European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140308.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberinnen sind Staatsangehörige Aserbaidschans. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der Zweit- und Drittrevisionswerberinnen. Sie stellte am 19. November 2019 für sich und ihre beiden Töchter Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und begründete diese im Wesentlichen damit, sie habe ihre christliche Religion nicht öffentlich ausleben können. Ihre Kinder seien gemobbt worden und hätten Schwierigkeiten bekommen, da sie kein Kopftuch getragen hätten.
2 Mit Bescheiden jeweils vom 18. Dezember 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge ab, erteilte den Revisionswerberinnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung, stellte jeweils fest, dass ihre Abschiebung nach Aserbaidschan zulässig sei, legte jeweils die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest und ordnete den Revisionswerberinnen gemäß § 15b AsylG 2005 an, in einem bestimmten Quartier Unterkunft zu nehmen.
3 Den dagegen erhobenen Beschwerden gab das Bundesverwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ insofern statt, als es die Anordnung der Unterkunftnahme ersatzlos behob. Im Übrigen wies es die Beschwerden als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Dagegen richten sich die vorliegenden Revisionen.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revisionen machen in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe keine Feststellungen über die Region bzw. den Heimatort der Revisionswerberinnen zur Frage der Mitgliedschaft der dortigen Bewohner zum Wahhabismus und zur Frage der Behandlung von Andersgläubigen getroffen. Zwar sei Aserbaidschan nach den Länderfeststellungen „auf dem Papier“ angeblich religiös tolerant, allerdings werde in denselben Länderfeststellungen das Bild einer intoleranten, christenfeindlichen Gesellschaft gezeichnet. Hätte das Bundesverwaltungsgericht ein ergänzendes Sachverständigengutachten zur Lage von Andersgläubigen in der Heimatregion der Revisionswerberinnen und zur Lage von Konvertiten, welche das Kopftuch ablehnten, eingeholt, wäre es zum Ergebnis gekommen, dass es keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben zu den Fluchtgründen der Revisionswerberinnen geben könne.
9 Mit diesem Vorbringen führen die Revisionen Verfahrensmängel ‑ hier Ermittlungsmängel und Feststellungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen. In diesem Fall muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Revisionswerberinnen günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 13.10.2022, Ra 2022/20/0287, mwN). Diesen Anforderungen werden die Revisionen nicht gerecht, weil sie es mit den bloß allgemein gehaltenen Ausführungen verabsäumen, konkret auszuführen, welche Tatsachenfeststellungen zu treffen gewesen wären und wieso sich daraus ein für die Revisionswerberinnen im Spruch günstigeres Ergebnis hätte ergeben können.
10 Zum Vorwurf, das Bundesverwaltungsgericht hätte ein ergänzendes Gutachten einholen müssen, bleibt festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 30.5.2022, Ra 2021/14/0396, mwN). Eine solche grob fehlerhafte Beurteilung vermögen die Revisionen nicht aufzuzeigen und ist diese angesichts der auf aktuellen Berichten beruhenden Länderfeststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Religionsfreiheit und den Folgen eines Religionswechsels vom Islam zum Christentum auch nicht zu erkennen.
11 Soweit sich die Revisionen weiters gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts ‑ zum Fluchtvorbringen und zur Religionsfreiheit ‑ wenden, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 5.10.2022, Ra 2022/14/0222 bis 0224, mwN).
12 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ mit dem Vorbringen der Revisionswerberinnen zu den Gründen ihrer Flucht ausführlich auseinander und gelangte im Rahmen einer schlüssigen Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass den Angaben der Erstrevisionswerberin zur vorgebrachten Verfolgung aufgrund näher dargelegter Widersprüche, Steigerungen und vager, nicht nachvollziehbarer sowie ausweichender Schilderungen die Glaubwürdigkeit zu versagen sei. Im Gesamten konnten die Revisionswerberinnen daher nicht aufzeigen, dass die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären.
13 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 23. November 2022
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