VwGH Ra 2021/20/0437

VwGHRa 2021/20/043720.12.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des M B in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 2021, L530 1414136‑3/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2
MRK Art8
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §41a Abs9

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200437.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber stellte am 4. Jänner 2010 unter falschem Namen und falschem Geburtsdatum einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Er gab an, staatenlos zu sein und aus Gaza (Palästina) zu stammen.

2 Dieser Antrag blieb im Instanzenzug erfolglos und es wurde gegen den Revisionswerber im Juli 2010 eine Ausweisung erlassen.

3 Der Revisionswerber, dessen Aufenthaltsort zwischenzeitig für die Behörde unbekannt war, blieb in Österreich. Am 13. April 2015 stellte er neuerlich unter der von ihm verwendeten Aliasidentität einen Antrag auf internationalen Schutz.

4 Nach ihm im Rahmen der Vernehmung vom 17. Dezember 2015 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemachten Vorhalten zu seiner Identität führte der Revisionswerber gegenüber dieser Behörde letztlich am 14. Jänner 2016 aus, früher falsche Angaben gemacht zu haben. Er stamme in Wahrheit aus Ägypten und führe einen anderen Namen.

5 Mit Bescheid vom 12. April 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den vom Revisionswerber am 13. April 2015 gestellten Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurück. Unter einem sprach die Behörde aus, dass ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründe nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt werde, dass seine Abschiebung „nach Gaza (Palästinensische Gebiete)“ zulässig sei. Weiters wurde dem Revisionswerber keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt.

6 Über Beschwerde des Revisionswerbers wurde dieser Bescheid vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Mai 2016 behoben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

7 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 3. Jänner 2017 den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei. Es wurde weiters dem Revisionswerber keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt.

8 Mit dem Erkenntnis vom 28. September 2021 wurde die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung ‑ mit einer hier nicht weiter wesentlichen Spruchkorrektur ‑ als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Der Revisionswerber macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe jenen Informationen zu Ägypten, aus denen sich ergebe, dass regimekritische Menschen dort einer asylrechtlich relevanten Verfolgung unterlägen, keine ausreichende Beachtung geschenkt. Damit übersieht der Revisionswerber aber, dass das Bundesverwaltungsgericht seinem Vorbringen zu den Gründen der Flucht aus dem Heimatland keinen Glauben geschenkt hat. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts unvertretbar wären (vgl. zum insoweit im Revisionsverfahren gegebenen Prüfkalkül etwa VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0239, mwN), wird in der Revision nicht aufgezeigt. Somit ist den auf der eigenen Prämisse ‑ nämlich der Richtigkeit seines Vorbringens zum Fluchtvorbringen ‑ aufbauenden, aber nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehenden (vgl. § 41 VwGG) Behauptungen der Boden entzogen.

13 Der Revisionswerber wendet sich zudem gegen die im Rahmen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA‑Verfahrensgesetz vorgenommene Interessenabwägung. Er halte sich bereits mehr als zehn Jahre im Bundesgebiet auf, weshalb nach der Rechtsprechung die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als unverhältnismäßig anzusehen sei. Es sei dafür nicht notwendig, dass eine außergewöhnliche Integration vorliege.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0365, mwN).

15 Es trifft zwar der Hinweis des Revisionswerbers zu, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (oder die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels) ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, mwN).

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat aber auch zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen und für ein größeres öffentliches Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (oder an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können (vgl. auch dazu VwGH Ro 2016/22/0005, samt näheren Hinweisen zu Konstellationen, in denen trotz eines zehnjährigen Aufenthalts die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht als unverhältnismäßig angesehen wurde).

17 Auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt ist in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken oder die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (vgl. nochmals VwGH Ro 2016/22/0005).

18 Der Revisionswerber blendet bei seinen Ausführungen gänzlich aus, dass ihm vom Bundesverwaltungsgericht in diesem Sinn maßgebliches Fehlverhalten (mehrfaches unberechtigtes Stellen von Anträgen auf internationalen Schutz unter Verwenden einer falschen Identität und Staatsangehörigkeit, Verfahrensdauer maßgeblich auf das Verhalten des Revisionswerbers zurückzuführen, Eingehen einer ‑ mittlerweile wieder aufgelösten ‑ Ehe mit einer slowakischen Staatsangehörigen nur zum Schein und zwecks Erlangung eines Aufenthaltsrechts in Österreich) zum Vorwurf gemacht wurde. Dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, das vom Revisionswerber gesetzte Fehlverhalten, um einen Aufenthalt in Österreich letztlich zu erzwingen, führe dazu, dass ungeachtet der langen Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet die Erlassung einer Rückkehrentscheidung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK nicht unzulässig sei, mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wäre, wird in der Revision mithin nicht dargetan.

19 Es werden vom Revisionswerber sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. Dezember 2021

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