverwaltungsgericht wäre nach einer näheren Einvernahme des Drittrevisionswerbers aufgrund des persönlichen Eindrucks zu der Überzeugung gelangt, dass eine Rückkehr des Drittrevisionswerbers eine maßgebliche Gefährdung des Kindeswohls bedeuten werde, wird nicht dargetan, dass die dem angefochtenen Erkenntnis zu Grunde liegende Beurteilung unvertretbar wäre.
17 Aus den vorgelegten Akten ergibt sich, dass die Beschwerdeverfahren der revisionswerbenden Parteien dem zunächst zuständigen Richter gem. § 17 Abs. 3 BVwGG mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 17. Juli 2020 abgenommen und der erkennenden Richterin zugewiesen wurden. Die revisionswerbenden Parteien zeigen mit ihrem Vorbringen, für sie sei nicht überprüfbar gewesen, ob die Zuweisung der Rechtssachen an die entscheidende Richterin zu Recht erfolgt sei, nicht auf, dass diese ihre Zuständigkeit rechtswidrig wahrgenommen hätte.
18 In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 26. September 2022
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
