VwGH Ra 2021/15/0059

VwGHRa 2021/15/00595.10.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Österreich ‑ Dienststelle Gmunden Vöcklabruck in 4810 Gmunden, Johann Tagwerker‑Straße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 29. März 2021, Zl. RV/5101131/2020, betreffend Einkommensteuer 2018 (mitbeteiligte Partei: W H in A, vertreten durch die PROCONSULT Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung GmbH & Co KG in 4810 Gmunden, Brunnenweg 4), den Beschluss gefasst:

Normen

BAO §167 Abs2
EStG 1988 §34 Abs3
VwGG §41

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021150059.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei machte in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2018 unter anderem Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Operation an der Halswirbelsäule, welche in einer Privatklinik durchgeführt wurde, als außergewöhnliche Belastung geltend.

2 Bei der Veranlagung zur Einkommenssteuer 2018 erkannte das Finanzamt die als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung an.

3 Einer dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei gab das Bundesfinanzgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis insoweit Folge, als sie die Berücksichtigung der Kosten für den in einer Privatklinik vorgenommenen Eingriff als außergewöhnliche Belastung betraf. Es stellte fest, die mitbeteiligte Partei leide unter einer hochgradigen Spondyloosteochondrose und absoluten Wirbelkanalstenose und habe sich im Jahr 2018 einer Wirbelsäulenoperation in einer Privatklinik unterzogen. Vorliegend sei die Bestätigung eines Facharztes vom 26. Juni 2020, wonach die gegenständliche Operation „im öffentlichen Bereich“ nur sehr eingeschränkt durchgeführt werde und eine neurologische absolute Dringlichkeit vorgelegen sei, weshalb die gegenständliche Operation in einer Privatklinik habe erfolgen müssen. Widrigenfalls hätte es zu einem schweren neurologischen Defizit kommen können. Der Mitbeteiligte habe sich bereits im Februar 2018 einer Operation in einem öffentlichen Krankenhaus unterzogen. Laut Ambulanzbefund des öffentlichen Krankenhauses vom 21. März 2018 habe der behandelnde Arzt von weiteren operativen Eingriffen Abstand genommen und eine intensive Physiotherapie sowie eine alsbaldige Neurorehabilitation empfohlen.

4 In rechtlicher Hinsicht begründete das Bundesfinanzgericht, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen für die eigene medizinische Betreuung in einer Privatklinik erwüchsen, auch dann zwangsläufig im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988 seien, wenn sie die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten überstiegen, sofern diese höheren Aufwendungen aus triftigen medizinischen Gründen getätigt würden. Solche Gründe seien gegeben, weil die mitbeteiligte Partei unter einer hochgradigen Spondyloosteochondrose und absoluter Wirbelkanalstenose leide und es ohne die gegenständliche Operation zu einem schweren neurologischen Defizit mit Lähmungen bis zur Querschnittlähmung hätte kommen können. Es sei mit ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen zu rechnen gewesen. Die im Februar 2018 in einem öffentlichen Krankenhaus durchgeführte Operation habe nicht zur angestrebten Verbesserung des Gesundheitszustandes des Mitbeteiligten geführt und der behandelnde Arzt habe eine weitere Operation abgelehnt. Die Konsultation des Facharztes für Neurologie und die nachfolgende neuerliche Operation durch diesen habe für den Mitbeteiligten die einzige Möglichkeit dargestellt, seine Lebensqualität zu verbessern. Der Mitbeteiligte sei zum Zeitpunkt der Durchführung der gegenständlichen Operation bereits 91 Jahre alt gewesen. Es sei davon auszugehen, dass das Operationsrisiko mit höherem Alter zunehme. Auch deswegen sei eine alsbaldige Operation geboten gewesen.

5 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig, weil die Frage, ob triftige Gründe für die Anerkennung von Krankheitskosten vorlägen, oder ob die Voraussetzungen für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung glaubhaft gemacht worden seien, eine auf Ebene der Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung zu lösende Tatfrage sei, die zu keiner Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung führe.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Finanzamts, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, im Ambulanzbefund des öffentlichen Krankenhauses vom 21. März 2018 werde festgestellt, dass es keine Progredienz gebe und aufgrund des hohen Alters der mitbeteiligten Partei eine Behandlung ohne Operation (Physiotherapie, Gehen mit dem Rollator etc.) empfohlen werde. Daraus könne nicht auf die Ablehnung einer „Operationsmöglichkeit an einem (anderen) öffentlichen Krankenhaus“ geschlossen werden. Der Hinweis der mitbeteiligten Partei auf eine mündliche Ablehnung einer Operation an der Halswirbelsäule durch den behandelnden Arzt im öffentlichen Krankenhaus stelle keinen geeigneten Nachweis dafür dar, dass die Operation in einer Klinik auf der normalen Gebührenklasse nicht möglich gewesen wäre. Auch die Bestätigung des Operateurs der Privatklinik sei kein geeigneter Nachweis, dass die Operation in einer Klinik auf der normalen Gebührenklasse nicht möglich gewesen wäre.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Triftige medizinische Gründe lassen auch höhere Aufwendungen des Steuerpflichtigen als die von Sozialversicherungsträgern finanzierten zwangsläufig erscheinen. Ob solche triftigen Gründe vorliegen oder nicht, ist eine Frage der Beweiswürdigung, zu deren Überprüfung der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz grundsätzlich nicht berufen ist. Diese ist nur dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung lediglich dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. z.B. VwGH 10.5.2021, Ra 2021/15/0031, mwN).

11 Das Bundesfinanzgericht stellte im angefochtenen Erkenntnis fest, ohne die gegenständliche Operation hätte es zu einem schweren neurologischen Defizit mit Lähmungen bis zur Querschnittlähmung kommen können. Dabei stützte es sich auf die ‑ vom Finanzamt insoweit nicht in Zweifel gezogene ‑ Bestätigung eines Facharztes vom 26. Juni 2020, welche auch attestiert, dass die Operation im öffentlichen Bereich nur sehr eingeschränkt durchgeführt werde und eine aus neurologischer Sicht absolute Dringlichkeit vorgelegen habe. Im Hinblick auf die ‑ auch aufgrund des Alters der mitbeteiligten Partei ‑ gebotene Eile erachtete das Bundesfinanzgericht das Vorliegen triftiger medizinischer Gründe für die zeitnahe Operation in einer Privatklinik für gegeben. Dies stößt auf keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken.

12 Dass die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Weise vorgenommen würde, zeigt die außerordentliche Revision des Finanzamts nicht auf.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 5. Oktober 2021

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