VwGH Ra 2022/06/0060

VwGHRa 2022/06/006025.5.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache der D K in A, vertreten durch Krall & Kühnl Rechtsanwälte und Strafverteidiger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Anton‑Melzer‑Straße 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 21. März 2022, LVwG‑2022/40/0351‑7, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Axams; weitere Partei: Tiroler Landesregierung; mitbeteiligte Partei: N GmbH & Co KG in I, vertreten durch Greiter Pegger Kofler & Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria‑Theresien‑Straße 24), den Beschluss gefasst:

Normen

BauO Tir 2018 §33 Abs3 lite
BauO Tir 2018 §6
BauO Tir 2018 §6 Abs4 litf
BauRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022060060.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde A. vom 22. Dezember 2021, womit der Mitbeteiligten die Baubewilligung für den Neubau eines Wohnhauses mit zwei getrennten Einheiten inklusive Büroräumlichkeiten, Carport, Schwimmbecken und Stützmauern auf näher genanntem Grundstück erteilt worden war, sowie ihre Beschwerde gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde A. vom 26. Jänner 2022, womit ihr Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 22. Dezember 2021 abgewiesen worden war, als unbegründet ab. Gleichzeitig sprach es aus, dass die Erhebung einer ordentlichen Revision nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Interesse ‑ aus, die Revisionswerberin sei Eigentümerin des näher bezeichneten Grundstücks, welches unmittelbar ostseitig an den Bauplatz angrenze. An der ostseitigen Außenwand des projektierten Bauvorhabens solle eine Treppe errichtet werden, die alle Ebenen des Bauwerks erschließe. Im südöstlichen Eckbereich rage die Treppenanlage 0,69 Meter in den Mindestabstandsbereich von vier Metern zum Grundstück der Revisionswerberin. Diese Treppenanlage, die die Verbindung zwischen der Ebene drei und der Ebene vier darstelle, sei mit einer massiven Deckenkonstruktion ausgestattet und solle zudem mit Erdreich (Schütthöhe zwischen zirka 0,30 und 0,50 Metern) überschüttet werden, sodass die Deckenkonstruktion und die Umfassungsbauteile der Treppenanlage sowohl vor als auch nach der Bauführung unter der Erde zu liegen kämen. Die Treppenanlage weise keine Fangmündung auf. Lediglich auf der Ebene zwei trete die zweiläufige Treppenanlage zwischen den Ebenen zwei und drei sowie die einläufige Treppenanlage zwischen den Ebenen eins und zwei und das Austrittspodest der Treppenanlage zwischen Ebene drei und vier wieder optisch und somit über dem Erdreich gelegen in Erscheinung, wobei sich diese Bereiche nicht mehr im Mindestabstandsbereich von vier Metern zum Grundstück der Revisionswerberin befänden, sondern einen Abstand zwischen 4,02 und 4,05 Metern zur Grundstücksgrenze aufwiesen. Der Zu- und Abgang vom Treppenlauf, der die Verbindung zwischen Ebene drei und vier darstelle, erfolge auf Ebene vier über den hier vorgesehenen Gartengeräteraum, der sich nicht im Mindestabstandsbereich von vier Metern zum Grundstück der Revisionswerberin befinde. Jene Teile, die in den Mindestabstandsbereich ragten (Podest und Treppenlauf), kämen sowohl vor als auch nach Bauführung unter der Erde zu liegen. Bei der Treppenanlage handle es sich um einen einheitlichen Bauteil, welcher von einem unterirdischen Bauteil in einen oberirdischen Bauteil übergehe. Im Abstandsbereich sei dieser Bauteil als unterirdisch zu betrachten und sobald er oberirdisch in Erscheinung trete, weise er einen Abstand von mehr als vier Metern zum angrenzenden Grundstück der Revisionswerberin auf.

6 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision zusammengefasst vor, es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vor, ob eine teilweise oberirdisch und teilweise unterirdisch geführte Treppenanlage als einheitliches Bauwerk zu beurteilen sei. Darüber hinaus habe das Verwaltungsgericht die bestehende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur TBO 1989 ignoriert, wonach es aus der Sicht des Nachbarschutzes nicht einzusehen sei, dass bei einer durch die Bauführung vorgenommenen Änderung der Höhenlage die für die Abstandsberechnung maßgebliche Höhe des Gebäudes an Hand der vor der Veränderung gegebenen Höhenlage berechnet werde (Hinweis auf VwGH 14.12.1995, 94/06/0203). Weiters fehle Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes eines „untergeordneten Bauteils“ einer Freitreppe. Zudem fehle es an gesicherter Rechtsprechung, ob durch eine in der Verhandlungsschrift protokollierte Verlesung von Verwaltungsakten, denen ein schwerwiegender Verfahrensmangel innewohne, dieser schwerwiegende Mangel behoben sei. Es habe auch keine Notwendigkeit der Verlesung bestanden, zumal entsprechende Beweise vom Verwaltungsgericht selbst ohne Schwierigkeiten in der mündlichen Verhandlung hätten aufgenommen werden können.

7 Mit dem in der Zulässigkeitsbegründung erstatteten Vorbringen wird keine Rechtsfrage dargelegt, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:

8 Wie sich aus § 33 Abs. 3 lit. e TBO 2018 ergibt, besteht ein subjektiv‑öffentliches Recht auf Einhaltung der Abstandsbestimmungen gemäß § 6 Tiroler Bauordnung 2018 (TBO 2018). Nach § 6 Abs. 4 lit. f TBO 2018 dürfen unterirdische bauliche Anlagen in die Mindestabstandsflächen von drei bzw vier Metern ragen, wenn sie in den Mindestabstandsflächen keine Fangmündungen aufweisen. Die TBO 2018 enthält keine Definition der Begriffe „oberirdisch“ und „unterirdisch“. Grundsätzlich ist bei der Beurteilung einer baulichen Anlage als „unterirdisch“ oder „oberirdisch“ vom allgemeinen Sprachgebrauch her davon auszugehen, dass maßgeblich ist, ob sich eine bauliche Anlage nach der Bauführung über dem Gelände oder unter dem Gelände befindet (vgl. VwGH 29.6.2000, 99/06/0018). Es kommt also grundsätzlich darauf an, ob sie auf der Erdoberfläche in Erscheinung treten und somit wahrnehmbar sind (vgl. VwGH 20.12.2005, 2003/05/0124; 5.3.2014, 2011/05/0135, mwN). Aus näher dargelegten Gründen des Nachbarschutzes hat es der Verwaltungsgerichtshof in seinem ‑ von der Revisionswerberin zitierten ‑ Erkenntnis vom 14. Dezember 1995, 94/06/0203, angesichts des maßgeblichen Abstellens des Tiroler Baurechtsgesetzgebers auf das Geländeniveau vor der Bauführung im Zusammenhang mit der Bauhöhe für die Qualifikation des Vorliegens einer oberirdischen baulichen Anlage auch als maßgeblich angesehen, ob die in Frage stehende bauliche Anlage über der gemäß § 7 Abs. 2 TBO 1989 maßgeblichen Höhenlage (nämlich dem Geländeniveau vor der Bauführung) gelegen ist. Vorliegend kommt die in den Mindestabstandsbereich zum Grundstück der Revisionswerberin hineinragende Treppenanlage samt Deckenkonstruktion nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sowohl vor als auch nach der Bauführung unter der Erde zu liegen. Dies gilt ebenso für den Zu- und Abgang vom Treppenlauf zwischen Ebene drei und vier, dessen Teile, die in den Mindestabstand ragen (Podest, Treppenlauf), ausgehend vom Geländeniveau vor und nach der Bauführung unter der Erde zu liegen kommen. Damit sind jene Bauteile, die in den Mindestabstand zum Grundstück der Revisionswerberin hineinragen, nach den dargestellten Grundsätzen auch schon im Hinblick auf das Geländeniveau vor der Bauführung als „unterirdisch“ zu qualifizieren. Von der in der Zulässigkeitsbegründung vorgebrachten Umgehung der Abstandsbestimmungen durch Veränderung des Geländes kann daher keine Rede sein.

9 Entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin ist fallbezogen für die Einhaltung des Mindestabstandes der ‑ nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts vor und nach der Bauführung ‑ oberirdisch in Erscheinung tretende Teil des Bauwerks maßgeblich (vgl. etwa neuerlich VwGH 14.12.1995, 94/06/0203; 29.6.2000, 99/06/0018; 21.11.2017, Ra 2017/05/0054; oder 26.2.2020, Ra 2019/05/0061, jeweils mwN). Jener Bauteil der Treppenanlage, der oberirdisch in Erscheinung tritt, ist nicht im Mindestabstandsbereich von vier Metern zum Grundstück der Revisionswerberin. Die Revision zeigt somit nicht auf, dass das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Einhaltung des Mindestabstandes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre.

10 Der von der Revisionswerberin aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die Treppenanlage als einheitliches Bauwerk zu qualifizieren sei, kommt im Hinblick auf die oben dargestellten Grundsätze keine Relevanz zu. Zur Klärung von bloß theoretischen Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht berufen (VwGH 1.8.2019, Ra 2019/06/0102 und 0103, mwN).

11 Ebensowenig kommt es auf die Qualifikation der vorliegenden Treppe als „untergeordneter Bauteil“ einer Freitreppe an, weil der oberirdisch in Erscheinung tretende Bauteil der Treppenanlage ohnedies nicht in den Mindestabstandsbereich von vier Metern ragt, sodass auch hier eine bloß theoretische Rechtsfrage vorliegt.

12 Im Übrigen ist festzuhalten, dass bei Verfahrensmängeln, wie die von der Revisionswerberin geltend gemachten (Verlesung von Verwaltungsakten, unterlassene Beweisaufnahme) schon in der Zulässigkeitsbegründung deren Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden muss. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 27.3.2019, Ra 2017/06/0005; 12.6.2019, Ra 2017/06/0030, jeweils mwN). Eine derartige Darstellung enthält die Zulässigkeitsbegründung nicht.

13 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

14 Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 25. Mai 2022

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