VwGH Ra 2022/01/0129

VwGHRa 2022/01/012920.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision des A G, in W, vertreten durch Mag. Johannes Maximilian Fouchs, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 18‑20/47, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2022, Zl. W105 2016203‑2/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
EURallg
StGB §17
32011L0095 Status-RL Art17 Abs1 litb
62017CJ0369 Ahmed VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010129.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 19. November 2014 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber auf Grund seines Antrags auf Gewährung von internationalem Schutz vom 24. Juni 2013 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine bis zum 19. November 2015 befristete Aufenthaltsberechtigung, die in der Folge jeweils verlängert wurde, zuletzt mit Bescheid vom 29. November 2019 bis 29. November 2021.

2 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. April 2021 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der versuchten Zwangsheirat nach §§ 15, 106a Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon drei Monate unbedingt, verurteilt. Mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 4. Februar 2022 wurde die Freiheitsstrafe auf 20 Monate erhöht, davon drei Monate unbedingt und die restlichen 17 Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

3 Mit Bescheid des BFA vom 26. November 2021 wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei, und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nicht zulässig sei.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Prüfung eines angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichts dem Revisionspunkt nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG entscheidende Bedeutung zu, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht des Revisionswerbers verletzt worden ist, sondern nur, ob jenes verletzt worden ist, dessen Verletzung der Revisionswerber behauptet. Durch den Revisionspunkt wird der Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gebunden ist. Wird der Revisionspunkt unmissverständlich ausgeführt, so ist er einer Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang der Revision nicht zugänglich (vgl. etwa VwGH 4.7.2022, Ra 2022/01/0182, Rn. 2, mwN).

9 Der Revisionswerber macht als Revisionspunkt ausschließlich die Verletzung in seinem subjektiven Recht auf Gewährung von subsidiären Schutz geltend, nicht jedoch auch in Bezug auf die Aussprüche über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die zwar rechtlich vom Ausspruch über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und im weiteren jeweils voneinander abhängen, aber rechtlich trennbar sind (vgl. etwa VwGH 25.7.2022, Ro 2022/01/0008, Rn. 9; 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 64, jeweils mwN).

10 Prozessgegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist somit ausschließlich die Entscheidung über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

11 Die Revision gründet ihre Zulässigkeit auf ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Bezug auf die im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung des Vorliegens einer Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005, wonach strafgerichtliche Verurteilungen eines Fremden darauf zu überprüfen seien, inwieweit sich aus der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände auf dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich schließen lasse.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA‑VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, sowie darauf Bezug nehmend aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 30.6.2022, Ra 2022/14/0140, Rn. 9, mwN).

13 Das Verwaltungsgericht stützte seine Entscheidung über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht nur auf § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 („Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich“), sondern durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die rechtskräftige Verurteilung des Revisionswerbers wegen des Verbrechens der versuchten Zwangsheirat nach §§ 15, 106a Abs. 1 StGB auch auf § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 auf die Prognose, ob weiterhin eine vom Fremden ausgehende Gefahr vorliegt, nicht an (vgl. VwGH 31.1.2022, Ra 2021/14/0345, Rn. 11, mwN).

14 Die Revision unterlässt es, zu dieser tragfähigen Alternativbegründung des Verwaltungsgerichts darzulegen, dass das Verwaltungsgericht von den Leitlinien der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA‑VG abgewichen wäre. Beruht ein angefochtenes Erkenntnis aber auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgezeigt, so ist die Revision unzulässig (vgl. VwGH 30.6.2022, Ra 2022/14/0140, Rn. 12; 24.5.2016, Ro 2015/01/0015, Rn. 12 f, jeweils mwN).

15 Das weitere Zulässigkeitsvorbringen zur Verhandlungspflicht bezieht sich auf näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen sowie die Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG, nicht jedoch auf die den Prozessgegenstand des Revisionsverfahrens bildende Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht allein darauf gestützt werden, dass der Revisionswerber wegen eines Verbrechens im Sinn des § 17 StGB (hier: versuchte Zwangsheirat nach §§ 15, 106a Abs. 1 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. November 2018, Ra 2018/18/0295, vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH vom 13. September 2018, Ahmed, C‑369/17, näher erläutert hat, ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 jedenfalls auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Bei dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung zu berücksichtigen. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch betont, dass der Zweck dieses Ausschlussgrundes darin besteht, jene Personen, die als des subsidiären Schutzes unwürdig anzusehen sind, von diesem Status auszuschließen (vgl. zu alldem VwGH 14.12.2021, Ra 2020/19/0067, Rn. 24 und 25, mwN).

17 Ein Abweichen des Verwaltungsgerichts von dieser Rechtsprechung legt die Revision fallbezogen nicht dar.

18 Vor diesem Hintergrund werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 20. September 2022

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