Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180126.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine iranische Staatsangehörige, stellte am 27. Februar 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte sie vor, zur Glaubensrichtung der Bahai konvertiert zu sein, weshalb sie befürchte, im Iran von Familienangehörigen verfolgt zu werden.
2 Mit Bescheid vom 30. April 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin zur Gänze ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Am 8. Oktober 2019 heiratete die Revisionswerberin eine in Österreich asylberechtigte Person.
4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
5 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es die Leitlinien für die Beurteilung einer vorgebrachten Konversion nicht beachtet habe. Die Aussagen eines einvernommenen Zeugen seien nicht näher beurteilt worden, weswegen die Beweiswürdigung des BVwG in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden sei. Des Weiteren führt die Revision zu ihrer Zulässigkeit aus, die Interessenabwägung des Art. 8 EMRK sei mangelhaft, weil der Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG, also die Frage, ob das Privat‑ und Familienleben der Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Prüfung einer möglichen Verletzung des Rechts auf Privatleben durch die Rückkehrentscheidung, in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt worden sei.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine begründete Furcht einer Asylwerberin vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Konversion vorliegen, und zwar insbesondere dann, wenn anzunehmen wäre, dass sie nach Rückkehr in ihr Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die sie der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen werden (vgl. VwGH 21.4.2021, Ra 2021/18/0157, mwN).
11 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr kommt es wesentlich auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung von Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens‑ bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. ausführlich VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).
12 Im vorliegenden Fall gelangte das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis, dass die Revisionswerberin nicht aus innerem Entschluss zu den Bahai konvertiert sei und deren Glaubenslehren kein Bestandteil ihrer Identität geworden seien, weshalb sie im Iran keine Verfolgungshandlungen zu befürchten habe.
13 Sofern die Revision rügt, das BVwG hätte sich mit den Aussagen des einvernommenen Zeugen auseinandersetzen müssen, übersieht sie, dass das BVwG auch diese, zugunsten der Revisionswerberin sprechende Zeugenaussage in seiner Entscheidung berücksichtigte, jedoch erwog, dass sie nichts am Ergebnis ändere, weil der Zeuge keine überzeugende Begründung für seine Ansicht, wonach die Konversion der Revisionswerberin von einer inneren Überzeugung getragen sei, angeben habe können. Das BVwG sprach dem Fluchtvorbringen der Revisionswerberin ferner die Glaubhaftigkeit ab, weil sich die Revisionswerberin bereits im Iran wenig für den Islam interessiert habe und aus diesem Grund nicht nachvollziehbar sei, weshalb sie sich zu einer anderen Religion hinwenden sollte. Die erste Kontaktaufnahme mit der Bahai‑Familie habe die Revisionswerberin widersprüchlich, unplausibel und vage geschildert. Sie habe überdies nicht beantworten können, wie man ein Bahai wird, praktiziere das „Bahaitum“ auch nicht und habe wenig Wissen darüber. Die Revisionswerberin besuche das Bahai‑Zentrum selten und habe sich nur wenig mit der heiligen Schrift der Bahai auseinandergesetzt. Zudem habe sie angegeben, sie habe zuletzt zwei Monate zuvor in der Bahaischrift gelesen, obwohl es ein wichtiges Gebot darstelle, täglich in der heiligen Schrift zu lesen.
14 Im Ergebnis hat sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung umfassend mit dem Vorbringen der Revisionswerberin, der Zeugenaussage sowie den von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien für die Beurteilung einer Scheinkonversion auseinandergesetzt und nachvollziehbar begründet, weshalb es einen Glaubenswechsel aus innerer Überzeugung als nicht glaubhaft erachte.
15 Die Revision vermag mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen daher nicht darzulegen, dass das BVwG eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen habe (zum diesbezüglichen Prüfmaßstab vgl. VwGH 19.3.2021, Ra 2021/19/0072, mwN).
16 Betreffend das Familien‑ und Privatleben der Revisionswerberin stellte das BVwG im vorliegenden Fall fest, dass die Revisionswerberin mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person seit Oktober 2019 verheiratet sei, das Eheleben jedoch keine besondere Beziehungsintensität aufweise. Dies begründete das Gericht damit, dass die Revisionswerberin und ihr Ehemann divergierende Angaben zu den Modalitäten ihres Kennenlernens getätigt hätten, ihr gemeinsames Eheleben nicht beschreiben hätten können, erst seit August 2020 ein gemeinsamer Hausstand und keine finanzielle Abhängigkeit der Revisionswerberin von ihrem Ehemann bestehe. Das Gericht berücksichtigte im Rahmen der angestellten Interessenabwägung überdies die beruflichen und sozialen Integrationsbemühungen der Revisionswerberin.
17 Dieser vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung setzt die Revision bloß entgegen, das Gericht habe dem Gesichtspunkt, dass sich die Revisionswerberin zum Zeitpunkt des Entstehens des Familien‑ und Privatlebens über ihren unsicheren Aufenthalt bewusst hätte sein müssen, zu viel Gewicht beigemessen.
18 Dabei übersieht sie, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach darauf hingewiesen hat, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich die Fremde ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn der Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste (vgl. VwGH 14.10.2019, Ra 2019/18/0396, mwN).
19 Dass die in Zusammenhang mit Art. 8 EMRK durch das BVwG vorgenommene Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar sei, wird in der vorliegenden Zulassungsbegründung im Ergebnis nicht aufgezeigt.
20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 23. Juni 2021
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