VwGH Ra 2021/11/0014

VwGHRa 2021/11/001427.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofrätin Mag. Hainz‑Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des O Ü, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 3. Dezember 2020, Zl. LVwG‑411‑66/2020‑R20, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Dornbirn), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
FSG 1997 §24 Abs1 Z1
FSG 1997 §25
FSG 1997 §7
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021110014.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis entzog das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg, in Bestätigung eines Bescheides der belangten Behörde vom 14. Oktober 2020, dem Revisionswerber gemäß §§ 24 Abs. 1 Z 17 Abs. 1 und Abs. 3 Z 9 sowie 25 Abs. 1 und 3 FSG die Lenkberechtigung für näher genannte Klassen für die Dauer von drei Jahren und neun Monaten, gerechnet ab Zustellung des genannten Bescheides. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

2 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei mit rechtskräftigem Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 3. September 2020 wegen des am 23. August 2019 begangenen Deliktes der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Der Revisionswerber habe einer anderen Person eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, indem er ihr mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von neun Zentimeter zumindest einen Schnitt in der Beugeseite des rechten Unterarms sowie eine Stich in die linke äußere Gesäßhälfte und einen Stich in den linken Oberbauch versetzt habe, wodurch der Betroffene näher beschriebene Verletzungen erlitten habe. Der Revisionswerber sei wegen drei anderer Delikte einschlägig vorbestraft.

3 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, infolge der Begehung des Deliktes nach § 87 Abs. 1 StGB liege die bestimmte Tatsache des § 7 Abs. 3 Z 9 FSG vor. Diese setze einen Zusammenhang mit einem Verhalten im Straßenverkehr nicht voraus. Bei der Wertung dieser Tatsache sei der außergewöhnlich hohe Grad an Verwerflichkeit der Tat zu berücksichtigen. Der Revisionswerber habe ein unbewaffnetes und wehrloses Opfer mit einer Waffe absichtlich schwer verletzt. Dieses Verhalten zeichne sich durch eine besonders hohe Aggressivität und das begangene Delikt durch einen besonders hohen Grad an Brutalität aus. Auf Grund der einschlägigen Vorstrafen sei davon auszugehen, dass beim Revisionswerber insgesamt eine deutlich erhöhte Gewaltbereitschaft vorliege. Beim Revisionswerber sei von einer besonders ausgeprägten Unfähigkeit zur Einschätzung von Gefahren, die mit dem eigenen Handeln verbunden seien, auszugehen. Der Revisionswerber habe den ganz überwiegenden Teil der seither verstrichenen Zeit in Haft verbracht, sodass ein allfälliges Wohlverhalten, welches auch nicht dargetan worden sei, während dieser Zeit nicht ausschlaggebend sei. Der Revisionswerber habe durch seine Tat zu erkennen gegeben, dass er in Konfliktsituationen äußerst aggressiv, völlig unverhältnismäßig und sehr gefährlich reagiere. Sein Verhalten lasse darauf schließen, dass von seiner Teilnahme am Straßenverkehr ein erhebliches Gefahrenpotenzial für andere Verkehrsteilnehmer ausgehe.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit zunächst geltend, die Entziehungsdauer von drei Jahren und neun Monaten sei „unbegründet, unangemessen und damit auch willkürlich“.

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung nach dem Gesetz eine begründete Prognose über die Dauer des Mangels der Verkehrsunzuverlässigkeit des von der Maßnahme Betroffenen widerzuspiegeln, weil die Entziehung der Lenkberechtigung nur für einen solchen Zeitraum zulässig und geboten ist, für den schlüssig begründet werden kann, dass auf Grund bestimmter Tatsachen im Sinne des § 7 FSG der Betreffende nicht verkehrszuverlässig ist (vgl. etwa VwGH 23.2.2011, 2010/11/0142, mwN)

10 Bei der danach zu treffenden Entscheidung handelt es sich um das Ergebnis einer Gesamtabwägung unterschiedlicher, allenfalls gegenläufiger Faktoren, das damit entscheidend von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht erfolgreich mit Revision bekämpfbar (vgl. VwGH 17.3.2022, Ra 2021/11/0059, mwN).

11 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung die rechtskräftige Verurteilung des Revisionswerbers wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 87 Abs. 1 StGB zu Grunde, wodurch der Revisionswerber die bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z 9 FSG verwirklichte, und stützte seine Prognose auf die besondere Verwerflichkeit der Tat, welche es mit den dem Strafurteil zu Grunde liegenden (im angefochtenen Erkenntnis festgestellten) Umständen begründete, sowie auf einschlägige Vorstrafen. Die Revision legt mit ihrem bloß rudimentären Vorbringen nicht dar, dass und von welchen Leitlinien der hg. Rechtsprechung das Verwaltungsgericht fallbezogen abgewichen wäre.

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiters vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt, obwohl der Revisionswerber eine solche beantragt habe. „Die belangte Behörde“ hätte sich vom Gesinnungswandel des Revisionswerbers, welcher das Unrecht seiner Tat einsehe und sich mit der Straftat auseinandergesetzt habe, bei der mündlichen Verhandlung überzeugen können.

13 Auch damit legt die Revision keine Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B‑VG dar.

14 Die Entscheidung über eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung stellt im Lichte des Urteils des EGMR vom 11. Juni 2015, Becker gegen Österreich, Nr. 19.844/08, eine solche über „civil rights“ iSd. Art. 6 Abs. 1 EMRK dar (vgl. VwGH 14.11.2018, Ra 2018/11/0199, mwN). Davon ausgehend hat der EGMR in diesem Urteil (Rn. 39 bis 41) ‑ fallbezogen (es ging dort um die Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verweigerung der Atemalkoholuntersuchung) ‑ die Durchführung einer (beantragten) mündlichen Verhandlung gemäß Art. 6 EMRK für erforderlich erachtet, weil es dort im Hinblick auf die beantragte Anhörung von Zeugen und die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens um Tatsachenfragen (questions of fact) ging und keine ausnahmsweisen Gründe für ein Absehen von der Verhandlung gegeben gewesen seien.

15 Im Revisionsfall waren die Tatsachenfeststellungen in Bezug auf die strafbare Handlung unstrittig und mangels diesbezüglichen Vorbringens des Revisionswerbers in der Beschwerde oder sonst im Verfahren Fragen der Beweiswürdigung nicht zu klären. Angesichts dessen war eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Erörterung (vgl. zu diesem Aspekt VwGH 16.11.2015, Ra 2015/11/0091) nicht zu erwarten. Dass beim Revisionswerber ein „Gesinnungswandel“ eingetreten sei, wurde erstmals in der Revision behauptet.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 27. Juni 2022

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