European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190011.L00
Spruch:
I. Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 829,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 19. Oktober 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er zusammengefasst vor, die Taliban würden ihn verfolgen, weil er einen Laden besessen habe, in dem Mitglieder der afghanischen Regierung eingekauft hätten.
2 Mit Bescheid vom 11. April 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber die vorliegende Revision ein.
5 Mit Erkenntnis vom 18. März 2022, E 139/2022‑11, hob der Verfassungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan und gegen die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Leben gemäß Art. 2 EMRK sowie im Recht gemäß Art. 3 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, auf.
6 Im Übrigen ‑ somit hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten ‑ lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.
Zu I.:
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, das BVwG habe den Grundsatz des Parteiengehörs nicht gewahrt und dem Revisionswerber keine Gelegenheit gegeben, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. In diesem Zusammenhang moniert die Revision, dass der Revisionswerber weder ein übersetztes Protokoll, noch eine Abschrift „eines Dokumentes“ vom BVwG bekommen habe und dass in der mündlichen Verhandlung keine Dolmetscherin anwesend gewesen sei.
11 Gemäß § 15 AVG liefert, soweit nicht Einwendungen erhoben wurden, eine gemäß § 14 AVG aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis, wobei der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges zulässig bleibt (vgl. VwGH 28.9.2018, Ra 2018/20/0440).
12 Dem Vorbringen in der Revision ist entgegenzuhalten, dass aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vom 1. Dezember 2021 hervorgeht, dass ein nichtamtlicher Dolmetscher für die Sprache Paschtu gemäß § 39a Abs. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 4 AVG bestellt und gemäß § 14 Z 3 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 SDG vereidigt wurde. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wurde dem Revisionswerber zur Durchsicht vorgelegt, rückübersetzt, vom Revisionswerber unterschrieben und es geht daraus hervor, dass dem Revisionswerber und seiner Rechtsvertreterin eine Ausfertigung der Niederschrift persönlich ausgefolgt wurden.
13 Einwendungen des Revisionswerbers gegen die Niederschrift wurden weder protokolliert, noch wird behauptet, der Revisionswerber hätte Einwendungen im Sinn des § 14 Abs. 3 AVG erhoben. Die Revision zeigt mit ihrem allgemeinen Vorbringen keine konkreten Gründe zur Entkräftung der Beweiskraft der Niederschrift auf.
14 Soweit die Revision vorbringt, der Revisionswerber habe keine Möglichkeit gehabt, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, wird ein Verfahrensmangel gerügt. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung auch die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 1.7.2021, Ra 2021/19/0123, mwN). Eine solche Darlegung enthält die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nicht.
15 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Zu II.:
16 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
17 Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt u.a. dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung ‑ wie hier ‑ durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. etwa VwGH 3.2.2022, Ra 2021/19/0269, mwN).
18 Der Revisionswerber gab auf die Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes, sich schriftlich zur Frage zu äußern, ob bzw. in welchem Umfang er im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. März 2022, E 139/2022‑11, klaglos gestellt sei, innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten Frist keine Erklärung ab.
19 Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte wendet, gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
20 Im gegenständlichen Fall wurde der Revisionswerber schon vor Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof klaglos gestellt. Dies ist dem in § 55 VwGG geregelten Fall (Klaglosstellung innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 1 VwGG gesetzten Frist) gleichzuhalten (vgl. VwGH 20.1.2022, Ra 2021/19/0302, mwN).
21 Der Aufwandersatz war daher nach dem analog anzuwendenden zweiten Satz des § 55 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014 nur im Ausmaß der reduzierten Pauschalsumme zuzuerkennen.
Wien, am 7. Juni 2022
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