VwGH Ra 2022/18/0154

VwGHRa 2022/18/015418.7.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des R T, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2022, L530 2249779‑1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

ARB1/80 Art13
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
31972R2760 ZusProt FinanzProt AssAbk Türkei Art41 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180154.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger der kurdischen Volksgruppe, reiste am 28. April 2021 in das Bundesgebiet ein und stellte am 24. Mai 2021 (im Zuge einer polizeilichen Personenkontrolle) einen Antrag auf internationalen Schutz, den er (u.a.) damit begründete, aufgrund seiner Weigerung, eine Zwangsehe mit einem Mädchen seines Heimatortes einzugehen, von der eigenen Familie und der Familie des Mädchens verfolgt zu werden.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Antrag auf internationalen Schutz in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19. November 2021 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3 Begründend erachtete das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers aus näher dargestellten Gründen für nicht glaubhaft. Dem Revisionswerber sei daher weder Asyl noch subsidiärer Schutz zu gewähren. Auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 seien nicht gegeben. Zur Rückkehrentscheidung hielt das BVwG u.a. fest, der Revisionswerber führe seit seiner Einreise eine Beziehung mit einer in der Türkei geborenen österreichischen Staatsangehörigen. Diese Beziehung rechtfertige den Verbleib des Revisionswerbers in Österreich angesichts der dagegen sprechenden überwiegenden öffentlichen Interessen, die im Einzelnen dargelegt wurden, nicht.

4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit dg. Beschluss vom 29. April 2022, E 652/2022‑7, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten worden ist.

5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mehrfach abgewichen. Es habe die Bedrohung des Revisionswerbers durch eine Zwangsehe in der Türkei, gegen die kein staatlicher Schutz bestehe, falsch bewertet und zu Unrecht kein Asyl oder einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (als Opfer von Gewalt in der Familie) gewährt. In Bezug auf die Rückkehrentscheidung habe sich das BVwG mit der „Lebensbeziehung“ des Revisionswerbers mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die in der Türkei geboren worden sei, nicht auseinandergesetzt. Außerdem hätte das BVwG dem Revisionswerber aufgrund der Stillhalteklauseln gemäß Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB 1/80) und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) einen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen gehabt.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die gegenständliche Revision entfernt sich in ihrem Zulässigkeitsvorbringen begründungslos von den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis, wonach die behauptete Bedrohung des Revisionswerbers durch die eigene Familie bzw. die Familie eines Mädchens, zu dessen Ehelichung er gezwungen werden sollte, nicht glaubhaft sei. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist die Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz bzw. die Nichtgewährung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 (als Opfer von Gewalt) aber nicht als rechtswidrig zu erkennen.

11 Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist (vgl. etwa VwGH 13.9.2021, Ra 2021/18/0238, mwN).

12 Die Revision vermag nicht darzulegen, dass das BVwG bei seiner Interessenabwägung von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen wäre. Sie zeigt insbesondere nicht auf, dass die vom BVwG als „Beziehung“ und von der Revision als „Lebensbeziehung“ bezeichnete Verbindung des Revisionswerbers zu einer österreichischen Staatsbürgerin im Lichte des Art. 8 EMRK ein solches Gewicht hätte, dass sie die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung als unvertretbar erscheinen lassen würde.

13 Auch der Verweis der Revision auf die Stillhalteklauseln des Art. 13 ARB 1/80 bzw. Art. 41 Abs. 1 ZP ändern daran nichts, zumal die Revision nicht darzulegen vermag, weshalb sich der Revisionswerber auf die Begünstigungen des Assoziationsabkommens EWG/Türkei berufen können sollte (insbesondere dazu, dass eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung keine „gesicherte Position“ im Sinne des ARB 1/80 vermittelt, vgl. etwa VwGH 15.10.2015, Ra 2015/21/0117, mwN).

14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gem. § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 18. Juli 2022

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