VwGH Ra 2021/19/0338

VwGHRa 2021/19/033826.4.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des Z S, vertreten durch Mag. Dr. Marlies Folger, Rechtsanwältin in 8530 Deutschlandsberg, Schulgasse 27/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. August 2021, W262 2167079‑1/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

AsylG 2005 §11
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190338.L00

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 28. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, seinen Herkunftsstaat wegen den Taliban verlassen zu haben.

2 Mit Bescheid vom 18. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom 4. August 2021 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Begründend hielt das BVwG fest, dass sich das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers aus näher dargestellten Gründen als nicht glaubhaft erweise, weshalb ihm kein Asyl zu gewähren sei. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber sei eine Rückkehr in seine Heimatregion auf Grund der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage und der unsicheren Erreichbarkeit nicht möglich. Es ging jedoch von der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar‑e Sharif aus. Diese Einschätzung traf das BVwG auf Grundlage des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 11. Juni 2021.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu I.:

7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zwar vor, dass dem Revisionswerber auf Grund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan Asyl hätte zuerkannt werden müssen. Es finden sich im Zulassungsvorbringen jedoch keine konkreten Ausführungen hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten. Insbesondere wird nicht dargelegt, inwieweit ‑ entgegen der Beurteilung des BVwG ‑ auf Grund der aktuellen Ereignisse in Afghanistan eine geänderte Beurteilung Platz greifen müsste.

Die Revision war daher in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als unzulässig zurückzuweisen.

Zu II.:

8 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit weiters vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es trotz der zum Entscheidungszeitpunkt amtsbekannten, volatilen Lage in Afghanistan seine Einschätzung hinsichtlich einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative auf nicht ausreichend aktuelle Länderberichte gestützt habe.

9 Die Revision ist insoweit zulässig und auch begründet.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. etwa VwGH 15.11.2021, Ra 2021/20/0373, mwN).

11 Das BVwG hat seine Feststellungen zur Situation in Afghanistan (und damit auch dazu, dass dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar‑e Sharif zumutbar sei) im angefochtenen Erkenntnis vom 4. August 2021 auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 11. Juni 2021 gestützt.

12 Der Revisionswerber verweist zu Recht darauf, dass das BVwG im Fall der Berücksichtigung aktueller ‑ im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses auch dem BVwG zugänglicher ‑ Berichte (im Besonderen lagen im Entscheidungszeitpunkt bereits diverse weitere, auf aktuelle Ereignisse in Afghanistan Bezug nehmende Informationen der Staatendokumentation vor; vgl. etwa die von ihr herausgegebenen Kurzinformationen vom 19. Juli 2021 und vom 2. August 2021) zu anderen Feststellungen und auf Grund dieser auch zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte kommen können (vgl. dazu VwGH 24.1.2022, Ra 2021/20/0367, siehe aber auch VwGH 18.11.2021, Ra 2021/18/0286, sowie VfGH 30.9.2021, E 3445/2021, und VfGH 16.12.2021, E 4227/2021).

13 Schon deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung in Bezug auf die Frage, ob dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Auf das weitere Vorbringen in der Revision war sohin nicht mehr einzugehen.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG ‑ im übrigen Umfang, weil die rechtlich von der Verweigerung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren ‑ aufzuheben.

15 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es den in der genannten Verordnung festgelegten Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand übersteigt und die Umsatzsteuer darin enthalten ist (vgl. VwGH 27.6.2019, Ra 2019/14/0138, mwN).

Wien, am 26. April 2022

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