VwGH Ra 2021/20/0164

VwGHRa 2021/20/01647.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann-Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des K A in , vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Oktober 2020, W177 2126421‑1/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2 Z1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021200164.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 27. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 26. April 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht ‑ ohne Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Gemäß § 41 erster Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt (§ 42 Abs. 2 Z 2 und Z 3 VwGG), das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte (§ 28 Abs. 1Z 4 VwGG) bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2 VwGG) zu überprüfen. Somit sind Änderungen der Sach‑ und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren jedenfalls entzogen (vgl. etwa VwGH 12.1.2022, Ra 2021/20/0225; 20.12.2021, Ra 2021/20/0284, jeweils mwN).

8 Der Revisionswerber bringt vor, die seinen Verurteilungen zugrundeliegenden kriminellen Handlungen seien nicht derart schwerwiegend, dass sie eine ungleiche Behandlung seines Antrages auf internationalen Schutz im Gegensatz zu jenen seiner Familienangehörigen begründen würden. Dem ist zu entgegnen, dass gemäß § 34 Abs.2 Z 1 AsylG 2005 eine Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an einen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dass der Familienangehörige nicht straffällig geworden ist. Die Definition von Straffälligkeit im Sinne dieser Bestimmung ergibt sich aus § 2 Abs. 3 AsylG 2005 (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2019/19/0421, mwN). Die ‑ vor dem Hintergrund der festgestellten Verurteilungen des Revisionswerbers getätigten und ‑ darauf abstellenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts werden allerdings in der Revision gänzlich ausgeblendet.

9 Weiteres wendet sich der Revisionswerber zur Begründung der Zulässigkeit der Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und führt die schlechte wirtschaftliche Versorgungslage im Herkunftsstaat ins Treffen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 12.1.2022, Ra 2021/20/0225, mwN). Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 9.11.2021, Ra 2020/14/0450, mwN).

11 Zuerst ist festzuhalten, dass, auch wenn sich Aussagen doch an unterschiedlichen Stellen im angefochtenen Erkenntnis finden, das Bundesverwaltungsgericht ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nicht unberücksichtigt gelassen hat. Das Bundesverwaltungsgericht kam unter Berücksichtigung dieser und ausgehend von den festgestellten persönlichen Umständen des Revisionswerbers zu dem Schluss, dass es im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Kabul aufgrund des Bestehens eines sozialen Netzwerkes zu keiner Verletzung der dem Revisionswerber nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte käme. Dass diese Beurteilung unvertretbar wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

12 Zusätzlich behauptet der Revisionswerber Begründungsmängel hinsichtlich der unterbliebenen Berücksichtigung seiner psychischen Erkrankung.

13 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Begründungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 1.2.2022, Ra 2021/20/0419, mwN). Eine solch geforderte Relevanzdarlegung ist der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht zu entnehmen.

14 Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang auch vorbringt, kein soziales Netzwerk in Afghanistan vorzufinden und über keine relevante Berufserfahrung zu verfügen, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, weshalb schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, wenn sich das Zulässigkeitsvorbringen vom festgestellten Sachverhalt entfernt, VwGH 11.2.2021, Ra 2021/20/0017, mwN).

15 Vor dem Hintergrund, dass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts eine Rückkehr in den Heimatort keine Verletzung von Art. 3 EMRK zur Folge haben werde, kommt es auf die Alternativbegründung zur innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr an (vgl. VwGH 15.3.2021, Ra 2021/20/0043).

16 Schließlich macht der Revisionswerber geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei bei der Durchführung der Interessenabwägung im Rahmen der Rückkehrentscheidung von den vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebenen Leitlinien abgewichen. Es habe zum einen das Kindeswohl nicht hinreichend berücksichtigt sowie zum anderen nicht ausreichend miteinbezogen, dass sich die Verurteilungen des Revisionswerbers auf dessen psychischer Erkrankung gründen würden und bei diesem eine Persönlichkeitsveränderung eingesetzt habe. Nur schwerwiegende kriminelle Handlungen könnten eine Trennung von Familienangehörigen rechtfertigen.

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 15.3.2022, Ra 2022/20/0045, mwN).

18 Eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, wird in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. VwGH 21.2.2022, Ra 2021/14/0335, mwN).

19 Soweit der Revisionswerber eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohls geltend macht, unterlässt er zum einen konkrete Ausführungen dazu. Auch sonst ist anhand der Ausführungen in der Revision‑ insbesondere vor dem Hintergrund der (nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts mehrfach gegen seine Ehefrau gerichteten) strafbaren Handlungen des Revisionswerbers und der gegen ihn ergangenen Verurteilungen ‑ nicht zu sehen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung mit vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mängeln behaftet wäre.

20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 7. November 2022

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte