VwGH Ro 2022/20/0001

VwGHRo 2022/20/000126.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des S A, vertreten durch Mag. Christian Schlechl, Rechtsanwalt in 6840 Götzis, Dr.‑A.‑Heinzle‑Straße 34, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Februar 2022, W101 2220997‑1/26E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
StGB §43 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022200001.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Es wurde ihm aufgrund dieses Antrages vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 4. August 2016 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

2 Im Jahr 2018 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Aberkennung des dem Revisionswerber zuerkannten Status des Asylberechtigten ein, weil es davon Kenntnis erlangt hatte, dass der Revisionswerber in Österreich ‑ wie sich aus den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis ergibt: bereits ab seiner Einreise ‑ straffällig geworden war.

3 Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 19. Juli 2017 war der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 3 SMG (Überlassen von Suchtgift als Mitglied einer kriminellen Vereinigung in einer das 25‑fache der Grenzmenge übersteigenden Menge) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG (Erwerb und Besitz von Suchtgift zum persönlichen Gebrauch) zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sprach mit Bescheid vom 11. Juni 2019 aus, dass dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten ‑ wegen des Vorliegens eines Asylausschlussgrundes ‑ aberkannt und festgestellt werde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gestützt auf § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) sowie ein auf Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.) erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Syrien zulässig sei (Spruchpunkt V.), und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab seiner Enthaftung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. Februar 2022 insoweit als unbegründet ab, als sie sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gerichtet hatte [Spruchpunkt A) I.]. Den Ausspruch über die Versagung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten änderte das Bundesverwaltungsgericht dahingehend ab, dass diese auf § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 gestützt und dieser Ausspruch „mit der Feststellung verbunden“ wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Revisionswerbers nach Syrien unzulässig sei [Spruchpunkt A) II.]. Im Übrigen wurde der Beschwerde „mit der Maßgabe stattgegeben“, dass an die Stelle der übrigen Spruchpunkte des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl folgender Spruch trat: „III. Gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG [...] ist der Aufenthalt von [Revisionswerber] geduldet, solange dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Syrien unzulässig ist.“ [Spruchpunkt A) III.].

6 Das Bundesverwaltungsgericht sprach weiters aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig sei. Dazu führte es in der Begründung aus, dass seine Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche (Hinweis auf VwGH 28.8.2014, 2013/21/0218). Im Fall der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat sei der Ausspruch einer Duldung „aus Sicht der zuständigen Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes“ sowohl einfachgesetzlich als auch im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) geboten. Die Frage, ob die in § 8 Abs. 3a AsylG 2005 vorgesehene Erlassung einer Rückkehrentscheidung trotz Feststellung der Unzulässigkeit einer Abschiebung mit den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie vereinbar sei, habe der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt (Hinweis auf VwGH 20.10.2021, EU 2021/0007 [Ra 2021/20/0246]). Der Ausgang dieses beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens sei (gemeint: auch im vorliegenden Fall) von maßgebender Bedeutung.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Die vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmende Kontrolle einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung stützt sich für außerordentliche und ordentliche Revisionen in gleicher Weise jeweils auf eine gesonderte Darlegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Revision (vgl. etwa VwGH 21.6.2022 Ro 2021/10/0020, mwN).

11 Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision bezieht sich inhaltlich auf den von ihm ‑ unter dem Spruchpunkt A) III. ‑ getätigten Ausspruch, womit es ‑ nach dem ihm (unzweifelhaft) zuzumessenden Inhalt ‑ jene Spruchpunkte des behördlichen Bescheides, mit denen die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt, eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot erlassen und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt wurden, behoben und stattdessen ausgesprochen hat, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers geduldet sei.

12 Der Revisionswerber erachtet diese Begründung als zutreffend, sodass schon deswegen die von ihm erhobene Revision zulässig sei.

13 Dem ist entgegenzuhalten, dass der soeben erwähnte Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts nach den in der Revision enthaltenen Revisionspunkten gar nicht der Anfechtung unterzogen wird. Somit ist nicht zu sehen, dass die hier gegenständliche Revision von den vom Bundesverwaltungsgericht als für die Zulässigkeit der Revision maßgeblich erachteten Rechtsfragen abhängen würde. Das führt dazu, dass damit die Zulässigkeit der hier vorliegenden Revision nicht begründet werden kann. Infolge dessen war an dieser Stelle darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht im von ihm angesprochenen Spruchpunkt A) III. von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (evidentermaßen und in mehrfacher Hinsicht) abgewichen ist, nicht weiter einzugehen. Ebensowenig musste hier näher beleuchtet werden, welche Bedeutung die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts für die Erhebung einer Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (vgl. Art. 133 Abs. 6 Z 2 B‑VG) oder des Bundesministers für Inneres (vgl. § 8 BFA‑Verfahrensgesetz) hätte, weil eine solche (Amts‑)Revision dem gegenständlichen Revisionsverfahren unzweifelhaft nicht zugrunde liegt.

14 „Hilfsweise“ macht der Revisionswerber zur Zulässigkeit der von ihm erhobenen Revision geltend, „[b]ezüglich der Rechtsfrage, inwieweit eine tatsächlich verhängte, außerordentlich geringe, nur im Ausmaß eines Sechstels des höchstzulässigen Strafmaßes liegende Freiheitsstrafe, bei der Beurteilung des ‚besonders schweres Verbrechen‘ iS § 6 Abs 1 Z 4 AsylG 2005 die Annahme, dass ein ‚besonders schweres Verbrechen‘ vorliegt, per se ausschließt bzw dessen Ausschluss zumindest indiziert“, fehle „eine einheitliche bzw klarstellende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes“.

15 Das trifft indes nicht zu.

16 Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des Asylberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliegt. Ein Fremder ist nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

17 Soweit es die vom Revisionswerber angesprochene Beurteilung betrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 festgehalten, dass es nicht genügt, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. etwa VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0289, mwN).

18 Unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht an. Auch Taten, die sich gegen das Rechtsgut der sexuellen Integrität von Minderjährigen richten, sind grundsätzlich als „besonders schweres Verbrechen“ im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 anzusehen (vgl. auch dazu VwGH Ra 2019/14/0289, mwN). Auch das ‑ im vorliegenden Fall vom Revisionswerber begangene ‑ Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 SMG ist grundsätzlich vom Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ umfasst (vgl. VwGH 11.11.2021, Ra 2021/19/0312; 15.3.2022, Ra 2022/20/0035, jeweils mwN). Bei der in der Rechtsprechung erfolgten Aufzählung handelt es sich allerdings nicht um eine abschließende Nennung von Delikten, was vom Verwaltungsgerichtshof schon mit dem Hinweis „und dergleichen“ unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wurde (vgl. nochmals VwGH Ra 2019/14/0289).

19 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass die im Rahmen der Prüfung einer Aberkennung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 durchzuführende Gefährdungsprognose grundsätzlich unabhängig von den ‑ die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden ‑ Erwägungen des Strafgerichtes erfolgt (vgl. erneut VwGH 11.11.2021, Ra 2021/19/0312, mwN).

20 Es ist ‑ entgegen der bloß unsubstantiierten Behauptung des Revisionswerbers ‑ zudem nicht zu sehen, dass die zu diesem Thema ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes uneinheitlich wäre.

21 Dem Revisionswerber gelingt es im Übrigen auch nicht darzutun, dass die vom Bundesverwaltungsgericht im konkreten Einzelfall anhand dieser Leitlinien vorgenommene Beurteilung betreffend das Vorliegen eines „besonders schweren Verbrechens“ (sowie ‑ was aber allein in den Revisionsgründen angesprochen wird und wie bloß der Vollständigkeit halber zu ergänzen ist ‑ einer vom Revisionswerber ausgehenden maßgeblichen Gefahr) im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit behaftet wäre.

22 Die Revision, die nach dem Gesagten von den vom Bundesverwaltungsgericht angesprochenen Rechtsfragen nicht abhängt und in der auch sonst keine Rechtsfrage aufgeworfen wird, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war sohin gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 26. September 2022

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