VwGH Ra 2022/20/0075

VwGHRa 2022/20/00756.5.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann‑Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision der E O in W, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Freyung 6/7/2 (Einvernehmensrechtsanwalt gemäß § 14 EIRAG: Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11), gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2022, W161 2250704‑1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §5 Abs1
BFA-VG 2014 §21 Abs6a
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022200075.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Nigerias, stellte am 25. November 2021 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den sie im Wesentlichen damit begründete, dass eine Schlepperin sie zwingen habe wollen, als Prostituierte zu arbeiten. Am 3. September 2015 und am 19. Juni 2021 hatte die Revisionswerberin bereits in Dänemark Asylanträge gestellt, die rechtskräftig abgewiesen worden waren. Dänemark stimmte dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 22. November 2021 nach der Verordnung (EU) 604/2013 (Dublin III‑Verordnung) gestellten Wiederaufnahmeersuchen mit Schreiben vom 24. November 2021 zu.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies daraufhin den Antrag der Revisionswerberin mit Bescheid vom 30. Dezember 2021 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück, ordnete die Außerlandesbringung der Revisionswerberin gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 an und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Dänemark „demgemäß“ zulässig sei.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2022 ‑ ohne Durchführung einer Verhandlung ‑ mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der genannte Feststellungsausspruch dahingehend abgeändert wurde, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d der Dublin III‑Verordnung Dänemark zuständig sei. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht ‑ unter Bezugnahme auf Berichte zur Lage in Dänemark ‑ aus, die Schutzgewährung und Versorgung von Asylwerbern sei in Dänemark gewährleistet. Es könne nicht erkannt werden, dass die Überstellung der Revisionswerberin nach Dänemark eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK darstellen würde. Zudem lägen keine konkreten, in der Person der Revisionswerberin gelegenen Gründe für die Annahme fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Dänemark vor.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revisionswerberin macht zur Zulässigkeit der vorliegenden Revision zusammengefasst geltend, das Bundesverwaltungsgericht hätte eine Verhandlung durchführen müssen, um sich einen persönlichen Eindruck von der Revisionswerberin zu verschaffen. Weiters habe es die amtswegige Ermittlungspflicht in Bezug auf die Situation von Opfern von Menschenhandel in Dänemark aufgrund der vorgelegten Stellungnahme der LEFÖ‑IBF/Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel verletzt. Es habe sich nicht ausreichend mit den Länderberichten auseinandergesetzt und entsprechende Feststellungen dazu, dass die Revisionswerberin Betroffene von Menschenhandel sei, unterlassen. Letztlich fehle Rechtsprechung zur „besonderen (erhöhten) Beweiskraft“ von Stellungnahmen staatlich anerkannter Interventionsstellen im Sinne des § 25 Abs. 3 Sicherheitspolizeigesetz sowie zur Notwendigkeit der Einholung einer Einzelfallzusicherung des (wieder‑)aufnehmenden Staates in Fällen von besonders vulnerablen Fremden, deren Antrag gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen werde.

9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch die Bestimmungen der EMRK und der GRC, insbesondere Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC, zu berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung derselben das im „Dublin-System“ vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben. Weiters wurde in der Judikatur festgehalten, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegbar ist. Dabei ist die Frage, ob ein Staat als „sicher“ angesehen werden kann, vorrangig eine Tatsachenfrage, die nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu lösen ist. Die Beurteilung, ob die festgestellten Mängel im Zielstaat die Sicherheitsvermutung widerlegen und einer Überstellung des Asylwerbers unter Bedachtnahme auf die EMRK und die GRC entgegenstehen, ist hingegen eine ‑ unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ‑ revisible Rechtsfrage (vgl. VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0219, mwN).

10 Nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber in einem Staat, der auf Grund der Dublin III‑Verordnung zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist, Schutz vor Verfolgung findet, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen (vgl. VwGH 10.2.2021, Ra 2021/19/0031).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf verwiesen, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts‑ und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann (vgl. erneut VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0219).

12 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage von aktuellen Länderberichten mit näherer Begründung ausgeführt, dass die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grundversorgung, die Unterbringung sowie die Beachtung des Refoulementverbotes in Dänemark den Grundsätzen des Unionsrechts entsprächen.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0365, mwN). Diesem Erfordernis wird in der Revision nicht nachgekommen.

14 Das Bundesverwaltungsgericht hat dargelegt, dass es sich bei Dänemark um einen Rechtsstaat mit ausreichenden Rechtsschutzeinrichtungen ‑ auch für Opfer von Menschenhandel sowie Personen, die mit Zwangsprostitution konfrontiert seien ‑ handle. Dem tritt die Revisionswerberin mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, wonach das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Schwachstellen aufwiesen und dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Revisionswerberin nicht als Opfer von Menschenhandel identifiziert werden würde und nicht die entsprechende Versorgung erhielte, nicht substantiiert entgegen. Der Einholung einer Einzelfallzusicherung bedurfte es fallbezogen nicht.

15 Warum der Stellungnahme der LEFÖ‑IBF/Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel eine „besondere (erhöhte) Beweiskraft“ zukommen sollte, ist anhand des Vorbringens in der Revision nicht zu sehen.

16 Insoweit die Revision das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung beanstandet, vermag sie nicht aufzuzeigen, dass eine Verletzung der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Fall von Beschwerden gegen im Zulassungsverfahren getroffene zurückweisende Entscheidungen nach der Sonderbestimmung des § 21 Abs. 6a BFA‑VG, wonach das Bundesverwaltungsgericht unter anderem über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann (vgl. dazu VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0219; grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072), vorgelegen wäre.

17 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 6. Mai 2022

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