VwGH Ra 2021/10/0005

VwGHRa 2021/10/000529.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Derfler, über die Revision der Landesumweltanwaltschaft Salzburg gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 29. Oktober 2020, Zl. 405‑1/541/1/6‑2020, betreffend eine nationalparkrechtliche Ausnahmebewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Salzburger Landesregierung, Nationalparkverwaltung Hohe Tauern, in 5730 Mittersill, Gerlos Straße 18; mitbeteiligte Partei: A S in S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56
EURallg
NationalparkG Slbg 2014
NationalparkG Slbg 2014 §14
NationalparkG Slbg 2014 §14 Abs1 Z2
NationalparkG Slbg 2014 §14 Abs2
NationalparkG Slbg 2014 §2 Z2
NationalparkG Slbg 2014 §44
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg
31992L0043 FFH-RL
31992L0043 FFH-RL Art6 Abs3
62002CJ0127 Waddenvereniging and Vogelsbeschermingvereniging VORAB
62004CJ0239 Kommission / Portugal
62010CJ0043 Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias VORAB
62019CJ0254 Friends of the Irish Environment VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021100005.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. Juni 2020 wurde der mitbeteiligten Partei eine nationalparkrechtliche Ausnahmebewilligung für die Durchführung von einmal jährlich wiederkehrenden Hubschrauber‑Transportflügen im Ausmaß von maximal 17 Rotationen an einem (einzigen) Flugtag innerhalb des Flugzeitraums 26. Februar bis 15. März zu einer näher bezeichneten Hütte, dem dazugehörigen Wasserkraftwerk und der Talstation der Materialseilbahn in der Kern‑ und Außenzone des Nationalparks Hohe Tauern für eine Laufzeit von sieben Jahren (2021 bis 2027) unter Auflagen erteilt.

2 Neben der Festlegung des Zweckes, räumlicher Beschränkungen, Meldepflichten und weiterer Verpflichtungen wurden auch zeitliche Befristungen sowie Beschränkungen hinsichtlich der Flugzeiten festgelegt. Zudem wurde auch folgender „Vorbehalt späterer Vorschreibungen (§ 14 Abs. 2 S.NPG)“ ausgesprochen:

„Da eine endgültige Beurteilung einzelner Auswirkungen des beantragten Vorhabens, insbesondere der Folgejahre zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich ist, wird die Bewilligung unter dem Vorbehalt späterer Vorschreibungen erteilt.“

Dieser Vorbehalt wird damit begründet, dass damit auf etwaige Auswirkungen des Vorhabens auf die Schutz‑ und Erhaltungsziele, insbesondere in den Folgejahren, und auf kumulative Effekte in Verbindung mit allfälligen anderen erforderlichen Hubschrauber‑Flügen reagiert werden könne.

3 Gegen diesen Bescheid erhob die nunmehrige Revisionswerberin Beschwerde, in der sie im Wesentlichen vorbrachte, die beantragten Hubschrauberflüge seien aufgrund ihrer (näher angeführten) potenziell erheblichen Auswirkungen auf Schutzgüter des Europaschutzgebietes jedenfalls einer Prüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 der Fauna‑Flora‑Habitat‑Richtlinie (FFH‑RL) zu unterziehen, welche im gegenständlichen Verfahren unionsrechtswidrig nicht durchgeführt worden sei. Zudem sei die Erteilung einer mehrjährigen Bewilligung zukünftiger Maßnahmen aufgrund fehlender Beurteilungsgrundlagen und ungewisser Auswirkungen unzulässig und werde dabei die in der FFH‑RL vorgesehene Verträglichkeitsprüfung für die Beurteilungsjahre 2021 bis 2027 umgangen.

4 Diese Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) mit den angefochtenen Erkenntnis vom 29. Oktober 2020 ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ u.a. mit der Maßgabe ab, dass die Bewilligung für maximal 15 (statt 17) Rotationen am jeweiligen Flugtag erteilt werde. Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG sei nicht zulässig.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Ziele der mit der gegenständlichen Ausnahmebewilligung beantragten Flüge befänden sich im Nationalpark Hohe Tauern, welcher ein ausgewiesenes Natura 2000‑Gebiet sei. Die Auswirkungen auf den Naturhaushalt in Bezug auf die im Gutachten angeführten richtliniengeschützten Tierarten seien unmittelbar spürbar (z.B. Verhaltensänderungen, Herzschlagrate) sowie längerfristig (z.B. Ausweichen in andere Lebensräume). Generell seien die Auswirkungen von Hubschrauberflügen naturschutzfachlich negativ zu bewerten und nur mit der Vorschreibung von Fristen und Auflagen mit der Begrenzung auf das unbedingt notwendige zeitliche und räumliche Minimum überhaupt bewilligungsfähig. Die sowohl die Kernzone als auch die Außenzone betreffenden Transportflüge würden sich auf einen eintägigen Einsatz zu Beginn der Saison, nämlich Ende Februar / Anfang März, beschränken.

6 Durch Auflagen und Befristungen sowie bei Einhaltung der Mindestabstände von zehn Tagen zwischen (Anmerkung: gemäß Auflage 5 mit anderen, von der vorliegenden Genehmigung unabhängigen Transportflügen im gleichen Tal zu koordinierenden) Einsatztagen könnten jedoch sowohl die Auswirkungen auf die Wildtiere als auch auf die Besucher derart minimiert werden, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen der Schutz‑ und Erhaltungsziele des Nationalparks Hohe Tauern zu erwarten seien. Das Tötungsrisiko von Tieren sei im Vergleich zum allgemeinen Tötungsrisiko im Naturgeschehen nicht signifikant höher. Auch werde sich die Anzahl der die Population bildenden Individuen nicht merklich verkleinern.

7 Zum Einwand der Unionsrechtswidrigkeit führte das Verwaltungsgericht aus, im gegenständlichen Fall sei als rechtliche und fachliche Beurteilungsgrundlage die geltende Bestimmung des § 14 Salzburger Nationalparkgesetz (S.NPG) und nicht das Verfahrensregime der FFH‑RL mit „Screening“ alias „Vorprüfungsverfahren“ und „Naturverträglichkeitsverfahren“, ähnlich einem UVP‑Genehmigungsverfahren, relevant. Mit § 14 S.NPG sei die Umsetzung der FFH‑RL erfolgt; gemäß Abs. 1 Z 2 leg. cit. sei jedenfalls eine Verträglichkeitsprüfung im Hinblick auf eine erhebliche Beeinträchtigung der in § 2 Z 2 S.NPG näher definierten Erhaltungsziele durchzuführen.

8 Die behauptete Umgehung einer Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH‑RL liege schon deshalb nicht vor, da bei einer Feststellung, dass die geplante Maßnahme dem Schutzziel im Sinne des § 2 Z 1 S.NPG widerspreche oder eine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele gemäß § 2 Z 2 leg. cit. erwarten lasse, die Bewilligung versagt werden müsse. Bei einem negativen Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung gemäß § 14 Abs. 1 Z 2 S.NPG könne keine Bewilligung erteilt werden.

9 Die belangte Behörde habe zudem von der gesetzlich bestehenden Möglichkeit des Vorbehalts späterer Vorschreibungen Gebrauch gemacht. Diese sei aufgrund der expliziten Erwähnung von Rotationen in den Erläuterungen zur Novelle LGBl. Nr. 67/2019 des S.NPG offenbar für diese Fälle (auch) im nationalparkrechtlichen Bewilligungsverfahren vom Salzburger Landesgesetzgeber geschaffen worden und decke genau die möglichen Unwägbarkeiten (Kumulationen) bei der Erteilung mehrjähriger Bewilligungen für wiederkehrende Tätigkeiten ab. Damit könne auf Entwicklungen in der Natur einerseits (Änderung der Flugroute, tageszeitliche Beschränkungen, Änderung des Zeitraumes etc.) bzw. auf kumulative Effekte (andere Flüge im O.‑Tal) andererseits reagiert werden. Die nationalparkfachliche Amtssachverständige habe ausschließlich zur Begründung der Empfehlung der Aufnahme dieses Vorbehalts in den Bewilligungsbescheid im Gutachten ausgeführt, dass eine endgültige Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich sei. Eine grundsätzliche Beurteilung im Hinblick auf die Genehmigungsfähigkeit für die beantragten sieben Jahre sei jedoch erfolgt.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte. Die mitbeteiligte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung wirft die Revisionswerberin zusammengefasst u.a. die Rechtsfrage auf, ob es zulässig sei, auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 und 2 S.NPG eine mehrjährige nationalparkrechtliche Bewilligung unter einem Auflagenvorbehalt zu erteilen, im Rahmen dessen zu einem späteren Zeitpunkt ‑ nämlich jährlich anlässlich der Voranmeldung der Flüge bei der Behörde ‑ neuerlich de facto die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens geprüft werde.

12 Die Revision erweist sich im Hinblick darauf als zulässig. Sie ist auch im Ergebnis begründet.

13 Voranzustellen ist, dass der fallbezogen ausgesprochene „Vorbehalt späterer Vorschreibungen“ mit der Erteilung der Genehmigung eine untrennbare Einheit bildet, weil nach der ständigen hg. Judikatur die Anfechtung von Nebenbestimmungen eines Bescheides, wenn die Nebenbestimmungen mit dem Hauptinhalt des Spruches eine untrennbare Einheit bilden, den gesamten Bescheid erfasst. Eine Bewilligung und die mit ihr verbundene Nebenbestimmung sind als untrennbare Einheit zu behandeln, wenn die Bewilligung ohne die betreffende Nebenbestimmung nicht erteilt werden dürfte und dementsprechend von der Behörde auch nicht erteilt worden wäre (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG‑-Kommentar, Rz 21 zu § 59 und die dort zitierte hg. Judikatur, vgl. auch VwGH 27.3.2014, 2013/10/0139).

14 Die maßgeblichen Bestimmungen des Salzburger Nationalparkgesetzes 2014 (S.NPG), LGBl. Nr. 3/2015 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 67/2019, lauten:

„Zielsetzung

§ 2

Dieses Gesetz dient folgenden Zielen:

1. Schutzziel:

a) Das Gebiet des Nationalparks ist in seiner Schönheit und Ursprünglichkeit zu erhalten.

b) Die für das Gebiet charakteristischen Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensräume sind zu bewahren. Die naturnahe Kulturlandschaft ist zur Sicherung der Biodiversität nachhaltig zu sichern.

c) Der Nationalpark soll einem möglichst großen Kreis von Menschen ein eindrucksvolles Naturerlebnis ermöglichen.

Im Bereich der Kernzonen und der Sonderschutzgebiete des Nationalparks Hohe Tauern haben die beiden zuerst genannten Schutzziele den Vorrang vor dem in der lit c enthaltenen Schutzziel.

2. Erhaltungsziel: Für folgende Arten und Lebensräume ist ein günstiger Erhaltungszustand zu bewahren oder wiederherzustellen:

a) für die im Anhang II der Fauna‑Flora‑Habitat‑Richtlinie genannten Tier‑ und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse sowie für die Vogelarten des Anhanges I der Vogelschutz‑Richtlinie und für Zugvogelarten;

b) für die im Anhang I der Fauna‑Flora‑Habitat‑Richtlinie genannten natürlichen Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse sowie

c) für die Lebensräume von wildlebenden Vogelarten des Anhanges I der Vogelschutz‑Richtlinie und der Rastplätze, Vermehrungs‑, Mauser‑ und Überwinterungsgebiete von Zugvogelarten unter besonderer Berücksichtigung der international bedeutsamen Feuchtgebiete.

[...]

3. Bildungsziel: Der Nationalpark als Einrichtung zur Umweltbildung soll zur Bewusstseinsbildung über die mit der Erklärung zum Nationalpark verfolgten Ziele, über die Nationalparkidee im Allgemeinen und über den schonenden und nachhaltigen Umgang mit der Natur und den natürlichen Ressourcen beitragen.

[...]

2. Unterabschnitt

Bewilligungen

Bewilligungsvoraussetzungen, Verträglichkeitsprüfung

§ 14

(1) Bewilligungen nach diesem Gesetz können nur erteilt werden, wenn

1. die geplante Maßnahme dem Schutzziel (§ 2 Z 1) nicht widerspricht;

2. durch die geplante Maßnahme keine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele gemäß § 2 Z 2 zu erwarten ist (Verträglichkeitsprüfung) und

3. der angestrebte Zweck nicht auf andere, wirtschaftlich vertretbare Art und Weise erreicht werden kann, die keine oder jedenfalls eine geringere Beeinträchtigung der Zielsetzung gemäß § 2 Z 1 und 2 mit sich bringt.

(2) Bewilligungen können auch entsprechend der Zielsetzung des Nationalparks unter Auflagen, Bedingungen oder befristet erteilt werden. Ist eine endgültige Beurteilung einzelner Auswirkungen des beantragten Vorhabens zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nicht möglich, das Vorhaben jedoch grundsätzlich nicht in Frage gestellt, kann die Behörde die Bewilligung auch unter dem Vorbehalt späterer Vorschreibungen erteilen.

[...]

Umsetzungshinweis

§ 44

Dieses Gesetz dient der Umsetzung folgender Rechtsakte der Europäischen Union:

1. Fauna‑Flora‑Habitat‑Richtlinie: Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen ABl 1992 Nr L 206, S. 7, in der Fassung der Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien, ABl Nr L 158 vom 10. Juni 2013.

2. [...]“

15 Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ‑ FFH‑RL (in der Rechtsprechung des EuGH auch: „Habitatrichtlinie“) lautet:

Artikel 6

[...]

(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, daß das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

[...]“

16 Die Revisionswerberin bestreitet ‑ nach Ausführungen zu unionsrechtswidrigem Vorgehen ‑ das Vorliegen der Genehmigungsfähigkeit des Projekts im Entscheidungszeitpunkt. Die grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit sei nämlich gar nicht geprüft, sondern nur behauptet worden. Es könnten die für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit erforderlichen Felderhebungen zur Feststellung, ob sich zum Zeitpunkt des Fluggeschehens besonders störungssensible Arten (wie z.B. der Bartgeier) während ihrer Brut im von den Flugbewegungen betroffenen O.‑Tal aufhielten, gerade nicht über den gesamten Bewilligungszeitraum erfolgen. Mit der Vorschreibung des Vorbehaltes späterer Vorschreibungen solle die Prüfung der Genehmigungsfähigkeit auf einen späteren Zeitpunkt, nämlich jährlich auf den Zeitpunkt der Voranmeldung der Flüge bei der Behörde, verlagert werden. Erst dann könne fachlich in der Natur beurteilt werden, ob Flüge zulässig seien oder nicht. Die Durchführung späterer Vorschreibungen sei aber ein amtswegiges Verfahren im Ermessen der Behörde; ein Rechtsanspruch einer Partei bestehe nicht. Das S.NPG biete auch gar keine Grundlage für die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgangsweise. Der Zweck der Regelung sei nicht, von vornherein fehlerhafte ‑ weil im Ermittlungsverfahren unvollständige ‑ Bescheide zu sanieren oder ein System von Grundsatz‑ und Detailgenehmigung aufzubauen. Dies widerspreche zudem Artikel 6 Abs. 3 FFH‑RL, wonach eine Prüfung der Verträglichkeit und damit der Genehmigungsfähigkeit immer durchgeführt werden müsse, bevor die zuständige Behörde entscheide (Hinweis auf EuGH 7.9.2004, Waddenzee, C‑127/02, Rn 42). Mit der im angefochtenen Erkenntnis vorgenommenen Regelung würde der Prüfzeitpunkt aber in die Zukunft, auf einen Zeitpunkt nach Erteilung einer Grundsatzbewilligung, verschoben. Bei Beachtung der Anforderungen des Unionsrechts hätte das Verwaltungsgericht zu dem Schluss kommen müssen, dass die vorzunehmende Beurteilung einer zeitnahen Befundung und Beurteilung des Sachverhaltes bedürfe, sodass im zeitlichen Zusammenhang zwischen Eiablage der betroffenen Arten und dem Flugzeitfenster eine Beurteilung der Erheblichkeit möglich werde. Eine solche Beurteilung könne daher nicht über Jahre im Voraus erfolgen, sondern immer nur im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem aktuellen Naturgeschehen.

17 Wie bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt wurde, ist sowohl dem S.NPG selbst in seinem Umsetzungshinweis in § 44 als auch den diesbezüglichen Materialien zu entnehmen, dass mit den Bestimmungen des S.NPG die Umsetzung der FFH‑RL erfolgt ist. § 14 Abs. 1 Z 2 S.NPG beruht auf Art. 6 Abs. 3 der FFH‑RL, weshalb diese Bestimmung im Sinn des Erfordernisses einer richtlinienkonformen Interpretation unter Bedachtnahme auf ihre unionsrechtliche Grundlage auszulegen ist (vgl. VwGH 17.11.2015, Ra 2015/03/0058; 25.1.2021, Ra 2018/04/0179, Ra 2019/04/0111‑0112; vgl. in diesem Sinn auch VwGH 11.12.2013, 2012/04/0127).

18 Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) setzt eine Verträglichkeitsprüfung voraus, dass unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sämtliche Gesichtspunkte des Planes oder des Projektes zu ermitteln sind, die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen oder Projekten diese Ziele beeinträchtigen könnten. Die Genehmigung des zu beurteilenden Planes oder Projektes kann nur unter der Voraussetzung erteilt werden, dass die zuständigen nationalen Behörden Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich der Plan oder das Projekt nicht nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirkt. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt (vgl. EuGH 7.9.2004, Waddenzee, C‑127/02, Rn 54 ‑ 57; 26.10.2006, Castro verde, C‑239/04, Rn 20; 11.9.2012, Acheloos, C‑43/10, Rn 112; 9.9.2020, Friends of the Irish Environment Limited, C‑254/19, Rn 52).

19 Vor diesem Hintergrund ist § 14 S.NPG auszulegen:

Um eine nationalparkrechtliche Genehmigung zu erhalten, darf nach § 14 Abs. 1 Z 2 S.NPG durch die geplante Maßnahme keine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele gemäß § 2 Z 2 zu erwarten sein, wobei diese zu verneinende Erwartbarkeit im Sinn der Judikatur des EuGH als Nichtvorliegen eines vernünftigen Zweifels zu verstehen ist. Gemäß § 14 Abs. 2 leg. cit. können Bewilligungen auch entsprechend der Zielsetzung des Nationalparks unter Auflagen, Bedingungen oder befristet erteilt werden. Wenn eine endgültige Beurteilung einzelner Auswirkungen des beantragten Vorhabens zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nicht möglich ist, das Vorhaben jedoch grundsätzlich nicht in Frage gestellt ist, kann die Behörde die Bewilligung auch unter dem Vorbehalt späterer Vorschreibungen erteilen.

20 Voraussetzung für eine Genehmigung ist daher jedenfalls, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele gemäß § 2 Z 2 S.NPG nicht zu erwarten ist. Auch der Vorbehalt späterer Vorschreibungen vermag an dieser Voraussetzung nichts zu ändern, weil auch für den Ausspruch dieses Vorbehalts das Vorhaben nicht grundsätzlich in Frage gestellt sein darf. Dies bedeutet, dass die fehlende endgültige Beurteilbarkeit einzelner Auswirkungen des beantragten Vorhabens, die Voraussetzung für den Vorbehalt späterer Vorschreibungen ist, keinen Einfluss auf die Genehmigungsvoraussetzung, dass keine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zu erwarten ist, hat. Nur wenn die endgültige Beurteilung einzelner Auswirkungen des beantragten Vorhabens im Entscheidungszeitpunkt nicht möglich ist, aber dennoch kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass keine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zu erwarten ist, eröffnet § 14 Abs. 2 S.NPG die Möglichkeit des Vorbehalts weiterer Vorschreibungen. Der Vorbehalt weiterer Vorschreibungen ist weiters nur möglich, wenn einzelne Auswirkungen des Vorhabens nicht beurteilbar sind, nicht aber, wenn einzelne Naturgegebenheiten, die eine Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung der Auswirkungen des Vorhabens bilden, unbekannt sind.

21 Der Revisionswerberin ist somit zuzustimmen, dass der Vorbehalt nachträglicher Vorschreibungen nach § 14 Abs. 2 S.NPG das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung nicht zu ersetzen vermag.

22 Für die vorliegende Rechtssache ist daher entscheidend, ob die der siebenjährigen Genehmigung zur Durchführung von Hubschrauber‑Transportflügen im Nationalpark Hohe Tauern zugrunde gelegten Entscheidungsgrundlagen den Schluss zulassen, dass über die gesamte Genehmigungsdauer keine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Nationalparks zu erwarten ist.

23 Das Verwaltungsgericht stützt sich hinsichtlich der Beurteilung der Beeinträchtigung der Erhaltungsziele zentral auf das schriftliche Gutachten der nationalparkfachlichen Amtssachverständigen Mag. B. vom 24. März 2020 sowie auf die in der Beschwerdeverhandlung vom 8. Oktober 2020 erstatteten mündlichen Ausführungen des naturschutzfachlichen Amtssachverständigen DI L. Von der Sachverständigen seien in einem ausführlichen Befund die Situation beschrieben und die relevanten Schutzgüter vollständig beurteilt worden. Danach sei das Ansuchen für den siebenjährigen Geltungszeitraum beurteilbar; die Aussage der Sachverständigen über die „nicht endgültige Beurteilbarkeit“ der Auswirkungen auf die Schutz‑ und Erhaltungsziele für die Jahre 2021 bis 2027 sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichts ausschließlich im Kontext mit dem vorgeschlagenen Vorschreibungsvorbehalt zu sehen, was auch vom Amtssachverständigen in der Beschwerdeverhandlung bestätigt worden sei.

24 Das nationalparkfachliche Gutachten geht dabei davon aus, dass der Zeitraum Winter bis Frühsommer für felsenbrütende Vogelarten die sensibelste Zeit sei. Die bis dato bekannten Bartgeierpaare würden mit großer Wahrscheinlichkeit 2021 und in den Folgejahren wieder in R. sowie im Bereich K. (Kärnten) und im G.‑Tal bzw. in P. (Osttirol) brüten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne dies jedoch nicht mit Sicherheit angegeben werden, da der Zeitpunkt der Eiablage in den Zeitraum zwischen Ende Dezember / Ende Februar falle. Deshalb sollte in diesen bekannten und den potenziell geeigneten Bereichen absolute Ruhe herrschen, damit mögliche Freilandbruten des Bartgeiers sowohl innerhalb des Schutzgebietes als auch im Bereich seines Vorfeldes nicht gefährdet würden. Der Spätwinter bis Frühsommer zähle auch bei den Steinadlern zur sensibelsten Zeit. Die Eiablage erfolge bei den Steinadlern im Zeitraum März/April. Störungen während der Brut- und Aufzuchtzeit, bis die Jungen flügge seien, wirkten sich negativ auf den Bruterfolg dieser geschützten Tiere aus. Bei häufigem Auftreten von Störereignissen könne keine erfolgreiche Brut stattfinden, diese wiederholten Störungen könnten bis zu direkten Lebensraumverlusten für einzelne Arten führen. Bartgeier, Steinadler und Wanderfalke könnten im beantragten Flugzeitraum im Zuge ihrer Nahrungssuche im Einsatzgebiet vorkommen. Horstplätze von Bartgeier und Wanderfalke seien im betroffenen Einsatzgebiet und im Bereich der geplanten Flugroute nicht bekannt. Die im O.‑Tal bekannten Steinadlerhorste befänden sich einerseits ausreichend weit entfernt von den geplanten Flugeinsatzgebieten und andererseits beginne die Steinadler‑ und Wanderfalkenbrut erst nach dem beantragten Flugzeitraum.

25 Bei Vorschreibung und Einhaltung der Auflagen und Befristungen im für die Hubschrauber‑Transportflüge bewilligten Einsatzgebiet könnten laut Gutachten hinsichtlich der Erhaltungsziele der Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der genannten, in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie angeführten Arten die negativen Auswirkungen dieser Flüge derart minimiert werden, dass diese als nicht erheblich bewertet werden könnten und durch die geplante Maßnahme daher eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele ausgeschlossen werden könne. Demzufolge werde für die beantragten Hubschrauber‑Transportflüge keine detaillierte Naturverträglichkeitsprüfung gemäß Artikel 6 der FFH RL als erforderlich erachtet. Insbesondere durch die beantragte mehrjährige Laufzeit von 7 Jahren sei eine endgültige Beurteilung nationalpark‑ und naturschutzfachlicher Gegebenheiten und deren Auswirkungen auf die Schutz‑ und Erhaltungsziele zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Darüber hinaus könne es im beantragten Flugzeitraum zu kumulativen Effekten in Verbindung mit anderen erforderlichen Hubschrauberflügen im O.‑Tal kommen. „Die Nationalparkbehörde“ behalte sich daher in Verbindung mit dem mehrjährig beantragten Bewilligungszeitraum vor, einerseits spezifische Meldepflichten vorzuschreiben sowie andererseits die mehrjährige Bewilligung nur unter dem Vorbehalt späterer Vorschreibungen zu erteilen.

26 In Bezug auf den von der Revisionswerberin hervorgehobenen Bartgeier, dessen Brutzeitraum sich mit dem genehmigten Flugzeitraum überschneiden kann, stellt das Gutachten zwar fest, dass sich im geplanten Flugeinsatzgebiet keine Bartgeierhorste befänden und die derzeit bekannten Bartgeierpaare mit großer Wahrscheinlichkeit 2021 und in den Folgejahren wieder in näher bezeichneten Gebieten brüten würden, gleichzeitig wird jedoch ausgeführt, dass dies zum Zeitpunkt der Beurteilung nicht mit Sicherheit angegeben werden könne, da der Zeitpunkt der Eiablage in den Zeitraum zwischen Ende Dezember und Ende Februar falle. In den bekannten und den potenziell geeigneten Bereichen solle absolute Ruhe herrschen, damit mögliche Freilandbruten des Bartgeiers sowohl innerhalb des Schutzgebietes als auch im Bereich seines Vorfeldes nicht gefährdet würden.

27 Das Gutachten legt insbesondere nicht dar, ob es sich beim O.‑Tal um einen „potenziell geeigneten Bereich“ für das Freilandbrüten des Bartgeiers handelt, bzw. ob mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass die Bartgeier während des siebenjährigen Bewilligungszeitraumes in den im Gutachten benannten Gebieten ‑ und nicht in dem von den genehmigten Flügen betroffenen O.‑Tal ‑ brüten werden.

28 Es vermag daher die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichtes, dass durch die genehmigten Hubschrauberflüge eine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele nicht bewirkt werde, nicht zu tragen.

29 Auf dieser Grundlage durfte das Verwaltungsgericht daher ‑ auch unter Berücksichtigung der festgelegten Nebenbestimmungen ‑ nicht ohne Zweifel davon ausgehen, dass über die gesamte Laufzeit keine schädlichen Auswirkungen auf die im gegenständlichen Natura‑2000‑Gebiet geschützten Arten und deren Lebensräume zu erwarten sind.

30 Diese Genehmigungsvoraussetzung kann auch mit dem in § 14 Abs. 2 S.NPG festgelegten Vorbehalt späterer Vorschreibungen ‑ wie oben in Rz 20 dargelegt ‑ nicht substituiert werden.

31 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, sodass sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen erübrigt.

Wien, am 29. September 2022

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