European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180097.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin ist afghanische Staatsangehörige aus der Provinz Baghlan. Sie gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitische Muslima. Sie stellte am 23. Jänner 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie zusammengefasst damit begründete, dass ihr Mann vor 21 Jahren von den Taliban getötet worden sei und diese sie zwangsverheiraten hätten wollen, weshalb sie mit ihren beiden Töchtern in den Iran geflohen sei. Im Iran sei sie von einem Sohn ihres Mannes aus erster Ehe bedroht worden, weil sie ihre Tochter studieren habe lassen und er eine ihrer Töchter verheiraten habe wollen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 16. Juni 2020 den Antrag auf Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
3 Die gegen Spruchpunkt I. erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass die Revisionswerberin weder eine Bedrohung durch die Taliban vor über 20 Jahren noch durch einen männlichen Familienangehörigen im Iran habe glaubhaft machen können. Sie sei nach dem Tod ihres Mannes mit einer größeren Gruppe aus ihrem Dorf in den Iran ausgewandert. Dort habe sie als Erntehelferin gearbeitet oder sonstige Gelegenheitsjobs ausgeübt. Noch vor ihrer Ausreise aus dem Iran habe sie ihre ältere Tochter mit einem in Österreich aufenthaltsberechtigten Afghanen verheiratet.
Die Revisionswerberin leide an Schilddrüsenproblemen, nehme derzeit jedoch keine Medikamente ein. Sie spreche sehr schlecht Deutsch und kümmere sich in Österreich um den Haushalt; gelegentlich treffe sie andere Asylwerberinnen, sonst trete sie in der Öffentlichkeit kaum auf. Sie habe während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht, die für sie zu einem bedeutenden Bestandteil ihrer Identität geworden sei und aufgrund derer sie bei einer Rückkehr in ihr Heimatland einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt wäre.
Seit der Machtübernahme der Taliban müsse zwar ein geringeres Ausmaß an „westlicher“ Orientierung ausreichen, um eine asylrelevante Verfolgung zu begründen. Selbst eine solche habe die Revisionswerberin jedoch nicht angenommen und drohe ihr bei ihrer Rückkehr keine wie immer geartete Verfolgung.
5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit lediglich geltend macht, das BVwG habe es unterlassen, ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Schilddrüsenkrankheit der Revisionswerberin einzuholen. Dies wäre notwendig gewesen, um die Erkrankung und eine zukünftig notwendige Behandlung festzustellen. Eine Behandlung sei für Frauen in Afghanistan nicht gewährleistet, weshalb der Revisionswerberin der Status der Asylberechtigten hätte zuerkannt werden müssen. Zudem fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob nicht schon alleine der Umstand, dass Frauen aus Afghanistan flüchten und in einem westlichen Land um Asyl ansuchen, Gefahr für Leib und Leben und Verfolgung nach ihrer Rückkehr bedeute.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision macht hinsichtlich der Schilddrüsenerkrankung der Revisionswerberin einen Verfahrensmangel geltend, weil das BVwG dazu kein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können (vgl. VwGH 18.11.2021, Ra 2021/18/0318, mwN). Die Revision zeigt nicht auf, dass die Einholung des begehrten Gutachtens im Sinne der dargestellten Rechtsgrundsätze entscheidungsrelevant gewesen wäre. Schon deshalb liegt darin kein revisibler Verfahrensmangel.
11 Die Ausführungen im Zulässigkeitsvorbringen der Revision dahingehend, dass den Länderberichten kritische Zugangsbedingungen von Frauen zu medizinischer Versorgung zu entnehmen seien, legen nicht dar, dass und weshalb allein dieser Umstand zu einer Asylgewährung an die Revisionswerberin hätte führen müssen. Der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde der Revisionswerberin ohnedies bereits vom BFA zuerkannt und war nicht mehr Gegenstand des weiteren Verfahrens.
12 Die Revision bringt darüber hinaus zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung dazu, ob für Frauen ein Asylantrag in einem westlichen Land die Gefahr einer Verfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan bedeute. Dieses Vorbringen wird erstmals in der Revision erstattet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung jedoch nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof fällt (vgl. VwGH 3.3.2022, Ra 2020/18/0463, mwN).
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher zurückzuweisen.
Wien, am 18. Juli 2022
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