VwGH Ra 2021/19/0123

VwGHRa 2021/19/01231.7.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des A A in W, vertreten durch Dr. Alois Eichinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2021, L504 2237150‑1/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190123.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein staatenloser Palästinenser aus dem palästinensischen Gaza-Gebiet, stellte am 22. Mai 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zunächst mit der Sicherheitslage bzw. mit einer Schussverletzung begründete, die er als Inhaber eines Verkaufsladens im Grenzgebiet zu Israel im Zuge des Einschreitens israelischer Soldaten anlässlich einer Demonstration erlitten habe. In weiterer Folge brachte er einen Konflikt mit einem näher genannten ranghohen palästinensischen Politiker vor.

2 Mit Bescheid vom 7. Oktober 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in das palästinensische Autonomiegebiet Gaza zulässig sei und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

4 Begründend schloss sich das BVwG im Wesentlichen der Beweiswürdigung des BFA an, wonach es dem Revisionswerber aufgrund seines gesteigerten, widersprüchlichen und teilweise unplausiblen Fluchtvorbringens nicht gelungen sei, eine drohende Verfolgung glaubhaft zu machen. Der Umstand, dass der Revisionswerber während einer Demonstration angeschossen worden sei, sei glaubwürdig, aber für die Frage einer künftigen Verfolgung nicht von Bedeutung, da es sich um keine gezielt gegen die Person des Revisionswerbers gerichtete Handlung gehandelt habe. In Gaza könne der uneingeschränkt erwerbsfähige Revisionswerber erforderlichenfalls die Unterstützung durch seine Familie und auch weiterhin den Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina‑Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), bei dem er als Flüchtling registriert sei, in Anspruch nehmen. Aus den Angaben in der Beschwerde ergebe sich nicht glaubhaft, dass dieser Schutz weggefallen sei. Es könne daher nicht angenommen werden, dass der Revisionswerber im Falle seiner Rückkehr keinen Schutz von UNRWA erhalten könne.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision (gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert) vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0599, mwN).

8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das BVwG habe den Sachverhalt als hinreichend geklärt erachtet, sodass eine mündliche Verhandlung habe entfallen können. Das BVwG habe somit lediglich die Aussagen „in den Unterinstanzen“ zur Sachverhaltsfeststellung herangezogen und ausgeführt, dass der Revisionswerber seine individuelle Verfolgung im Heimatland nicht glaubhaft gemacht habe und nach wie vor unter dem Schutz der UNRWA stehe. Bei einer Einvernahme vor dem BVwG hätte der Revisionswerber seine Verfolgungssituation in Gaza näher darstellen können. Er habe im Verfahren eine Kopie seines palästinensischen Reisedokuments sowie die Registrierungsbestätigung seiner Familie bei UNRWA vorgelegt und damit die erste Voraussetzung für die Asylgewährung gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zu palästinensischen Staatenlosen, die das Einsatzgebiet der UNRWA verlassen haben, erfüllt. Die zweite Voraussetzung erfordere eine Prüfung, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt sei, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern, den von UNRWA gewährten Beistand in Anspruch zu nehmen. Schon die als glaubwürdig eingeschätzte Schussverletzung veranschauliche, dass der Beistand von UNRWA offenbar nicht mehr effektiv geleistet werden könne. Dies hätte auch eine nochmalige Befragung durch das BVwG ergeben, sodass die Unterlassung der mündlichen Verhandlung verfehlt gewesen sei.

9 Dem ist zu entgegnen, dass in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret darzulegen ist, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 20.5.2019, Ra 2019/20/0173, mwN). Die Revision behauptet wiederholt die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens, lässt aber eine Bezugnahme auf die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte vermissen und zeigt insbesondere nicht auf, von welcher dieser Leitlinien das BVwG im vorliegenden Fall abgewichen wäre (zu den Kriterien, anhand derer zu beurteilen ist, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben kann, vgl. VwGH 19.6.2020, Ra 2019/19/0562, mwN).

10 Wenn die Revision darüber hinaus Ermittlungsmängel und eine Verletzung des „Prinzips der amtswegigen Wahrheitserforschung“ rügt, macht sie Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0107, mwN). Eine solche Darlegung enthält die Zulassungsbegründung der Revision nicht.

11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. Juli 2021

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