VwGH Ra 2020/15/0085

VwGHRa 2020/15/008514.6.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Landeck Reutte in 6500 Landeck, Innstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 20. Mai 2015, Zl. RV/3100012/2014, betreffend Umsatzsteuer 2007 bis 2009 (mitbeteiligte Partei: M S in S, vertreten durch Mag. Rolf‑Dieter Kuprian, Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder in 6460 Imst, Am Raun 10), zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §20 Abs1 Z1
EStG 1988 §20 Abs1 Z2 lita
EStG 1988 §4 Abs4
EURallg
UStG 1994 §12 Abs2 Z2 lita
UStG 1994 §12 Abs3 Z4 idF 2004/I/027
UStG 1994 §3a Abs1a Z1
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17 Abs6
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art168a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020150085.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei errichtete in den Jahren 2007 bis 2009 ein Hotel, das im Revisionszeitraum zu 97,24% betrieblichen Zwecken und zu 2,76% privaten Zwecken diente. Die mitbeteiligte Partei machte einen Vorsteuerabzug von den Baukosten in Höhe von 100% geltend.

2 Das Finanzamt versagte mit Bescheid vom 24. November 2008 betreffend die Umsatzsteuer 2007 den Vorsteuerabzug für den privat genutzten Teil des Gebäudes. In der dagegen erhobenen Beschwerde stützte sich die mitbeteiligte Partei auf EuGH‑Judikatur. Nach abweisender Beschwerdevorentscheidung stellte sie einen Vorlageantrag.

3 In den Umsatzsteuerbescheiden für die Jahre 2008 und 2009 gegen die ebenfalls Beschwerde erhoben wurde, versagte das Finanzamt ebenfalls den Vorsteuerabzug.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Mai 2015 gab das Bundesfinanzgericht den Beschwerden Folge. Begründend führte es aus, das Gebäude diene zu 2,76% privaten Zwecken und stelle somit zur Gänze Betriebsvermögen dar. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei nach der im Revisionsfall geltenden Rechtslage bei Gebäuden im Betriebsvermögen die Vorsteuer zur Gänze abzugsfähig.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die am 24. Juni 2015 beim Bundesfinanzgericht eingelangte Revision des Finanzamtes, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, mit dem angefochtenen Erkenntnis sei keine Besteuerung der anteiligen untergeordneten Privatnutzung des Gebäudes gemäß § 3a Abs. 1a Z 1 UStG 1994 vorgenommen worden. Zur Rechtsfrage, wie die untergeordnete Privatnutzung eines zur Gänze dem Betriebsvermögen angehörenden Gebäudes, das zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt hat, umsatzsteuerlich zu behandeln ist, fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

6 Das Bundesfinanzgericht legte am 10. August 2020 ‑ sohin mehr als fünf Jahre nach Erhebung der Revision ‑ dem Verwaltungsgerichtshof die Revision vor.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

9 Gemäß § 12 Abs. 2 Z 2 lit. a UStG 1994 gelten Lieferungen, sonstige Leistungen oder Einfuhren, deren Entgelte überwiegend keine abzugsfähigen Ausgaben (Aufwendungen) im Sinne des § 20 Abs. 1 Z 1 bis 5 des Einkommensteuergesetzes 1988 oder der §§ 8 Abs. 2 und 12 Abs. 1 Z 1 bis 5 des Körperschaftsteuergesetzes 1988 sind, nicht als für das Unternehmen ausgeführt.

10 Ungeachtet der Regelung des § 20 Abs. 1 Z 1 und Z 2 lit. a EStG 1988 zählen bei einem betrieblichen Gebäude privat genutzte Gebäudeteile von untergeordneter Bedeutung einkommensteuerlich zum notwendigen Betriebsvermögen und führen damit zu (abzugsfähigen) Betriebsausgaben, welche erst in der Folge durch den korrespondierenden Ansatz einer „Nutzungsentnahme“ im Ergebnis neutralisiert werden.

11 Für die Rechtslage vor Inkrafttreten des Art. 168a MwStRL hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 19. März 2013, 2010/15/0085, VwSlg. 8796/F, ausgesprochen, dass die Regelung des § 12 Abs. 2 Z 2 lit. a UStG 1994 dahingehend auszulegen ist, dass sie für einen solchen untergeordneten Teil eines Gebäudes des Betriebsvermögens keinen Vorsteuerausschluss normiert.

12 Die mit BGBl. I Nr. 27/2004 eingefügte Z 4 des § 12 Abs. 3 UStG 1994 schließt mit ihrem Verweis auf § 3a Abs. 1a Z 1 Vorsteuern, die im Zusammenhang mit der Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Grundstückes für private Zwecke stehen, ab 1. Mai 2004 vom Abzug aus. Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27. September 2017, Ra 2015/15/0045, ausgesprochen hat, war dieser Vorsteuerausschluss insoweit nicht durch das unionsrechtliche Beibehaltungsrecht gedeckt, als davon die in Rede stehenden, untergeordnet privat genutzten Gebäude des Betriebsvermögens betroffen waren. Wenn sich ein Steuerpflichtiger dafür entschied, für ein solches Gebäude zur Gänze den Vorsteuerabzug geltend zu machen, kann er nicht zugleich gestützt auf nationales Recht die Nichtbesteuerung der privaten Verwendung des untergeordneten Gebäudeteils in Anspruch nehmen (vgl. auch VwGH 28.5.2019, Ra 2018/15/0058).

13 Das Bundesfinanzgericht ist von einer untergeordneten privaten Verwendung des Betriebsgebäudes ausgegangen, ohne Erwägungen zum Vorliegen steuerpflichtiger Umsätze (Verwendungseigenverbrauch unter „Ausblendung“ des § 3a Abs. 1a letzter Satz UStG 1994, vgl. VwGH 28.5.2019, Ra 2018/15/0058) anzustellen, und hat damit sein Erkenntnis mit einer Rechtwidrigkeit des Inhaltes belastet.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 14. Juni 2022

Stichworte